«Was ist heute links?»

Auslese

Seit der französischen Revolution ist die Unterscheidung zwischen «Links» und «Rechts» ein prägendes Merkmal der Politik. Obwohl jeder politisch Interessierte weiss, wo in diesem Spektrum er steht, gehen die Meinungen, was denn nun links oder rechts ist, auseinander.

Im Umfeld der 2006 gerade im Entstehen begriffenen deutschen Partei «Die Linke» hat der Philosoph Michael Brie zusammen mit dem Geschichtswissenschaftler Christoph Spehr einen Grundlagentext verfasst. Angesichts der historischen Erfahrungen mit dem gescheiterten Sowjetkommunismus und der zunehmend in die politische Mitte abdriftenden Sozialdemokratie fragen sie sich, welche Elemente die Basis zeitgemässer linker Positionen sind.

Dieser 20-seitige Artikel bietet einen Einblick in die Meinungsforschung und einen kurzen Überblick über die Geschichte der Linken. Er befasst sich mit innerlinken Konflikten, insbesondere dem Für und Wider einer Regierungsbeteiligung, und gibt Tipps, um den Zusammenhalt der Linken verschiedener Couleur zu fördern.

Das Hauptanliegen von Brie und Spehr besteht aber darin, zu ergründen, wo linke Positionen in rechte umschlagen. Anhand der Beteiligung der NPD an den Protesten gegen Harz-IV zeigen sie auf, dass dieselben Forderungen sowohl solidarisch-emanzipatorisch als auch nationalistisch, rassistisch und antidemokratisch begründet werden können. Doch die Gefahr besteht nicht nur in der Vereinnahmung linker Positionen durch die Gegenseite. Immer, wenn Wissen und Fähigkeiten von der Oberschicht monopolisiert werden, wenn die eigenen Mittel beschränkt und der Gegner übermächtig ist, wenn sich nur eine Minderheit zum aktiven Handeln entschliesst, neigen linke Bewegungen zu einem Maximalismus der Ziele und einer Radikalität der Mittel.

Um erkennen zu können, ob eine linke Position Anknüpfungspunkte für repressive Auslegungen bietet, ziehen die Autoren die drei Grundprinzipien der französischen Revolution zu Rate. Freiheit, Gleichheit und Solidarität, ergänzt um die Grundüberzeugung der bewussten Veränderbarkeit von Gesellschaft. Wenn eine Bewegung eines dieser vier Prinzipien aufgibt, ist sie nicht mehr links.

Mit diesem Ausschlusskriterium ist der Raum der Linken abgesteckt. Auf der politischen, kulturellen und sozialen Ebene.