Der Markt richtet’s nicht

Die Lohnunterschiede in der Schweiz sind zum Teil massiv.  Cédric Wermuth ruft auf: «Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern.»

Mit diesem wunderschönen Satz – mal abgesehen davon, dass die Frauen vergessen gingen – beschwören die drei Eidgenossen in Schillers Wilhelm Tell ihren Bund der «ewig» dauern sollte. Wirklich ein Satz für die Ewigkeit. Wenn auch der Rütlischwur eher im Land der Mythen zu verorten ist, denn in der wirklichen Geschichte unseres Landes, so prägt doch sein Mythos bis heute das Selbstverständnis vieler Schweizerinnen und Schweiz. Wir sehen die Schweiz gerne als Staat der «Freiheit und Demokratie», ihre Institutionen als Ausdruck der «Solidarität» und des Wissens darum, dass sich «die Stärke des Volkes misst am Wohl der Schwachen» (aus der Präambel der Bundesverfassung). Diese Grundwerte gilt es zu verteidigen. Und in der Schweiz ist zum Glück auch noch klar wen: Der Feind kommt von aussen. In der aktuellen Debatte um das Bankgeheimnis aus dem Norden. Diese Leute stören sich nämlich angeblich daran, dass wir so verdammt reich sind und sie nicht. Geistige Landesverteidigung ist das Stichwort. Für wahr: Freiheit, Demokratie und Solidarität sind Grundwerte für die es sich zu kämpfen lohnt. Was aber, wenn diese Grundfesten unserer Gesellschaft von innen bedroht wären und nicht von aussen?

Eine demokratische Gesellschaft braucht ein gewisses Mass an Gleichheit, das ist unbestritten. Die Ungleichheiten dürfen nicht so himmelschreiend werden, dass sie unser fundamentales Verständnis von Gerechtigkeit tangieren. Ist dies nicht gewährleistet ist schlussendlich eben auch das Grundpostulat der Demokratie – die Gleichwertigkeit aller Bürgerinnen und Bürger – in Gefahr.

Die 300 Reichsten in der Schweiz lebenden Einzelpersonen besitzen gleich viel Vermögen wie fast 70 Prozent der gesamten Bevölkerung zusammen. Die 100 Reichsten haben ihr Vermögen in den letzten 20 Jahren versechsfacht. Zum Vergleich: Ich als Normalsterblicher – der nicht über millionenschwere «diversifizierte Anlagen» und eine Horde von Vermögensberatern verfügt – brauche für die gleiche Vermögenssteigerung auf meinem grosszügig verzinsten Jugendsparkonto (1%) satte 181 Jahre! Diese unsäglich ungleich verteilten Vermögen kommen nicht von ungefähr. Ein Grund sind die Löhne.

Wissen Sie, wie viel ein Topmanager 2007 in der Schweiz im Schnitt verdient hat? 2.7 Millionen Franken – die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer verdient weniger als 70’000 Franken pro Jahr. Das sind über 40 mal weniger! Innerhalb von einzelnen Unternehmen sehen die Verhältnisse noch beeindruckender aus. Das Verhältnis zwischen dem tiefsten und dem höchsten Lohn beträgt bei der Post 1:19, bei der Swisslife bereits 1:77, bei Nestlé 1:172, bei ABB bereits 1:427. Aber der absolute Rekordhalter ist und bleibt Daniel Vasella bei Novartis. Er verdient sage und schreibt 720mal mehr als seine Putzfrau! Auch noch 2007 wuchsen die Toplöhne um über 7%. Die realen Löhne verbuchten in den Boomjahren 2004 bis 2008 nur gerade ein Wachstümchen von 0.1% pro Jahr.

Die Schweiz gehört zu den reichsten Ländern der Welt, und ihr Reichtum nimmt von Jahr zu Jahr noch zu. Nur profitiert davon nur eine kleine Minderheit. Reichtum wird in der Schweiz von unten nach oben verteilt. Mit Leistung, Verantwortung oder «Markt» hat das nichts mehr zu tun. Die Reichsten in diesem Land bedienen sich so schamlos am hart erarbeiteten Geld der Büezerinnen und Büezer wie wir uns das aus Reportagen aus Brasilien oder Südafrika gewohnt sind. Das ist gefährlich. Wenn es zur Gewohnheit wird, dass der Chef mehrere hundert Mal mehr verdient, als seine Angestellten, dann ist das irgendeinmal normal. Dann ist Daniel Vasella plötzlich 720 Mal mehr wert als seine Putzfrau. Und wenn wir akzeptieren, dass jemand irreale 720 Mal mehr Wert sein soll als jemand anderes, dann beginnen wir, die Grundwerte unserer Demokratie in Frage zu stellen. Warum sollte Vasellas Stimme dann nicht auch 720 Mal mehr Gewicht haben?

Das sind die Jusos nicht bereit zu akzeptieren. Darum hat die Partei die 1:12-Initiative lanciert, die das maximal zulässige Verhältnis zwischen dem tiefsten und dem höchsten Lohn in einem Unternehmen auf 1:12 beschränken soll. Niemand soll in einem Monat mehr verdienen, als ein anderer in einem ganzen Jahr. Natürlich werden sie aufschreien, die Ospels, Grübels, Vasellas und ihre geschmierten Kollegen im Parlament Pelli, Darbellay und Brunner gleich mit. Sie werden uns erklären, dass sie dann ihre Firmensitze ins Ausland verlagern müssten. Mit Verlaub, lautet die Antwort: Wer entscheidet eigentlich, was in diesem Land gilt? Die politische Demokratie, das Volk, oder ein paar wenige und ihre unersättlich Raffgier? Die Antwort wird noch zu geben sein.

Ein Gastbeitrag von Cédric Wermuth