Der Eskimo im Sommerloch

Susi Stühlinger über sinnvolle Debatten und herbeifantasierte Ereignisse.

Erst war der Sommer kalt, dann war er heiss, und langweilig war er immer. Im Sommerloch machten wir uns Gedanken über die Leitmedien, die wir fleissig konsumierten und die Leitmedien machten sich Gedanken über das Übliche: Messerstecherinnen, Flugzeugabstürze, Erich Schlatter.

Trotz unserem sehr gelungenen Migrations-Lappi vom Mai blieb die Schweiz so fremdenfeindlich wie zuvor. Nur dank den zwei Plakatanstreichern vom Staatsdienst hegen wir noch ein Fünklein Hoffnung auf bessere Zeiten. Die Helden der Stunde waren dann auch gut in Redaktions- und Leserbriefspalten vertreten, die Debatte war ins Rollen gebracht. Ob wir Ähnliches mit dieser Lappi-Ausgabe schaffen, sei dahingestellt – zu bereden gäbe es einiges, auch in Bezug auf die Schaffhauser Medienlandschaft. Ach, und dann war da noch das mit dem Eskimo.

Unser Mitarbeiter las in einem Sommerloch-Tagimagi ein Porträt über Christoph Blocher. Draussen war es kalt und regnerisch. Im besagten journalistischen Erzeugnis las unser Mitarbeiter etwas von einem Eskimo, der während einer Teleblocher-Aufzeichnung hinter der Kamera herumschlich. Oder besser: Er glaubte, etwas über einen Eskimo bei Teleblocher gelesen zu haben. Wir alle glaubten infolgedessen an den Eskimo und an die überraschende Begabung zur sprachbildlichen Treffsicherheit des Tagimagi-Redaktors. Es leuchtete uns sofort ein, dass es sich beim Eskimo um keinen Geringeren als Verleger Norbert Neininger handeln musste – bis mal jemand darauf kam, ein bisschen zu recherchieren, und dabei herausfand, dass im besagten Tagimagi-Artikel (zu unserem grossen Bedauern) gar kein Eskimo vorkommt, weder alias N.N. noch überhaupt.

Aber so geht es doch immer mit den Medien. Einer sagt etwas, der Journalist schreibt es auf. Oder nicht ganz, nein, er schreibt das auf, von dem er glaubt, dass irgend jemand es gesagt habe. So lange es gut klingt, nach Auflage riecht und der Chef zufrieden ist. Gut klingen derzeit vor allem Sachen wie «Kosovare», «Vandalismus» oder «Verschleuderung von Steuergeldern». Drum werden die randalierenden Kosovaren durchs Sommerloch gehetzt, dass es einem unter der Lesebrille aus den Augen blutet; und wenn so eine Steuergeldverschleuderung schon mal zum Skandal aufgebläht wurde, dann bleibt sie das so lange, bis die Luft raus ist – und wenn die Luft raus ist, interessiert die Wahrheit keine Sau mehr. Nicht, dass es böse Absicht wäre, es passiert halt einfach. Die Folge: Ereignisse ereignen sich nicht, allzu oft werden sie herbeigeschrieben.

Besser wäre es, es gäbe mehr mutige Bürger, die etwas zu sagen haben und das auch tun. Notfalls auch mit weisser Farbe. Das wäre konstruktiv und brächte uns weiter, als das Herbeigeschreibe von unwichtigen Nicht-Ereignissen. Aber eben, so lange das kaum passiert … So verhält es sich mit der grossen Kür des journalistischen Schreibens wie im bekannten Mani-Matter Song: «Kunscht isch geng es Risiko» – der Eskimo, also doch.