Wider die Hexerei

Die Landeskirchen begründen ihre ausgeprägten Rechte damit, dass sie mehr als nur Vereine sind und die Gesellschaft vor Okkultismus bewahren. Doch der Rückhalt in der Bevölkerung bröckelt.

Die Evangelisch-Reformierte Kirche Schaffhausen verzeichnet einen stabilen Mitgliederrückgang von einem Prozent, was im letzten Jahr 361 Personen entsprach. Bei der Römisch-Katholischen traten bei rund halb so vielen Mitgliedern 230 KirchgängerInnen aus. «Die reformierte Kirche hat selbst eine Studie über die Entwicklung der Mitgliederzahl gemacht. Rein demografisch – nicht durch Austritte – gibt es Perspektiven, dass der Anteil in gewissen Regionen von 50 auf 20 Prozent zurückgehen könnte», sagt Matthias Gafner, Pfarrer in Hallau und Mitglied des Kirchenrates der Evangelisch-Reformierten Kirche Schaffhausen.

Während die Mitgliederzahlen schrumpfen, ist der politische Einfluss der Kirche längst weg. Immerhin bekennen sich die Parteien EVP, CVP und CSP in ihrem Namen zur Religion. Ihr Einfluss ist nicht nur in Schaffhausen übersichtlich und es sind nicht sie, die für religiöse Vorstösse wie ein Minarettverbot verantwortlich sind. «Eigentlich sind Kirche und Staat getrennt», sagt Gafner. «Die Kirche redet dem Staat nicht ins Geschäft und umgekehrt.»

Doch die Landeskirchen sind nicht einfach nur Vereine, sondern öffentlich-rechtliche Körperschaften, zumindest in Schaffhausen und 23 anderen Kantonen. Matthias Gafner sieht keinen Grund, an diesem Status zu rütteln. Es gäbe noch einige Verbindungen zwischen Kirche und Staat, aber diese würden sich auf ein Minimum beschränken. Dass Kirchenrat Gafner nicht freiwillig auf die öffentlich-rechtliche Anerkennung verzichten will, ist verständlich: Die Rechte und Vorteile einer Kirche gehen wegen dieser Anerkennung weit über die eines normalen Vereins hinaus. Unter anderem, weil der Staat für die Kirchen Steuern eintreibt und allein in Schaffhausen jährlich vier Millionen Franken Direktbeiträge bezahlt. (siehe Artikel «Das Geld ist der Schlüssel»)

Der öffentlich-rechtliche Status sei vor allem aus historischen Gründen in den Kantonsverfassungen verankert, erklärt Daniel Kosch, der Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz. «Die Kirche hatte lange eine sehr starke Stellung, war ein wichtiger gesellschaftlicher Player, und der Staat war der Auffassung, dass es gut sei, den drei Kirchen im öffentlichen Recht eine besondere Stellung einzuräumen.» Es habe im 19. Jahrhundert, als der öffentlich-rechtliche Status geschaffen wurde, zwei Gründe für diese Privilegien gegeben. Zum einen hätte man die Bedeutung der Kirche anerkannt und ihr daher gewisse Sicherheiten gewährt, zum andern sei es auch im Interesse des Staates gewesen, eine gewisse Aufsicht über die Kirche zu erlangen.

Es gilt das Kirchenrecht

Die Regelung kirchlicher Angelegenheiten ist Sache der Kantone und wird lange nicht überall gleich gehandhabt. In Neuenburg oder Genf sind Kirche und Staat weitgehend getrennt und die Kirche ist dem Staat als Verein privatrechtlich untergeordnet. In der Kantonsverfassung von Schaffhausen hingegen heisst es: «Die anerkannten Kirchen organisieren sich nach demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen selbstständig.» Sie hat also einen öffentlich-rechtlichen Status inne. Damit sind sie nicht dem Privatrecht unterstellt, sondern dem Kirchenrecht. In Schaffhausen können die Entscheide der obersten kirchlichen Instanzen allerdings noch beim weltlichen Obergericht angefochten werden.

«Es entspricht auch heute einem gesellschaftlichen Konsens, dass die Kirche in der Öffentlichkeit eine Rolle und Verantwortung innehat», erklärt Gafner. «Gerade auf dem Land, wo man einen Rückzug der Infrastruktur beobachten kann. Wo Schulen geschlossen werden, wo Kindergärten, Poststellen, der Laden, das letzte Restaurant schliessen. Oder wenn Gemeinden fusionieren und es im Dorf keinen Gemeinderat mehr gibt, dann übernimmt die Kirche eine soziokulturelle Aufgabe – das wird von der Bevölkerung geschätzt.» Der Kantonsrat bestätigte diese Ansicht, als er 2002 die Kantonsverfassung revidierte und keinen Anstoss an den Direktbeiträgen oder am öffentlich-rechtlichen Status der Landeskirchen nahm.

