«È forte questa rucola»

Die Flaggen über den Parzellen zeigen es deutlich: AusländerInnen lieben Schrebergärten. Auf der Suche nach der Parallelgesellschaft.

Bojan Kodba setzt Sellerie in seinem grünen Paradies im Areal Widlen/Esenloh hinter Buchthalen. Bojan kommt aus Kroatien und lebt seit 23 Jahren in der Schweiz. Seit 13 Jahren bewirtschaftet er ein Grundstück von 250 Quadratmetern, das ausser Gemüsebeeten auch einen Rasen, ein Häuschen samt Holzofen und Küche und ein kleines Gewächshaus beherbergt. Er schaut von seiner Arbeit im Schrebergarten – oder Familiengarten gemäss offiziellem Terminus – auf, grüsst und wir setzen uns an den Gartentisch.

Unter den Kirschbaum, der schon hier stand, als Bojans Tante noch Pächterin des Gartens war. «Mein Schrebergarten ist mein Leben», sagt er. «Ich bin in Kroatien auf dem Bauernhof meiner Grosseltern aufgewachsen, deshalb kann ich ohne Garten nicht leben.» Um uns herum wächst eine grosse kulinarische Vielfalt: Kopf- und Schnittsalate, Rucola, Lauch, Zwiebeln, Knoblauch, Kohlrabi, Buschbohnen, Krautstiel, Salbei, Thymian und Liebstöckel, vor dem Häuschen stehen einige Rebstöcke und im Gewächshaus Tomaten und Auberginen, bald werden noch Zucchetti und Peperoni dazu kommen.

Joel, der Sohn von Michele, einem italienischen Freund und Schrebergartennachbar von Bojan, unterbricht das Rasenmähen, bringt uns auf Geheiss von Bojan ein Bier und setzt sich zu uns. Joel ist stolz auf seine Stellung als Bojans «Assistent», wie er sagt; er hilft hier mehr aus als im Garten seines Vaters, weil Bojan ihm dafür ein Sackgeld zahlt.

«Michele!», ruft Bojan durch die Gärten. Gemeinsam mit Michele ist Bojan Obmann über das Areal, sie mähen Rasenflächen, stellen im Namen anderer Gärtner Baugesuche für Häuschen und sorgen allgemein für Ordnung. Michele kommt nicht, dafür kommt Rossano, ebenfalls ein Italiener. Das Gärtnern, sagt er, sei sein Hobby und mache viel Spass. «Was soll ich zu Hause? Fernsehen? Hier kann ich mich erholen, und das ist günstiger, als in der Stadt shoppen oder im Restaurant sitzen.» Bojan stimmt zu: «Im Garten vergesse ich meine Sorgen. Wir verbringen einen grossen Teil unserer Freizeit hier, das ganze Jahr über, fast jeden Tag.» «Nur schlanker werde ich hier nicht, weil wir so viel essen», sagt Rossano und klopft sich auf den gebräunten Bauch. Bojan, Rossano und Joel sprechen untereinander italienisch.

Als Bojan nach Schaffhausen kam, hat er im Restaurant Schiff als Tellerwäscher gearbeitet und sich im Umgang mit Mitarbeitern und Chefin italienisch beigebracht. Als der Koch bemerkte, dass Bojan ihm ständig interessiert über die Schulter sah, holte er ihn zu sich an den Herd. So wurde Bojan Koch in einem luxuriösen Restaurant, dem er gratis die Erzeugnisse seines Gartens lieferte. Heute, nachdem er den Job gewechselt hat, verschenkt er den grössten Teil der Ernte an Freunde.

«Hier hilft einer dem anderen. Rossano hat früher als Bauleiter gearbeitet, er hat mir sehr geholfen beim Bau des Gewächshauses.» Sagt Bojan. Rossano winkt ab: «Wenn ich Hilfe brauche, kommt er, wenn er Hilfe braucht, komme ich.» Bojan stimmt zu: «Eine Hand wäscht die andere, wie die Italiener sagen.» Vier weitere Hände, die den Italienern Luco und Antimo gehören, gesellen sich zu uns, Joel muss schon wieder Bier aus dem Häuschen holen. Antimo mustert den Rucola, und Bojan ruft ihm zu: «È forte, questa rucola, porca miseria!» Antimo kostet mit Kennermiene und scheint nichts einzuwenden zu haben.

Zum Abschied füllt Bojan eine grosse Tüte mit Radieschen, Schnittsalat und Rucola, die am nächsten Tag ihre Verwendung im Lappi-Rezept (siehe Seite 32) finden. Bojan kommt mit bis zum Ausgang des Geländes, vorbei an den Gärten von Italienern, Türken Schweizern und Albanern. Er kennt alle persönlich. Bildet sich hier eine Parallelgesellschaft? Vielleicht. Eine Parallelgesellschaft von Gärtnern.