Liberal ist ein hübsches Schlagwort. Es bedeutet freiheitlich. Wer will nicht frei sein von Zwängen, von Druck, von Armut, von Krankheit? Liberal ist aber nicht gleich liberal.
Schutz oder Freiheit? Die Freiheit steht klar im Vordergrund, weshalb sich die FDP «die Liberalen» nennen, sich eigentlich alle Parteien als liberal bezeichnen und sich keine Partei dazu entschliesst, «die Präventiven» auf die Flagge zu schreiben. Die Frage ist, wie viel Schutz benötigen wir, um die Freiheit gewährleisten zu können. Unterschiedlicher könnten die Meinungen der Parteien in dieser Hinsicht kaum sein.
«Liberalismus ist eine Gesellschaftskonzeption, welche die individuelle Freiheit und Selbstverantwortung betont», lautet die Definition im Gabler Wirtschaftslexikon. Die Freiheit wird aber immer eingeschränkt, etwa durch präventive Massnahmen wie ein Kampfhundeverbot. SP-Kantonsrat Werner Bächtold meint: «Mehrheitsentscheide müssen auch dann respektiert werden, wenn die eigene Freiheit dadurch eingeschränkt wird. Die eigene Freiheit stösst an Grenzen, wenn man dadurch die Freiheit eines anderen Menschen einschränkt. Ebenso stösst man an Grenzen, wenn man sich selber massiv gefährdet.» Gemäss dieser Definition können sich wohl alle Parteien als liberal bezeichnen.
Die SP befürwortet das Kampfhundeverbot. «Den Schutz der Menschen gewichten wir hier eindeutig höher als die individuelle Freiheit, gefährliche Hunde frei laufen zu lassen. Um die Tötung oder Verletzung von Menschen zu verhindern, gehören einzelne Hunderassen verboten», so Bächtold. Theresia Derksen von der CVP meint zur Videoüberwachung: «Zur Prävention an gewissen ‹Problem›-Orten habe ich nichts dagegen.» Und die SVP verbietet Minarette, um der Islamisierung präventiv zu begegnen. Nach Ansicht von Christoph Blocher ist die SVP aber trotzdem eine liberal-konservative Partei.
AL-Kantonsrat Florian Keller bezieht zum Thema Prävention deutlich Stellung: «Prävention stellt den Versuch dar, die Menschen durch die Schaffung von Anreizen oder Abreizen in ihrer Entscheidungsfindung zu manipulieren, um ein gesellschaftliches Interesse zu fördern.»
Selbst bei «den Liberalen» der FDP begrüsst man etwa die Videoüberwachung. Konsequenten Liberalismus in allen Belangen verfolgt keine der Parteien. Mal sind sie in der einen Frage liberal, mal wieder nicht. Die logische Konsequenz: Wir leben in einem liberalen Land, in dem alle Parteien liberal sind, nur nicht in denselben Belangen. Die Definition vom Gabler Wirtschaftslexikon ist aber keine abschliessende. Ansonsten wäre es verwunderlich, wenn sich die FDP freiwillig eine Worthülse wie «die Liberalen» überstülpt.
Vielmehr bezieht sich die FDP auf die Definition des Wirtschaftsliberalismus. Dieser unterscheidet sich aber vom gesellschaftlichen Liberalismus: «Das Grundprinzip des Liberalismus ist die Marktwirtschaft, das heisst die auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhende arbeitsteilige Wirtschaft», sagte Ludwig von Mises, einer der wichtigsten Vertreter der liberalen Österreichischen Schule. Die Vertreter des Liberalismus betonen, dass politische Freiheit nur dann realisiert werden kann, wenn auch die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung gewährleistet ist. Demzufolge fordert der Liberalismus eine freie Marktwirtschaft einschliesslich des Freihandels.
Mit der Namenswahl «die Liberalen» versucht die FDP die Deutungshoheit über das Wort «Liberalismus» zu erlangen. Die FDP ist zwar wirtschaftspolitisch die liberalste Partei, in gesellschaftlicher Hinsicht trifft diese Beschreibung aber eher auf die Alternative Liste zu, die in letzter Zeit sowohl die Videoüberwachung, als auch das Kampfhundeverbot oder die Minarettinitiative deutlich ablehnte.