Die Kirchenvertreter begründen die speziellen Privilegien der Religionen unter anderem damit, dass die Kirche, im Gegensatz zu Naturschutz- oder Menschenrechtsorganisationen, einen umfassenden Service bieten. «Im Vergleich zu den anderen Non-Profit-Organisationen oder zivilgesellschaftlichen Kräften ist die Kirche eine sehr breit gefächerte Institution. Biografisch betrachtet beschäftigt sich die Kirche von der Wiege bis zur Bahre mit dem Menschen. Darüber hinaus ist sie im Sozialen Bereich tätig, kümmert sich um das Heil des einzelnen Menschen und setzt sich mit den Werten in der Gesellschaft auseinander. Damit ähnelt sie einer staatlichen Organisation viel eher als andere NGOs.» Auch Matthias Gafner meint: «Die Kirche hat eine Aufgabe an der Öffentlichkeit, die darüber hinausgeht, nur einfach zu meditieren oder individuell seine Frömmigkeit zu pflegen. Sie hat eine öffentliche Aufgabe, die auch zum sozialen Frieden beiträgt. Einen Bildungsauftrag zum Beispiel.»

Gerade mit dem breiten Engagement würden die anerkannten Landeskirchen beweisen, dass sie aufgeklärte Formen der Religion mit demokratischen Strukturen vertreten und deshalb auch der Verbreitung von Sekten oder okkultem Glauben entgegenwirken. «Man hat eine Zeit lang gedacht, die Religionen würden durch die Säkularisierung und den ‹Sieg der Vernunft› verschwinden und seien etwas, das überholt ist, das der Mensch überwinden wird», sagt Pfarrer Matthias Gafner. «Trotzdem wird es immer spirituelle Bedürfnisse geben, die von Kirchen oder irgendwelchen Gruppen aufgenommen werden. Dass sich die Leute gegenseitig Hexerei und Zauberei vorwerfen, das gibt es sogar bei mir in Hallau. Der Staat muss Gruppen, die eine totalitäre Tendenz aufweisen, nach Bedarf verbieten, kontrollieren oder auf eine andere Weise in den Griff bekommen.» In einer strikteren Trennung von Kirche und Staat sieht auch Daniel Kosch mehr Gefahr denn Fortschritt. «Hinter denjenigen Kräften, die keine öffentlich-rechtliche Anerkennung wollen, steht nicht ein freiheitliches Verständnis der Gesellschaft, sondern ein Kirchenverständnis, das ich für problematisch halte.»

Allerdings gibt auch er zu bedenken, dass die historischen Rechte für die Kirche gewisse Fragen aufwerfen. Etwa als der Bischof einen Pfarrer im Kanton Basel-Land absetzte, die Kirchgemeinde sich dies aber nicht gefallen liess und den Entscheid beim Kantonsgericht anfocht. Da die Kirchen aufgrund ihres öffentlich-rechtlichen Status dem Kantonsrecht unterstehen, musste der Bischof den Pfarrer wieder einstellen. Eine staatliche Einmischung, die hohe Wellen schlug. «Wobei ich finde, dass das die Kirche in keiner Weise behindert. Aber das wird innerkirlich sehr hitzig diskutiert», so Kosch.

Es gibt deswegen auch Stimmen, die es für eine gute Entwicklung halten würden, wenn den Landeskirchen der öffentlich-rechtliche Status aberkannt und die Beiträge gestrichen würden: «Wenn die Kirche arm wäre, würde sie auf den Kern zurückgeworfen, sich reformieren, besinnen und wieder von innen her Kraft zeigen und aufblühen», erklärt Matthias Gafner, der sich aber nur «teilweise» zu diesen Stimmen zählt. «Der Kirche würde ideell nicht der Lebensnerv abgeschnitten, wenn die Trennung von Kirche und Staat vollzogen würde. Das Fundament der Kirche ist das Evangelium und nicht irgendeine Institution, die ihr vorschreibt, was sie zu denken und zu machen hat», sagt Gafner. Die Tradition und die damit gewachsenen Strukturen seien aber schon ein «Vorteil und ein Vertrauensvorschuss».