Im Grundsatz falsch

Thomas Leuzinger über den Islam und die Ausübung der Religion im öffentlichen Diskurs: Statt das Verhältnis zwischen Kirche und Staat zu klären, kümmern sich die Politiker lieber um Kopftuch- und Schwimmunterrichtsdebatten.

Bild Ben McLeod (flickr.com)

Die Arena thematisierte das Minarettverbot gleich in vier verschiedenen Sendungen. Zugegeben, einmal ging es lediglich um das Verbot der SVP-Plakate. Auch im SF-Club wird über «gefährliche Fundamentalisten» oder über das Minarett- und Burkaverbot diskutiert. Religiöse Themen sind in der politischen Debatte wieder im Trend.

In der Bundesverfassung steht, dass die Kantone für das Verhältnis zwischen Kirche und Staat und für den Religionsfrieden verantwortlich sind. Heute steht in diesem Artikel ausserdem, dass der Bau von Minaretten verboten ist. Seit der letzten politischen Debatte, die derart massive Eingriffe in das Verhältnis zwischen Kirche und Staat vorsah, sind Jahrzehnte vergangen.

Dass die aktuelle religionsfeindliche Entwicklung aber nicht der Säkularisierung zuzuschreiben ist, muss jedem aufgefallen sein, der die SVP-Plakatkampagne kennt. Faktisch wird mit dem Minarettverbot die Religionsfreiheit angegriffen, nicht aber die Säkularisierung vorangetrieben. Die SVP lehnt den Machtanspruch des Islam kategorisch ab und befürwortet im Gegenzug Zahlungen in Millionenhöhe an die christlichen Kirchen, damit diese ihren Machtanspruch wahren können. Die Politiker sind Religionsvertreter, wollen dies aber nicht wahrhaben und leugnen es deshalb auch konsequent. Schliesslich wurden die Minarette ja nicht aus kulturellen oder ästhetischen, sondern aus religiösen Gründen verboten.

Heute hält die Religion über die Hintertür Einzug in die Politik, obwohl sich die weltliche Macht in langen Kämpfen gegen die Religion durchsetzen konnte, befand eine Politologin jüngst in der Sendung BaZ-Standpunkte. Zumindest die Debatte rund um den Islam hat religiöse Vorstösse wieder salonfähig gemacht.

Nicht nur in der Politik, auch bei den Jugendlichen scheint eine neue Begeisterung für die Religion aufzukommen. Die International Christian Fellowship (ICF) bedient sich hippen Anglizismen und lädt in der Kammgarn zu einer Celebration (= Gottesdienst), was dem jungen Publikum die Message (= Predigt) schmackhafter zu machen scheint. Sogar Scientology geht es gut genug, um in Schaffhausen eine neue Filiale zu eröffnen. Der Papst ist sogar so frech, ein Büro zur Bekämpfung der Säkularisierung und zur Reevangelisierung des Westens einzurichten. War Laizismus nur eine Idee, welche bald der Vergangenheit angehört?

Die Mitgliederzahlen der Kirchen sprechen eine andere Sprache. Der prozentuale Anteil der Gläubigen an der Bevölkerung nimmt – entgegen der Wahrnehmung – nämlich stetig ab. Die Römisch-Katholische Kirche kann wegen der Immigranten immerhin noch bei der absoluten Mitgliederzahl eine leichte Steigerung verzeichnen. Doch die christlichen Landeskirchen müssen nicht um die Staatsbeiträge bangen, die Politiker sind vollauf mit Fragen rund ums Kopftuch und das Schwimmen im Schulunterricht, also mit dem Islam, beschäftigt.

Dass die Kirchen ihren öffentlich-rechtlichen Status und ihre Privilegien nicht einfach so hergeben, ist verständlich, aber der Staat wäre gerade in religiösen Angelegenheiten als neutraler Vermittler glaubwürdiger. Die vollständige Entflechtung von kirchlichen und staatlichen Strukturen führt noch lange nicht zu einem Verlust der christlichen Kultur.

Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ist immer noch zwiespältig, wie vor zweihundert Jahren. Die Debatten um Kopftuch- oder Minarettverbot leisten alles andere als einen wertvollen Beitrag zum öffentlichen Diskurs. Damit beschränkt sich dieser auf die Ausübung der Religion, anstatt das Verhältnis zwischen Staat und Kirche grundsätzlich zu hinterfragen.