«Das ist eklatant leistungsungerecht»

Der Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Hochschule St. Gallen (HSG), Dr. oec. Ulrich Thielemann, spricht Klartext zu überhöhten Managerlöhnen, zur grenzenlosen Gewinnmaximierung und zum immensen Blasenkapital, das er gerne vernichtet sähe.

Im Moment sind Gesetzgeber und Rentabilität die Massstäbe für unternehmerisches Handeln. Halten UnternehmerInnen ethische Standards überhaupt aus eigenem Antrieb ein?

Ulrich Thielemann: Viele tun es, man sollte dies nicht grundsätzlich ausschliessen. Aber tun sie‘s hinreichend? Viele tun es defizitär, nutzen aber immerhin nicht alles aus, um höhere Renditen zu erzielen. Durchaus aus echter Verantwortung. Sonst hätten die radikalen GewinnmaximiererInnen ja auch gar keinen Spielraum mehr, um noch mehr herauszuholen, wenn sie ein gemässigt geführtes Unternehmen übernehmen. Aus der konsequenten Perspektive des Gewinnprinzips oder der Gewinnmaximierung wird alles dem Gewinn unterstellt. Auch die Gesetze befolgt man nur dann, wenn es sich auszahlt. Es wird zur Frage des Kalküls, des «Rechtsrisikos».

Ist Ethik für UnternehmerInnen nicht bloss ein Image-Produkt?

Für die konsequenten GewinnmaximiererInnen noch nicht einmal das. Ein schlechtes Image kann sich auch einmal auszahlen. Was daran liegt, dass die letzte Macht nicht bei der Öffentlichkeit liegt, sondern bei den Shareholdern.

Nennen Sie ein Beispiel.

CS-Chef Brady Dougan bezieht 70 Millionen Franken im Jahr. Kein Mensch in der Schweiz findet das angemessen und der Unmut darüber ist massiv. Zu recht. Das ist eklatant leistungsungerecht. Was eben tatsächlich zählt, ist die Macht der Beteiligten mit Blick auf den Shareholder-Value. Und meines Erachtens finden die Shareholder – also die Investoren – die jetzige Praxis gut.

Warum haben die Shareholder soviel Einfluss?

Für Dougan sind die Shareholder wichtig, weil sie die relevanten Stakeholder sind. Und die haben nichts gegen solche Saläre, im Gegenteil. Wenn UnternehmerInnen Milliarden scheffeln oder eine Bank eine Milliardenblase erzeugt, von der die Shareholder profitieren, geben diese gerne ein paar Prozent davon ab – sie würden ja ohnehin wieder von den SteuerzahlerInnen gerettet, oder sie machen sich vorher aus dem Staub.

Woher kommt denn all dieses Geld?

Für die Erzielung von Gewinnen, also Kapitaleinkommen – unter anderem werden daraus die Boni der ManagerInnen gespeist –, gibt es genau drei Möglichkeiten. Als erstes durch Anteile aus der, in der Regel ja wachsenden, realwirtschaftlichen Wertschöpfung. Dies ist ethisch durchaus nicht unproblematisch, da härterer Wettbewerb mehr Druck auf ArbeitnehmerInnen und UnternehmerInnen bewirkt.

Als zweites durch Abschöpfung, ohne dass die reale Wertschöpfung gewachsen wäre: also durch Umverteilung von der Realwirtschaft zum Kapital. Für die Schweiz gibt es keine Zahlen, aber vom Wachstum in Deutschland hat in den letzten Jahren praktisch ausschliesslich das Kapital profitiert.

Als drittes durch die Erzeugung von Blasenkapital. Man erhält das Geld von anderen Investoren, solchen, denen man die eigenen Wertpapiere andrehen kann, obwohl sie schon lange überbewertet sind.

