«Nach der Krise»

Auslese

Nach der Krise ist vor der Krise. So könnte man den Titel des Buches von Roger de Weck, designierter Generaldirektor der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), ergänzen. Auf knappen 112 Seiten übt er sich in fundamentaler Kritik an der heutigen Wirtschaftsordnung.

«Die Weltwirtschaft erfüllt ihre Kernaufgabe nicht, nämlich die Menschen zu ernähren», zitiert er Nobelpreisträger Amartya Sen. Und erklärt mit den Worten von John Kenneth Galbraith: «Eine mächtige Firma hat den Markt nach besten Kräften den eigenen Planungszielen dienstbar gemacht.» Die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse spielt dabei nur eine sekundäre Rolle. Die Massnahmen, die nach der Krise breit diskutiert wurden, hält de Weck für zu kurzsichtig.

Es sind keine bahnbrechenden Erkenntnisse und auch keine Patentlösungen, wenn Roger de Weck in seinem Buch unter anderem festhält, dass es eine Weltwirtschafts- und Währungspolitik brauche, dass Kooperation ebenso wichtig sei wie Konkurrenz oder dass man Spekulationen da verbieten müsse, wo sie Schaden anrichten. Aber es ist eine pointierte Zusammenfassung der Lehren, die aus der Krise gezogen werden könnten. Und vor allem will das Essay eines: den Kapitalismus in der heutigen Form zur Diskussion stellen. «Ist der Kapitalismus eine Religion, war der Markt bis vor kurzem unfehlbar wie der Papst.» Dass dieser Zustand nach der Krise wieder eintritt, dagegen schreibt de Weck an. «Gegenwärtig wächst die Sorge , ein Teil der Finanzwelt sei nicht nur unbelehrbar, sondern auch unbezwingbar und werde früher oder später eine zweite, grössere Katastrophe auslösen.»

Der Sternstunde-Philiosophie-Moderator stellt dabei das Verhältnis von Staat und Wirtschaft ins Zentrum. Regierungen bräuchten eine Gesamtvorstellung des Rahmens, den sie der Wirtschaft setzen möchten. Die Wirtschaft dürfe nicht, wie sich der ehemalige Chef der Deutschen Bank äusserte, die fünfte Gewalt im Land werden, welche der Politik die Marschrichtung vorgebe. Den Ultraliberalisten mit ihrer Forderung nach einem schlanken Staat erteilt er eine Absage: «Der Anteil des Staates am Volkseinkommen der westlichen Länder beträgt alles in allem fünfzig Prozent.»

Statt an dieser Quote zu rütteln, sollte dem Staat zugestanden werden, die richtigen Massnahmen zur Regulierung des Marktes an die Hand zu nehmen, damit sich eine liberale Wirtschaftsordnung überhaupt durchsetzen kann. Momentan «ermöglicht die behördliche Intervention den Marktteilnehmern, die versagt haben und ausscheiden müssten, am Markt zu bleiben. Das müsste jedem Liberalen widerstreben. Paradox ist freilich, dass gerade die Finanzwelt den Etatismus schätzt, den Liberalismus fürchtet». De Weck wünscht sich einen Liberalismus ohne vorangestelltes «Neo» oder «Ultra» und Liberale, welche die Meinung anderer so ernst nehmen wie die eigene. Das System überlebe, wenn es Initiativen zu seiner Erneuerung ernst nehme.