Lohnband 3 unter null

Outsourcing heisst das neue Credo der kantonalen Verwaltung. Das bedeutet unterschiedliche Löhne für die gleiche Arbeit.

Beim Kanton Schaffhausen putzen Putzfrauen zu schlechten und Putzfrauen zu sehr schlechten Löhnen. Jetzt machen die Gewerkschaften mobil. Und in Deutschland fällt das Bundesarbeitsgericht ein bahnbrechendes Urteil. Lohnnachzahlungen in Milliardenhöhe stehen im Raum. Neues von der Tieflohnfront.

Svetlana L.* reinigt Büros im Schaffhauser Regierungsgebäude. Büros des kantonalen Baudepartements. Lohnklasse 1, Lohnbandminimum: 3261 Franken brutto im Monat, mal 13. Im Jahr 42’393 Franken. Janica S.* reinigt Büros im Verwaltungsgebäude Mühlental. Büros des kantonalen Volkswirtschaftsdepartements. Sie verdient 2580 Franken brutto im Monat, vom 13. Monatslohn erhält Sie nur 75 Prozent. Im Jahr verdient Janica, wenn sie überhaupt 100 Prozent arbeiten kann, 32’895 Franken. 9498 Franken weniger als Svetlana. Das wäre «Lohnband 3 unter Null», wenn es beim Kanton ein solches geben würde.

Weil Svetlana direkt beim Kanton angestellt ist, gilt für sie das ordentliche Personalgesetz. Janica hingegen arbeitet bei ISS und der Kanton kauft die Reinigungsleistung bei ISS ein. Outsourcing. Weil Janica nicht direkt beim Kanton arbeitet, gilt für sie das Personalgesetz nicht, sie muss nur nach Gesamtarbeitsvertrag (GAV) bezahlt werden. Und laut GAV ist der Einstiegslohn für «Unterhaltsreinigerinnen I» 17.05 Franken in der Stunde. Bei opulenten Aufstiegschancen: Bereits nach 3 Jahren kann Janica zur «Unterhaltsreinigerin II» aufsteigen, dafür gibt es 17.25 Franken oder 2610 Franken im Monat.

Regierung sieht kein Problem

Wie kann der Kanton als Arbeitgeber vertreten, dass zwei Frauen, welche für den Kanton dieselbe Dienstleistung erbringen, derart unterschiedlich entlöhnt werden? Diese Frage stand anlässlich einer Interpellation von SP-Kantonsrätin Ursula Leu im Zentrum der Ratsdebatte vom 24. 1. 2011. Für Regierungsrat Reto Dubach bestehen keine unüberbrückbaren moralischen Probleme. Erstens sei es nicht die heutige Regierung gewesen, die diesen Entscheid ursprünglich fällte, und zweitens sei es absolut rechtens, mit Firmen zusammenzuarbeiten, welche sich an den im GAV vereinbarten Lohn halten. Dass 2580 Franken brutto im Monat nicht zum Leben reichen, davon wollte Dubach nichts wissen. Er hat gut lachen: Als Regierungspräsident verdient er in zweieinhalb Tagen so viel wie Janica im Monat.

In Deutschland keimt Hoffnung auf

Szenenwechsel. In Deutschland haben es die Lohndrücker in den letzten Jahren im Rahmen der Osterweiterung der EU besonders bunt getrieben. Vor allem auf dem Bau hörte man immer wieder von sittenwidrig tiefen Löhnen in der Region von 3 Euro pro Stunde. Allerdings widerrechtlich und ohne Rückendeckung der Regierung.

Weil die Arbeitsmarktkontrollen besser zu greifen begannen, haben die Arbeitgeber der Tieflohnbranchen zu speziellen Tricks gegriffen. Sie haben Tarifverträge mit sogenannten christlichen «Gewerkschaften» abgeschlossen. «Gewerkschaften», welche im politischen Dunstkreis von CDU/CSU einzig dafür gegründet wurden, um mit den Lohndumpern Gefälligkeits-Tarifverträge abzuschliessen. So hat die christliche CGZP in den alten Bundesländern für Leiharbeiter tarifliche Mindestlöhne von 5.80 Euro und in den neuen Bundesländern von 4.80 Euro «ausgehandelt». Letzteres läuft auf Monatslöhne von 725 Euro hinaus – das sind 954 Franken.

Im Dezember hat das Bundesarbeitsgericht auf Betreiben der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi diesem Spiel einen Riegel geschoben. Es erklärte die christliche CGZP für nicht tariffähig, da nicht repräsentativ. Die CGZP hatte für rund 280‘000 Leiharbeiter Tarifverträge ausgehandelt – bei rund 1300 Mitgliedern. Die Folgen dieses Urteils lassen sich heute erst erahnen.

Nach deutschem Gesetz haben Arbeitskräfte, welche nach ungültigen Tarifverträgen gearbeitet haben, Anspruch auf betriebsübliche Entlöhnung. Und das drei Jahre rückwirkend. Erste Berechnungen zeigen, dass durch das bahnbrechende Urteil des Bundesarbeitsgerichts nachträgliche Lohnforderungen von bis zu 5.6 Milliarden Euro fällig werden dürften. Ein Betrag, um den Tausende Leiharbeiter geprellt wurden. Alles unter Obhut der senkrechten Christen.

Lohndruck stoppen

Die Gewerkschaften schlafen auch in der Schweiz nicht. Um eine untere Limite beim Lohnniveau zu erreichen, wurde am 25. Januar 2011 die Mindestlohninitiative lanciert. 22 Franken in der Stunde sollen mindestens bezahlt werden. SGB-Präsident Paul Rechsteiner hat sich anlässlich des Auftakts der Unterschriftensammlung unmissverständlich dafür ausgesprochen, dass Löhne auch dort zum Leben reichen müssen, wo keine Gesamtarbeitsverträge geschlossen werden können.

Denn: Unwürdige Tieflöhne sind schädlich für die Gesellschaft. Wer mit seinem Lohn den Lebensunterhalt nicht bestreiten kann, braucht Unterstützung vom Sozialamt. Und die Sozialhilfe bezahlen im Wesentlichen die Gemeinden. Und die Gemeinden gehören zu einem Kanton, welcher für sie haftet. Und wenn das der Regierungsrat mal merken würde, würde er Janica als Putzfrau, Lohnband 1, unterste Position einstellen. Und nicht in «Lohnband 3 unter Null» bei der ISS anmieten.

* Name der Redaktion bekannt