«Zivilisierte Marktwirtschaft»

Auslese

Peter Ulrich erhielt 1987 als erster Professor für Wirtschaftsethik im deutschsprachigen Raum den Auftrag, über den Tellerrand der Ökonomie hinauszublicken. Ulrich ist kein radikaler Systemkritiker, aber er betont die gesellschaftlichen Aspekte des Liberalismus – der dominierenden Denkweise der ökonomischen Zunft.

Der Liberalismus trägt die Freiheit im Namen. Der ökonomische Mainstream meint damit die Freiheit des Marktes. Die ermögliche aber lediglich die ungestörte Ausübung der Marktmacht der Besitzenden. Das hält Ulrich für undemokratisch. In einer Marktwirtschaft, die auch eine Demokratie ist, müsse die Wirtschaftsfreiheit wie andere Freiheitsrechte so ausgestaltet sein, dass sie allen zugute komme, denn «freie Bürger kommen vor dem freien Markt». Zwar solle die Politik Rahmenbedingungen setzen, in denen ein möglichst effizientes Wirtschaften möglich ist.

Wer aber vergisst, die Frage zu stellen, wessen Ziele effizient erreicht werden sollen, beginne überall ökonomische Sachzwänge zu sehen. Wer glaubt, dass der Markt dann am besten funktioniert, wenn er frei von gesellschaftlicher Verantwortung ist, könne die Schuld für wirtschaftliche Probleme nur beim Staat (zu hohe Steuern) oder beim Bürger (zu hohe Löhne) sehen.

So werde der Standortwettbewerb zu einem «Race to the Bottom» der politischen Rahmenbedingungen, das Wirtschaft und Politik der Fähigkeit beraubt, den Menschen ein Gefühl von Zugehörigkeit zu vermitteln. Ein Mensch kann gemäss Peter Ulrich nur dann seinen Platz in der Gesellschaft als selbstverantwortlicher, mündiger Bürger finden, wenn er Grundrechte, Grundfähigkeiten und Grundgüter besitzt. Getrieben vom Druck des Standortwettbewerbs dränge die bisherige kompensatorische Sozialpolitik den Bürger zunehmend in die Rolle eines Bedürftigen, der um seine Grundgüter betteln müsse.

Damit die demokratischen Mitbestimmungsrechte auch künftig noch wahrgenommen werden können, will Ulrich sie durch Wirtschaftsbürgerrechte ergänzen. Während der bisherige Sozialstaat aus Versicherungen und Almosen besteht, sollen diese neuen bedingungslosen Rechte einen fairen Einstieg in die Wirtschaft (Recht auf Arbeit, Startkapital) und einen teilweisen Ausstieg aus der Wirtschaft (Grundeinkommen) ermöglichen. Die so gewonnene Unabhängigkeit soll es den Bürgern wieder möglich machen, mit den Mitteln der Politik dafür zu sorgen, dass dem Markt Rahmenbedingungen gesetzt werden, unter denen er möglichst allen zugute kommt.

Da Politik und Wirtschaft von einzelnen Menschen gemacht werden, steht die Idee des Wirtschaftsbürgers im Zentrum von Peter Ulrichs Buch. Doch auch über die Rolle der Unternehmen, die Ethik oft nur als ein weiteres PR-Mittel betrachten, und über das Weltwirtschaftssystem, in dem der Finanzmarkt durch die Drohung mit Kapitalflucht die Zügel an sich gerissen hat, schweigt er sich nicht aus.