Jeder kann mich verpfeifen

Der Armut und der Schindluderei ausgeliefert: Eine wissbegierige Studentin wird in der Schweiz zur Kriminellen gemacht.

Maria, Du hast Dich entschlossen, illegal in der Schweiz zu leben, statt legal in Brasilien. Weshalb nimmst Du das auf Dich?

Maria: Es ist für mich in der Schweiz einfacher, als zurückzukehren. Ich kann die letzten 15 Jahre, die ich hier gelebt habe, nicht einfach rückgängig machen. In Brasilien habe ich keine besseren Chancen als hier. Zürich ist meine Heimatstadt, hier kenne ich mich aus.

Was hat dich denn an diesen Ort der Welt verschlagen?

Maria

Vor 15 Jahren kam sie das erste Mal in die Schweiz, zum Studieren. Damals ganz legal. Nun lebt sie seit einigen Jahren illegal in der Schweiz und will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, deshalb nennen wir sie Maria.

Ihre Heimat ist unterdessen die Schweiz, sagt sie. Zweimal reiste sie für wenige Monate zurück nach Brasilien. Bei der ersten Rückkehr war die B-Bewilligung noch gültig, die ihr einen zweckgebundenen Aufenthalt erlaubte. Allerdings durfte sie nicht arbeiten, da sie sich gemäss der Bewilligung nur zum Studieren in der Schweiz aufhielt.

Da sie ihr Studium selbst finanzierte, wurde die finanzielle Situation eng und nach einer Beziehungskrise reiste sie erneut zurück nach Brasilien. Danach verlängerten die Behörden die Bewilligung nicht und Maria reiste als Touristin in die Schweiz ein. Seither lebt sie illegal hier.

Ich wollte schon immer weg. Brasilien ist beinahe ein Kontinent. Ich wollte erfahren, was draussen ist. Es war der Wissenshunger, die Neugierde, die Welt kennen zu lernen. Ich wollte das Land aber nie ohne Abschluss verlassen und habe hart gearbeitet, um einen Studienplatz zu erhalten. Das habe ich auch geschafft. Danach wollte ich mich weiter ausbilden, was in Brasilien aber nicht möglich ist. Die Schweiz ist klein, das gefällt mir. Ich habe Philosophie im Hauptfach studiert und wollte Hegel in Originalsprache lesen. Die Schweiz hat mich ausgewählt und nicht ich sie.

Es hat dann ja auch alles reibungslos funktioniert und Du bist hierhergekommen. Studiert hast Du nicht von Beginn weg. Wieso?

Ich wollte nicht nur studieren, ich wollte eine andere Gesellschaft kennen lernen und merkte in der Schweiz dann, dass ich das auch erst tun muss. Deshalb hatte ich das Studium auf später verschoben und arbeitete als Au-Pair, um Regeln und Sitten kennen zu lernen. Ich konnte damals noch nicht so gut deutsch.

Danach begann das Studium.

Ja, und da beginnt der traurige Teil der Geschichte. Irgendwann war das Geld zu Ende und ich begann nebenbei als Babysitter zu arbeiten. Meine Arbeitgeberin und ich waren uns schon bewusst, dass ich das nicht durfte, aber es wurde immer enger.

Du hast Dein Studium selbst finanziert?

Ich bin zu emanzipiert, um Geld von meiner Familie zu nehmen. Man kann nicht nach Geld fragen, wenn man sich die eigenen Träume erfüllen will. Das Geld, das ich in der Schweiz verdienen konnte, war aber nicht genug, ich habe dann die Zwischenprüfung nicht bestanden und reiste zurück nach Brasilien.

Aber nicht für lange. Danach hast Du in Zürich weiter studiert und bist erst nach einer Beziehungskrise wieder für einige Monate nach Brasilien gereist.

Danach erhielt ich keine Bewilligung mehr. Ich bin als Touristin eingereist.

Wie hast Du das organisiert? Mit den Eltern, den Freunden in der Schweiz?

Meine Eltern wissen nichts davon, dass ich illegal in der Schweiz bin. Viel härter war aber, dass Kollegen und Bekannte, die erfuhren, dass ich keine Bewilligung mehr hatte, mir den Rücken kehrten. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. Eine langjährige Arbeitgeberin merkte dann auch, dass sie mich ausnutzen kann. Ich stand da, ohne Geld, ohne Job und ohne Wohnung.

Wie wurdest Du ausgenutzt?

Einmal musste ich Männerarbeit verrichten. Jetzt habe ich viele kleine Jobs, lebe weit unter der Armutsgrenze und kann beispielsweise nicht zu einem Arzt gehen. Jede Person kann mich verpfeifen. Aus diesem Grund verheimliche ich auch, dass ich Sans-Papier bin. Das ist psychischer und physischer Missbrauch. Die Angst ist aber das, was am meisten krank macht. Das Gesetz macht aus mir eine Verbrecherin. Ich muss mir beinahe jedes halbe Jahr eine neue Wohnung suchen.

Wie kommst Du an diese Wohnungen?

Das ist ein Geheimnis, das verrate ich nicht.

Du musst einen Job finden oder heiraten, um legal hier leben zu können.

Ich nehme mein Schicksal selbst in die Hand, was ich damit beweise, dass ich nicht heirate. Ich brauche jemanden, der mir einen Job gibt. Ich will mich nicht einbügern lassen, ich will eine C-Bewilligung, damit ich meine Ausbildung fertig machen kann. Ich will aber nicht nur die Rechte, sondern bin mir auch meiner Pflichten bewusst.