Das globale Finanzvermögen – das sind Ersparnisse, Eigenkapital, private und öffentliche Schulden addiert – ist seit 1980 um den Faktor 17 gestiegen, die Realwirtschaft nur um den Faktor drei. Beim überwiegenden Teil dieses Finanzvermögens handelt es sich offenkundig um Blasenkapital. Wie sollte die Realwirtschaft die diesem Kapital entsprechenden Renditen erwirtschaften? Sie kann und soll dies nicht. Wollen wir noch mehr Abschöpfung oder noch mehr Wettbewerbsdruck? Es besteht aus meiner Sicht kein Zweifel, dass dieses Kapital genau so wieder verschwinden muss, wie es entstanden ist. Das heisst, es muss zu grossen Teilen vernichtet werden.

Gerade den TopmanagerInnen mit ihren Salären sollte aber klar sein, dass diese Gewinne nicht nachhaltig sind.

Ich denke auch, dass sie es wissen. Aber sie können diese Gewinne in echtes Geld umwandeln und damit Druck auf die Realwirtschaft ausüben. Die Grenze zwischen Blasenkapital und realwirtschaftlich gestütztem Kapital ist meines Erachtens letztlich eine normative Frage: Lassen wir es zu, dass das Kapital weiter Druck auf die Realwirtschaft ausübt?

Warum bleiben wirkungsvolle Einwände gegen solche astronomischen Gewinne und Saläre aus?

Die Komplexität der Machtverhältnisse ist so gelagert, dass es vollkommen illusionär wäre, allein auf die Einsicht der Beteiligten zu setzen. Also brauchen wir eine Regulierung. Und zwar nicht nur, weil Vergütungen dieser Grössenordnung nicht leistungsgerecht sind, sondern auch, weil sie die Gier im Unternehmen entfachen und, im Falle der Banken, Anreize zur Blasenbildung geben. Meines Erachtens müssten die Anteile, die die Shareholder dem Management oder sonstigen exponierten Mitarbeitern wie Investmentbankern in Form variabler Vergütungen zahlen dürfen, beschränkt werden. Dies würde den Druck des Kapitals aus den Unternehmen nehmen. Das könnte der Schlüssel sein, um Unternehmen weniger «kapitalistisch» zu machen. Vermutlich funktioniert das aber nur auf globaler Ebene.

Ist das kein Eingriff in die Unternehmensfreiheit?

Das Wirtschaften ist schon lange keine private Angelegenheit mehr, sonst hätte man beispielsweise die UBS nicht retten müssen. Deshalb greift die Massnahme nicht zu weit in die Vertragsfreiheit ein. Wenn die Shareholder dem Management Millionen hinterherwerfen möchten, dann können sie das immer noch tun, aber sie dürften es nicht variabel tun. Damit würde eine Mässigung einkehren, nicht nur in den Löhnen, sondern auch im Geschäftsgebaren.

Vielfach scheint ja die Meinung vorzuherrschen, dass Einkommen aus dem Nichts geschöpft würden. Und je «talentierter» man dabei ist, desto höher fällt es aus. Man übersieht dabei, dass Einkommen stets arbeitsteilig erzielt werden. Und schliesslich wird man ja von anderen bezahlt. Natürlich sind Einkommen wie die von Dougan Millionen Kilometer weit von einer leistungsgerechten Vergütung entfernt.

Was halten sie vom Juso-Vorschlag zur Einschränkung dieser Lohnexzesse?

Die Initiative ist unter Fairnessgesichtspunkten – nicht bloss unter Solidaritätsgesichtspunkten – ein legitimes politisches Anliegen, da die Einkommen niemals privatim erzeugt werden, sondern arbeitsteilig, mit anderen und im Wettbewerb auch gegen andere. Solche Regulierungen sind also kein Tabu, wie Libertäre meinen. Einkommen sind keine Privatangelegenheit. Wie hoch das Verhältnis zwischen Oben und Unten sein soll, das ist eine typische Abwägungsfrage – eine politische Frage.

Interessieren sich UnternehmerInnen nicht für Ethik?

