Im Namen der Bildung

Der neue Erziehungsdirektor Christian Amsler erläutert die Stellung von Glauben und Wissenschaft an den Schaffhauser Schulen und hegt doch Sympathien für die Hochschulinitiative.

Herr Amsler, wie sehen Sie die Rolle der Religionen in der Schule?

Christian Amsler: Religion hat immer mit Leben zu tun, daher ist es legitim, dass das in die Schule einfliesst. In unserer Gesellschaft gibt es verschiedenste religiöse Hintergründe. Wir müssen uns dem offen stellen und möglichst locker damit umgehen. Gerade bei der Religion prallen wirklich Welten aufeinander. Das ist eine Herausforderung, mit dieser Heterogenität professionell umzugehen.

Der Erziehungsrat hat eine Empfehlung zur Dispensation an religiösen Feiertagen herausgegeben. Werden da nicht die konfessionslosen BürgerInnen ungleich behandelt?

Wir haben gesagt, dass man als Eltern ein gewisses Recht hat, die Kinder aus der Schule zu nehmen. Aber wir haben die Hürde hoch gelegt, damit nicht Kreti und Pleti sagen kann: «Ja, jetzt ist halt Ramadan, jetzt gehen wir nicht in die Schule». Ungerecht finde ich das nicht, kann es doch auch andere, nicht religiös motivierte Dispensationen geben. Natürlich kann man sagen: «Es gibt Leute, die das nicht benutzen können». Das ist halt einfach so.

Also gibt es gewisse Privilegien für religiöse Menschen?

Da haben sie recht: zum Beispiel das Kopftuch, aber auch die Kopfbedeckung männlicher Juden werden anders gehandhabt als ein Baseballcap, das aus nicht-religiösen Gründen angezogen wird.

Da stellt sich die Frage nach der Rolle der Wissenschaft in der Schule. Im Lehrplan vermisst man die Evolutionstheorie schmerzlich.

Zur Person

Christian Amsler, geboren am 21. November 1963, ist seit dem 1. April 2010 Regierungsrat des Kantons Schaffhausen. Er hat von Rosmarie Widmer-Gysel das Bildungsdepartement übernommen.
Zuvor war Amsler, der mit einer Lehrerin verheiratet ist und drei Kinder im Schulalter hat, Prorektor der Pädagogischen Hochschule. Amsler ist zudem Oberst im Militär und Mitglied des Verwaltungsrats von Radio Munot.

Ich glaube, dass an vielen Schulen diskutiert wird, wie das Leben entstanden ist, sogar bis hin zu Fragestellungen aus der Biologie. Das ist natürlich eine schwierige Geschichte, da zwischen der Religion und dem biologischen Blickwinkel eine weite Kluft liegt. Meine persönliche Meinung ist jedoch, dass diese Diskus­sion unbedingt Platz haben sollte.

Gerade die Evolutionslehre ist aber eine der wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten 200 Jahre; grosse Teile der Biologie und Chemie sind gar nicht verständlich ohne dieses Grundwissen. Muss das den Lernenden nicht näher gebracht werden?

Ich pflichte Ihnen bei. Die Diskussion um die Entstehung der Welt ist etwas ganz Wichtiges. Aber da gibt es schnell geharnischte Reaktionen, christliche Verbände oder gläubige Eltern, die sich einmischen, und sagen: «Was sie da erzählen ist völlig falsch». Da möchte ich auch meine persönliche Überzeugung nicht einbringen, denn da muss und darf jeder selbst entscheiden, was er glaubt.

Wann soll denn Wissenschaftsunterricht anfangen?

Früh. Sehr früh. Es gelingt uns nicht, unserer Verantwortung für die Umwelt gerecht zu werden, wenn wir nur einige Wenige für die Naturzusammenhänge begeistern. Mit diesen Fragen muss sich jeder auseinandersetzen. Bei den Kindern, gerade wegen ihrer Freude am entdecken, muss das möglichst früh beginnen.

Wie wichtig ist die politische Bildung und der Staatskundeunterricht für Sie?

Politische Bildung ist meine Passion; da schlägt dann auch mein Pädagogenherz höher. Ich sehe auch, dass viele Junge wirklich Interesse haben an diesen Themen, wenn sie sich zum Beispiel in Schülerräten organisieren, wie in der geleiteten Schule Hohberg, die wir ja – leider nur noch bis in den Sommer – haben. Das wünsche ich mir: Dass die Jungen die Lust am Diskutieren und am Fällen von Entscheidungen verspüren.

Zum Verhältnis zwischen Familie und Schule: Wo hört denn die Verantwortung der Lehrer auf?

Das ist eine extrem schwierige Frage. Die Realität ist, dass eine Vermischung stattfindet. Ich denke, dass das auch gut ist für die Gesellschaft, wenn die Schule gewisse Aufgaben übernehmen kann. Ich möchte nicht sagen, dass die Eltern ihre Aufgaben vernachlässigen, aber Erziehung nimmt heute zu Hause weniger Platz ein als früher.

Ich sehe LehrerInnen als Begleitpersonen, die den Kindern ein Fenster zur Welt eröffnen. Das umfasst für mich eben auch, erzieherische Aufgaben zu übernehmen. Man kann da kaum trennen. Ich finde es legitim, dass ein Lehrer sagt, dass es ihm zu viel ist, wenn er die ganze Erziehungsarbeit übernehmen muss. Aber er hat trotzdem eine Verantwortung, nicht nur für den Moment, sondern auch für das weitere Leben.

Zur Hochschulinitiative: Sie haben diese zuerst befürwortet, und sind dann ein wenig zurückgekrebst, als Sie in den Regierungsrat kamen.

Als Florian Keller das in den Kantonsrat brachte, hatte ich Freude. Am meisten hat mich gefreut, dass Junge sagen: Nicht alle sollen nach Zürich und Bern abwandern. Ausbildungsplätze für Junge, auch in Verbindung mit der Schaffhauser Industrie, das ist ein hochspannender Ansatz. Wir können aber nicht einfach Schaffhausen zum Hochschulkanton machen. Ich glaube absolut an interna­tionale, nicht nur nationale, Kooperation. Ich sehe Potential, dass wir hier im Herzen von Europa sehr spannende Projekte anpacken können, zum Beispiel im Bereich der Ansiedlung von Instituten und Forschungszentren. Da versuchen wir, auf Ende Jahr eine Vorlage bereit zu haben. Persönlich habe ich natürlich auch Freude an unserer PH, die ich gerade im Kontext des Lehrermangels stärken möchte. Aber wir müssen auch weitere Anstrengungen machen, denn Standortmarketing hat viel mit Bildung zu tun.

Wäre dann die Hochschulinitiative nicht eine grosse Hilfe für Sie?

Doch, absolut. Sehen Sie, die Initiative ist im Kantonsrat gescheitert, obwohl man ihr viel Wohlwollen entgegen bringt. Sie ging wohl einfach ein wenig zu weit. Man fühlte sich wohl eingeengt. Da musste auch ich meinen Hut wechseln, um mit der Strategie des Regierungsrates einher zu gehen. Die Initiative wurde abgelehnt, aber in Kenntnis davon, dass man da wirklich etwas machen muss. Nun wird die Stimmbevölkerung das letzte Wort haben.