Vollgas bis in den Abgrund

Der Glaube ans Wirtschaftswachstum ist schon fast Religion in Westeuropa. Dabei erhärtet sich kaum eine These der Wachstumsprediger, im Gegenteil: ungebremstes Wachstum führt unweigerlich zu Problemen.

Der Clown Leo Bassi, der erst kürzlich in der beliebten Sendung «TV total» einen Auftritt im deutschen Privatfernsehen hatte, verdeutlicht in seinem neuen Programm eine Besonderheit unserer Wirtschaft: die Art und Weise wie wir Erfolg messen. Dazu zerstört er mutwillig eine ganze Reihe von Dingen, die in der EU hergestellt werden, und erklärt dabei, dass dies das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigere und deshalb sinnvoll sei.

Was absurd wirkt, führt dem Zuschauer einen grundlegenden Fehler in der Verwendung des BIP vor Augen, denn das BIP ist einer der beliebtesten Massstäbe um den Erfolg einer Gesellschaft einzuschätzen. Dabei scheint es sich denkbar schlecht mit den Erwartungen zu vertragen, gemäss welcher unsere Wirtschaft nachhaltig sein und den Bedürfnissen zukünftiger Generationen Rechnung tragen soll.

So kommt der kritische Journalist Urs P. Gasche in seinem Buch «Das Geschwätz vom Wachstum» zum Schluss, dass «das Bruttoinlandsprodukt ein untauglicher Massstab ist, um den Wohlstand oder gar die Lebensqualität einer Nation zu bewerten». Um die These zu untermauern, führt er Ereignisse an, die das BIP steigen lassen (also «Wirtschaftswachstum» hervorrufen): Von Verletzten bei Unfällen über undichte Häuser bis zu Spam-Emails, das BIP interessiert sich nicht für die Umstände, welche zur «Wertschöpfung» führen, sondern addiert blind sämtliche Arbeiten auf, die bezahlt werden.

Für Gasche ist klar: Wirtschaftswachstum hat mit Wohlstand und Lebensqualität wenig zu tun und er argumentiert deshalb für Nullwachstum. Doch er ist keineswegs der erste, der den allgemeinen Kanon des unaufhörlichen Wachstums kritisiert. Als 1972 WissenschaftlerInnen beim «Club of Rome» eine der ersten Computersimulationen zur globalen Entwicklung des Ressourcenverbrauchs und der Bevölkerungsentwicklung erstellten, glaubte noch kaum einer, dass aus Wirtschaftswachstum ernsthafte Probleme entstehen könnten. Mit ihrem Buch «Die Grenzen des Wachstums» zeichneten die Autoren um Donella und Dennis Meadows ein düsteres Bild der Zukunft. Ihrer Argumentation liegen zwei Feststellungen zu Grunde: die Explosion der Wirtschaftsleistung bei exponentiellem Wachstum und die Begrenztheit der natürlichen, nicht-erneuerbaren Ressourcen.

Um den ersten Punkt zu verstehen, ist es notwendig zu wissen, wie exponentielles Wachstum funktioniert. Wachstum ist dann exponentiell, wenn die Zunahme nicht stets gleich ist, sondern vom vorherigen Wert abhängt. Man kann als Beispiel ein Bankkonto nennen, dem jedes Jahr ein Zins von zwei Prozent zugerechnet wird. Das besondere am exponentiellen Wachstum ist, dass es auf den ersten Blick harmlos aussieht. Niemand glaubt, dass er jemals durch Zinsen reich werden kann. Und tatsächlich dauert es ganze 36 Jahre bis aus einem auf dem oben erwähnten Bankkonto angelegter Franken zwei geworden sind. Weitere 36 Jahre später sind es vier geworden. Es ist also die Wachstumsrate welche sich bei exponentiellen Prozessen verdoppelt.

Die Weltwirtschaft (das Bruttoweltprodukt, wenn man so will) ist in den vergangenen Jahren im Durchschnitt um ca. 4 Prozent gewachsen. Die Verdoppelungszeit beträgt demzufolge ungefähr 18 Jahre. In ihrem Buch argumentieren die WissenschaftlerInnen des «Club of Rome», dass ein derartiges Wachstum unhaltbar sei, und deshalb aufgrund der mangelnden Ressourcen, des eingeschränkten Raums und der Verschmutzung der Umwelt nach einer gewissen Zeit zum Kollaps des gesamten Systems führen müsse.

Trotz all dem bleibt die Idee, die Wirtschaft (oder genauer: das BIP) müsse wachsen, weit verbreitet. So gibt der Think-Tank Avenir Suisse eine «Diagnose Wachstumsschwäche» heraus, und der Basler Wirtschaftsprofessor Silvio Borner fordert gar: «Die Privatisierung weiter Teile des Gesundheitswesens, der Bildung (vor allem der höheren) und die Entmythologisierung des Service Public» um das Wachstum anzukurbeln. Für Gasche und seinen Ko-Autor Hanspeter Guggenbühl bleibt die Frage, was denn so stark wachsen soll. Sie sind überzeugt: «Wachstum frisst Erholungsräume, verursacht Lärm und reichert Wasser, Böden und Luft mit Schadstoffen an.»

Auch die These, dass Wachstum die Welt gerechter mache, also den Graben zwischen Arm und Reich schliessen könne, lässt sich empirisch nicht erhärten. Denn gemäss einer Studie der Harvard University ist die Einkommensverteilung in den letzten dreissig Jahren, in denen die Wirtschaft unablässig gewachsen ist, nur unmerklich gerechter geworden, während die Vermögensverteilung sogar einen gegenteiligen Trend aufwies.