Integration durch Mitsprache

Die Schweizer Frauen erhielten 1971 das Stimm- und Wahlrecht. Doch noch ist ein grosser Teil unserer Bevölkerung, die zwar von unseren politischen Entscheiden betroffen ist, ohne politische Mitbestimmungsrechte.

Als die Schweizer Stimmbevölkerung am 17. April 1971 das Frauenstimmrecht einführte, war die Eidgenossenschaft eines der letzten europäischen Länder, das seiner weiblichen Bevölkerung den vollen Bürgerstatus zugestand. Die Widerstände in der Gesellschaft waren zum Teil heftig, die Vorbehalte gross. Und so vergingen weitere 20 Jahre des politischen und juristischen Kampfes, bis das Frauenstimmrecht schliesslich in allen Kantonen eingeführt war.

Die politische Gleichstellung von Mann und Frau war keineswegs ein Geschenk des Himmels, sondern das Ergebnis eines hartnäckigen Engagements, insbesondere der in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts erstarkten Schweizer Frauenbewegung. Sie reiht sich damit ein in den seit der Antike fortdauernden Kampf von politisch Marginalisierten um Einzug in den Wirkungsbereich der Demokratie. Dieser Demokratisierungsprozess ist mit Einführung des Frauenstimmrechts jedoch bei weitem nicht abgeschlossen.

In der als Musterdemokratie hoch gelobten Schweiz bleibt bislang mehr als einem Fünftel der Wohnbevölkerung das Stimm- und Wahlrecht einzig und alleine aufgrund der Tatsache verwehrt, dass sie oder er keinen Schweizerpass besitzt. Dabei ist die ausländische Wohnbevölkerung ebenso von den politischen Entscheidungen betroffen und sie zahlt in gleicher Weise Steuern wie die stimmberechtigte Mehrheit. Die vollständige Integration der ausländischen Wohnbevölkerung in den politischen Entscheidungsprozess ist deshalb eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Doch noch wird der Bevölkerungsteil ohne Schweizerpass nicht zum «Volk» gezählt, das in einer Demokratie die höchste Gewalt im Staate innehaben soll.

Unterschiedliche Demokratiemodelle

Die Argumente gegen die Einführung des AusländerInnenstimmrechts sind zum Teil die gleichen, die vor 30 und mehr Jahren aus reaktionären Kreisen gegen das Frauenstimmrecht vorgebracht wurden. Im Vordergrund stehen insbesondere Zweifel an der politischen Mündigkeit und am politischen Interesse der AusländerInnen sowie die davon ausgehenden Gefahren für Demokratie und Gesellschaft. Die Widerstände gegen das AusländerInnenstimmrecht sind in der Deutschschweiz weitaus stärker als jenseits des Röstigrabens.

Dies dürfte insbesondere auf unterschiedliche Demokratiemodelle zurückzuführen sein, welche in den verschiedenen Landesteilen vorherrschen. Während in der Deutschschweiz die Vorstellung einer Bürgerdemokratie dominiert, welche auf der Nationalstaatlichkeit basiert und bei der nur die klassischen StaatsbürgerInnen stimmberechtigt sind, orientieren sich die Romands stärker an einer durch Rousseau geprägten Betroffenendemokratie, die alle mitbestimmen lassen will, die von Entscheiden betroffen sind.

Diese unterschiedlichen Demokratiemodelle finden schliesslich Ausdruck in der Tatsache, dass in den Kantonen, in denen französisch gesprochen wird, die ausländische Wohnbevölkerung bislang weit stärker politisch integriert ist. Heute verfügt die ausländische Bevölkerung in allen welschen Kantonen über politische Rechte – mit Ausnahme des Wallis. Aber auch in einigen Kantonen der Deutschschweiz ist das AusländerInnenstimmrecht inzwischen bereits Realität.

Vorreiterrolle

Die Kantone Jura und Neuenburg kennen das AusländerInnenstimmrecht sowohl auf kantonaler als auch auf kommunaler Ebene. In den Kantonen Waadt, Freiburg und Genf beschränkt sich das AusländerInnenstimmrecht auf die Gemeindeebene. In den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, Graubünden und Basel-Stadt können die Gemeinden das Stimm- und Wahlrecht für AusländerInnen für kommunale Angelegenheiten einführen. In weiteren Kantonen wurden entsprechende Vorlagen bisher abgelehnt. So auch im Kanton Schaffhausen, als der Stimmbevölkerung 2001 zeitgleich zur totalrevidierten Kantonsverfassung eine Variantenabstimmung zum AusländerInnenstimmrecht vorgelegt wurde.

Die Kantone, in welchen der Wunsch bereits Realität ist, unterscheiden sich jedoch nicht nur hinsichtlich der politischen Ebene, auf der den AusländerInnen ein politisches Mitbestimmungsrecht eingeräumt wird. Auch die Unterschiede in Bezug auf die Voraussetzungen zur Erlangung des Stimmrechts sind zum Teil beträchtlich. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden müssen AusländerInnen beispielsweise nicht nur mindestens 10 Jahre in der Schweiz und 5 Jahre im Kanton wohnen, sondern sich auch mit einem ausdrücklichen Begehren um das Stimmrecht bewerben. Im Kanton Jura bleiben sie von kantonalen Verfassungsabstimmungen ausgeschlossen.

Bisher positive Erfahrungen

Die bisher gesammelten Erfahrungen mit der Ausweitung des Stimmrechts auf AusländerInnen sind durchwegs positiv. Wie bereits beim Frauenstimmrecht, zeigt die Praxis, dass die Ausweitung des Stimmrechts die Demokratie nicht geschwächt, sondern gestärkt hat. Die bisherigen Erfahrungen offenbaren, dass AusländerInnen auch in politischer Hinsicht ebenso heterogen sind wie die einheimische Bevölkerung. Ihr Stimmverhalten weicht nicht signifikant von dem der SchweizerInnen ab. Die Befürchtungen vor allem von bürgerlicher Seite, AusländerInnen würden vornehmlich links stimmen und wählen, haben sich bisher als unbegründet entpuppt. Es fragt sich deshalb, wovor die GegnerInnen dieser nötigen Verbesserung der Demokratie eigentlich Angst haben.