Der liederliche Rest

Das kleine Paradies neu erzählt.

Schaffhausen ist nicht Sarajevo, das eine lange Tradition von Liebesbekundungen an die Heimatstadt kennt. Bis im Herbst dieses Jahres war es so, dass «homegrown» (Kiffersprache) Songs über Schaffhausen an einer Hand abgezählt werden konnten. Dann kam «Operation Paradiesdämmerung» aka «Occupy A ­Piece Of Paradise». Für die geschätzte Lappi-Leserschaft wärmen wir die Ereignisse der letzten Monate und Wochen noch einmal auf.

Erstmals bliesen wir im Frühling zur Attacke auf die Schaffhauser Standortkampagne, mit einem offenen Brief an Eingeborene wie Zugezogene, in diesem Print:

Liebe Schaffhauserin, lieber Schaffhauser

Sicher hast du schon bemerkt, dass deine Haamet im nahen Ausland (Zürich) beworben wird: Die Kampagne heisst «Schaffhausen. Ein kleines Paradies», ist nicht sonderlich originell aber umso grossspuriger produziert, und hat zum Ziel, junge, finanzkräftige Familien zum Herziehen zu bewegen. Vor all dem Eventschwachsinn wie der gesponsorten Heirat am 11.11.2011 auf dem Rheinfallfels haben die verantwortlichen Standortschreier nicht nur eine Homepage programmieren lassen, sondern auch einen «Imagefilm» und einen «Song». Letzterer wurde bei Marque (Austria) in Auftrag gegeben und heisst «A Piece Of Paradise». (Lappi tue d’Augen uf – Das Magazin für alternative Politik, 6. Ausgabe, Mai 2011)

Herausgekommen war ein Lied mit einem pathostriefenden Text*, der dann auch noch sowas von affektiert eingesungen wurde, dass wir es uns erst als Ringtone herunterladen, als Combox-Ansprache installieren und Hollenstein anrufen wollten, auf dass dem höchsten Wirtschaftsförderer beim Rückruf, den wir ausgesessen hätten, ungeahnte Schmerzen bereitet gewesen wären. Dann hatten wir eine bessere Idee: Wir wollten das musikalische Feld nicht den Standortwerbern überlassen und starteten «Operation Paradiesdämmerung», Parole: «Musizieren statt Töten!»

Nun gab es zu Marques I-am-satisfied-Würg zwar Alternativen. Aber Dieter Wiesmanns Lied «Bloss E Chlini Stadt» zu covern, wäre zu billig gewesen, und auf David Bells «Munotglöcklein»-Coverversion konnten wir nicht warten. Sonst gab es da noch «Schaffhausen ist eine Illusion» von den Aeronauten, Olifr M. Guz: «Schaffhausen ist eine Illusion / wenn ich mich umdreh, geht es weg». Aeoronauten-Saxophonist Motte sagte einst darüber: «Das ist ja nicht wirklich Schaffhausen, das eine Illusion ist. Das kann irgendein Ort sein, das könnte Wien sein, wenn es dreisilbig wäre». Und dann hatte Nachtschwärmer Gran Purismo einen Track realisiert: «Es isch widermal Samschtigabig, Jau! / im TapTab sind ali futzdruff / chume zimlich gschiibet usem Domino / gang is Andaluz und suff / …». Schöner als in «Widermal Uf De Gass» wurde das kaputte Schaffhausen nie besungen.

