Till Aders über den reformierten Staatsschutz und die gute alte Fiche.
Damals, als am Ende des Kalten Krieges in der Schweiz der Fichenskandal aufgedeckt wurde, war die Schweizer Bevölkerung erschüttert. PolitikerInnen aus allen Lagern erklärten, dass es eine solche Schweinerei ohne gesetzliche Grundlage nicht wieder geben dürfe. Das Volk war besänftigt. Es war stolz, solche PolitikerInnen gewählt zu haben. Es sollte sie nicht mehr geben, die Fichen.
Die PolitikerInnen haben ihr Versprechen gehalten: Es gibt keine solche Schweinerei mehr ohne gesetzliche Grundlage. Doch was ist faul an der Geschichte? Nicht die Schweinerei wurde abgeschafft, nein, es wurde die gesetzliche Grundlage für die Schweinerei geschaffen. Und die versprochene Kontrolle des «reformierten Staatsschutzes» wurde schlicht weggelassen. Der Staat schnüffelt also fröhlich und unkontrolliert weiter.
Im Jahr 2009 waren 120’000 Personen – nur fünf Prozent davon mit Schweizer Pass – in der Staatsschutzdatenbank Isis registriert, dazu kommen 83’000 Drittpersonen ohne «eigene Staatsschutzrelevanz». Bei diesen Fichen handelt es sich nicht mehr um Zettelchen, die an einem bestimmten Ort physisch gelagert sind, sondern um Datenbanken, auf die von überall her zugegriffen werden kann.
Schaffhausen ist erfreulich untervertreten: Im kleinen Paradies wurden im Auftrag des Bundes weniger als 50 Personen registriert, welche ein Risiko für die Sicherheit der Schweiz darstellen. Unser Kanton scheint keine Hochburg für Staatsfeinde zu sein. Ausserdem kann der Datenschutzbeauftragte in Schaffhausen – im Gegensatz zu anderen Kantonen – Einblick in die Dossiers fordern.
Im Zeitalter von Myspace und Facebook, wo sich jeder seine Fiche selbst anlegt, ist nicht nur die Privatsphäre, sondern auch das Bewusstsein für ihre Wahrung in Gefahr. Dank Statusmeldung und aktuellen Partypics wird Bigbrother zum Lifestyle. Oder sind wir heute schlicht froh, dass im Namen der Sicherheit «gefährliche» Personen registriert werden?
Eine Ich-habe-ja-nichts-zu-verbergen-Mentalität, mit der auch Videoüberwachung und biometrische Pässe gerechtfertigt werden, greift um sich. Nach der Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die staatliche Überwachung ist das Problem aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden.
Damit ist die Strategie des Schnüffelstaats aufgegangen: Er hat geduldig abgewartet und die Empörung hat nicht etwa dazu geführt, dass der Staatsschutz wirklich reformiert worden wäre. Er hat gewartet, bis sich die Empörung in Luft aufgelöst hat und darf nun mit noch mehr Willkür und noch weniger Kontrolle weiter fichieren.