Eigentlich müsste eine solche Regulierung im wohlverstandenen Eigeninteresse der Unternehmen liegen. Die Unternehmer müssten votieren: Wir wollen eine Rahmenordnung, die es uns erlaubt, in ethisch verantwortbarer Weise erfolgreich zu wirtschaften. Nicht so erfolgreich wie möglich – das ist sowieso nicht rechtfertigungsfähig. Aber es muss möglich sein, etwas Sinnvolles zu produzieren und damit Markterfolg zu haben ohne von einem ethisch schmutzigen Wettbewerb aus dem Geschäft gedrängt zu werden. Dazu müssten sie allerdings das Primat der Ethik, anstelle des Primats des Gewinns anerkennen. Die Unternehmer müssten für wahrhafte Geschäftsethik einstehen.

Aber das tun sie nicht.

Ich behaupte, die grundsätzlichen wirtschaftsethischen Probleme unserer Zeit haben wenige verstanden. Welches Unternehmen versteht denn gutes Management als Suche nach einem fairen Ausgleich zwischen den Beteiligten, den Shareholdern eingeschlossen? Nur so können wir gutes Management definieren. Was die WirtschaftsethikerInnen sagen, wird oft als Elfenbeinturmdenken abgetan. Die UnternehmerInnen fragen kaum Ethikberatung nach. Warum es bei der Unternehmensethikberatung so harzt, ist eine offene Frage. Wahrscheinlich weil man von der Wirtschaftsethik «Lösungen» erwartet statt Orientierungen.

Wie würden Sie denn wirtschaftsethische Grundsätze formulieren.

UnternehmerInnen, ManagerInnen oder KapitalgeberInnen: verabschiedet euch vom Gewinnprinzip. Das ist die erste und wichtigste Grundlage. Wenn Gewinnmaximierung betrieben wird – das heisst, alles daran gesetzt wird, dass die Gewinne so hoch wie möglich sind – ist das unternehmerische Handeln alles mögliche, aber nicht legitim. Man versucht ja das Gewinnprinzip zu retten, indem man sagt: Ethik zahlt sich langfristig aus. Vier Argumente dagegen: Erstens ist Ethik nicht messbar, zweitens ist der Gewinn nicht neutral, drittens erfolgt das Einhalten ethischer Grundsätze so bestenfalls opportunistisch und viertens wird hier letztlich das Recht des Stärkeren, also eine Antiethik, vertreten: Beachtet wird nur der, der die Macht hat, auf die Rentabilität Einfluss zu nehmen.

Warum werden wirtschaftsethische Standpunkte nicht nur von den UnternehmerInnen, sondern auch in den Medien nur wenig beachtet?

Das ist mehr ein Thema der Qualität der Medien, die jahrzehntelang das Kapital hofiert haben – indem sie etwa die Gewinne der Unternehmen einfach als «Erfolg» feierten, ohne einen Moment zu fragen, ob es sich um faire Wertschöpfung oder um unfaire Abschöpfung handelt. Sie sind auf die einfachsten populistisch-ökonomistischen Thesen hereingefallen und haben diese weiterverbreitet. Etwa indem sie die Marktmächte einfach abbildeten und als hinzunehmende «Tatsachen» verkauften. Natürlich gilt das nicht für alle Medien. Doch ich denke, gerade hier täte wirtschaftsethische Aufklärung Not.

Sie wünschen sich mehr Beachtung?

Ja natürlich, wobei ich mich persönlich nicht unbedingt beklagen muss. Aus meiner Sicht geht es hierbei weniger um mich, als vielmehr um die Idee und Vision einer ethikbewussten Ökonomie, in Theorie und Praxis. Die Aufgabe der Wirtschaftsethik besteht aus meiner Sicht letztlich darin, sich selbst als eine separate Disziplin überflüssig zu machen. Es wird zu wenig beachtet, dass das Thematisieren des Wirtschaftens immer durch und durch normativ ist. Und die Frage ist einzig: Tun wir das methodisch diszipliniert oder tun wir das aus dem hohlen Bauch heraus, wie es im Moment die gängige Praxis ist.