Das war uns aber zu wenig. Wir fragten euch, die ihr in Schaffhausen lebt, deshalb: Was ist Schaffhausen für euch? Wie tönt es? Und baten euch: Blast eure darkesten Trompeten, dirigiert einen Kinderchor, aber komponiert ein Lied über Schaffhausen, wie es sich für euch anhört! Dem Aufruf folgten zig Musikerinnen und Musiker. Spielrauschs Möhr gründete die Reggae¬band «Bob Möhrley and the Waiters» und spielten «Bombe Über Neuhuuse» bzw. «Chlises Paradies» ein, Lo-Fat-Orchestra-Frontmann Chrisi erschuf die Figur De Botschafter und postulierte über einen Trashbeat: «Ich bi de Botschafter vom chline Paradies», Marco 3000 (Marco Del Ferro, Marc Zimmermann & Regi Hauser) produzierten den Song «The City Called Schaffhausen (The Town That Never Sucks)», Fokkin‘ Vlahos packte sein Electronic Wind Instrument (EWI) aus und coverte «L‘Ombelico Del Mondo» (Giovanotti) als «I dem Club hätts nur Mongos», Odi und Raa mit Gitarre und Handharmonika traten als Schorschi & Tommi mit «Des schönste Städterl auf da Wööd» und «Kopfsteinpflasterpolka» auf. Sie und einige andere (David Heil und Basil Kraft aka Duo Heilkraft, Sebastian Babić, Stefan Kiss und Gavin Maitland, Philipp Lippuner, Susi Stühlinger und ich) komponierten «Neue Schaffhauser Hymnen» und produzierten dazu teilweise Videoclips, die vor dem Konzerttermin am 11.11.2011 im TapTab Musikraum im Internet kursierten.

Das sorgte für Aufmerksamkeit. Die «schaffhauser az» berichtete, das «Schaffhauser Fernsehen» konfrontierte die Wirtschaftsförderung mit unseren Behauptungen, dass die Kampagne einseitig auf kinderreiche Gutverdiener ausgerichtet sei, was die Aufwertung voran und die Mietpreise in die Höhe treiben würde. Der gutaussehende Sprecher im «Haus zur Wirtschaft» antwortete: «Wir richten unsere Kampagne breit aus. Wir haben schon eine Zielgruppe, aber das sind Familien. Wir machen keinen Unterschied, ob sie reich oder arm sind.» Viel Aufregung um eine Fasnachtsveranstaltung, eventuell ist das ja der Beginn einer närrischen Kultur, die sich nicht mit Schenkelklopfern als Rückmeldung des Publikums begnügt. Der Gegenevent zur Hochzeit auf dem Rheinfallfels im TapTab war jedenfalls anarchistisch bunt und wild. Dank allen, die mit uns ein kleines Paradies besetzt haben. «Tout Schaffhouse» (SN, 9. November) war nicht da, dafür drängte an diesem Abend der ganze liederliche Rest in den TapTab!

PS: Neben Liedern sammelten wir an diesem Abend auch Marketingideen. Auf die Frage der Moderation, womit sie Schaffhausen bewerben würden, wären sie die Wirtschaftsförderung, antworteten die Musiker/innen u.a. mit: «Ich würde mit den paradiesischen Zuständen im Schaffhausen werben, dem Rhein, dem Munot etc. Die Kampagne würde ich ‹Schaffhausen, ein kleines Paradies› nennen.» (David Heil), «Bier!» (Guz) oder «Ein gutes Produkt braucht keine Werbung» (De Botschafter).

PPS: Samuel Hartmann aka Sam Hell hat die Auftritte aufgenommen und wird sie nachbearbeiten. Die Idee kam von Marco Del Ferro: Er sprach im Sommer davon, dass man doch gleich einen Sampler produzieren könnte mit all den Liedern, die eigens für «Operation Paradiesdämmerung» komponiert wurden. Das machen wir, low-budget, versteht sich. Im Dezember hauen wir alle «Neuen Schaffhauser Hymnen» als Tonträger raus, als Weihnachtsgeschenk von SchaffhauserInnen für SchaffhauserInnen. Bedenkt: «Jesus Christus ist für uns alle am Kreuz gestorben, damit wir hier billigen Wohnraum vorfinden» (Fokkin‘ Vlahos)!

* Textauszug: « … / One day / You will find it / a piece of paradise / and you will see right through the stars. / One day / You will find it / your piece of paradise / and it will show how cool you are. / When I’m / Taking a rest here / My soul is floating / All time / Is spent at the best here / My mind’s devoting / I feel totally / That I am ready to gain eternity / …».