Angst und Ablehnung

Ausländer bauen unsere Tunnels, halten die Schweiz jung und pflegen unsere Alten. Dennoch sind sie nur als Gäste toleriert.

Stadtarchiv Schaffhausen (Bild)

Der Begriff «Ausländer» wurde im Zeitalter der Nationalstaaten gebräuchlich und ersetzte zunehmend die undifferenzierte Bezeichnung «Fremder». In der heutigen Schweiz war der Anteil dieser «Fremden» seit Beginn des 19. Jahrhunderts höher als in anderen europäischen Ländern. Nach der Gründung des Bundesstaates stieg der Ausländeranteil stark an und betrug zur Jahrhundertwende bereits über zehn Prozent.

Dieser Anstieg ist vor allem mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und der wachsenden Mobilität zu begründen. 1910 hatte die Schweiz – abgesehen von Luxemburg – mit 14.7 Prozent den höchsten Ausländeranteil aller europäischen Länder. Rund ein Drittel davon war unter 15 Jahre alt, denn im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern behielten die Kinder von Ausländern den Ausländerstatus gemäss dem Abstammungsprinzip (jus sanguinis), das in der Schweiz galt und bis heute gilt.

Nach dem Ausbruch des ersten Weltkrieges waren Mobilität und Niederlassungsfreiheit stark eingeschränkt. Auch die Schweiz erliess Gesetze, welche die Niederlassung erheblich erschwerten. Mit Erfolg: Der Ausländeranteil sank bis 1941 auf 5.2 Prozent. Gleichzeitig waren die Ausländer von der Mobilmachung überproportional stark betroffen. Paradoxerweise entstanden gerade in dieser Zeit Ängste vor einer «Überfremdung». Diese schlugen sich nieder im Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer von 1931, das in seinen Grundzügen bis heute funktioniert: Es berücksichtigte religiöse und wirtschaftliche Interessen sowie den Grad der «Überfremdung» des Landes. Ausländer wurden implizit in Kategorien eingeteilt, insbesondere Immigranten aus dem Balkan und osteuropäische Juden wurden als nicht assimilierungsfähig eingestuft.

Kurz nach den Judenpogromen von 1938 befand Heinrich Rothmund, Chef der Fremdenpolizei: «Wir haben nicht seit zwanzig Jahren gegen die Zunahme der Überfremdung und ganz besonders gegen die Verjudung der Schweiz gekämpft, um uns heute die Emigranten aufzwingen zu lassen.»

Der zweite Weltkrieg schränkte die Bewegungsfreiheit in Europa erneut stark ein. Schon vor dem Ausbruch verschärfte die Schweiz die Regeln für eine Niederlassung – vor allem für deutsche Juden. 1938 wurde auch hierzulande der «J»-Stempel in den Pässen deutscher Juden eingeführt, ab August 1942 nahm die Schweiz grundsätzlich keine «Flüchtlinge nur aus Rassegründen» mehr auf.

Die Rechtfertigung des Budesrates ist in die Geschichtsbücher eingegangen: «Das Boot ist voll». Die Ablehnung jüdischer Flüchtlinge war jedoch auch «durch eine weitverbreitete antisemitische Grundhaltung motiviert», wie die Unabhängige Expertenkommission Schweiz–Zweiter Weltkrieg feststellte.

Der Aufschwung nach dem zweiten Weltkrieg hielt in der Schweiz bis in die Siebzigerjahre an. Der Aufenthalt der zahlreichen Grenzgänger und Saisonniers wurde zeitlich begrenzt, was die Integration erschwerte. Sie sollten eine Art Konjunkturpuffer bilden und ihre Zahl im Falle einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums rasch wieder gesenkt werden können. Die Rechnung ging auf: In der Krise von 1974 senkte die Schweiz die Anzahl Fremdarbeiter um 300’000 und exportierte damit die Arbeitslosigkeit. Die Haltung der Schweizer gegenüber Ausländern blieb von Ängsten bestimmt: Von 1965 bis 1988 wurden sechs Volksinitiativen lanciert, welche die Zahl der Ausländer zu begrenzen versuchten. Alle wurden verworfen. Die Schwarzenbach-Initiative von 1970 führte zu ungewohnt heftigen Ausbrüchen von Fremdenhass.

Die Überfremdungs-Rethorik, die James Schwarzenbach erneut in Mode gebracht hatte, wurde in der Folge von immer mehr rechtsgerichteten Parteien aufgegriffen: Ab Mitte der 80er-Jahre von der Nationalen Aktion und der Autopartei, in den 90er Jahren übernahm die SVP das Erbe der Überfremdungsbewegung.