Mattias Greuter und Thomas Leuzinger über die fortschrittliche, liberale Schweiz, die die Minderheit der Homosexuellen weder rechtlich noch gesellschaftlich als gleichwertig anerkennt.
Schwule werden kastriert und therapiert. Sie treffen sich – versteckt – in der «Schweinebucht» bei Büsingen oder schlüpfen durch einen Hintereingang in eine Schwulenbar an der Hochstrasse. Das war vor weniger als fünfzig Jahren. Heute steht die Homosexuellen-Szene nicht mehr am Rande der Legalität. Weil Homosexuelle mehr Rechte haben und weil sich die Gesellschaft weiterentwickelt hat.
Doch die Schwulen und Lesben, die mit ihrer sexuellen Ausrichtung einer Minderheit angehören, werden trotz zahlreicher Verbesserungen im rechtlichen und gesellschaftlichen Bereich noch immer nicht als vollständig gleichwertig akzeptiert. Anders ist es nicht zu erklären, dass es immer noch Schwule und Lesben gibt, die ihre Neigungen auch vor ihrem engsten Bekanntenkreis geheim halten, wie die junge Frau, die sich in dieser Ausgabe dem Lappi gegenüber geoutet hat. Oder dass sich viele Homosexuelle in ihrem Alltag durch Sprüche, Witze oder Beleidigungen diskriminiert fühlen.
Diesen Sommer hat ein junger US-Soldat, der im Irak stationiert ist, für eine kleine Internet-Sensation gesorgt. Getarnt mit dem Benutznamen «AreYouSurprised» hat er auf Youtube über seine Homosexualität gesprochen. Erst ohne sein Gesicht zu zeigen, vertraute er einem weltweiten Publikum etwas an, von dem nicht einmal seine Eltern wussten. Er erzählte davon, wie er zum ersten Mal merkte, dass er auf Männer steht und sprach über die vor kurzem offiziell abgeschaffte «don’t ask, don’t tell»-Regelung beim amerikanischen Militär, wonach Homosexuelle zwar Dienst tun dürfen, aber nur, wenn niemand von ihren Neigungen weiss. Nach einiger Zeit und vielen positiven Rückmeldungen outete sich der Soldat: persönlich gegenüber Dienstkameraden und am Telefon gegenüber seinen Eltern. Jetzt zeigte er auch sein Gesicht, filmte alles und stellte die Aufnahmen ungeschnitten auf Youtube.
Man mag der Auffassung sein, solche Dinge gehörten in einen privaten Rahmen, doch muss man dem jungen Mann Respekt zollen für seinen Mut. Und zugleich ist es schade, dass ein Coming-Out heute immer noch Mut braucht.
Es sind aber nicht nur soziale, sondern auch rechtliche Debatten im Gange. Klar, die Rechte der HomoÂsexuellen sind bei weitem nicht mehr so eingeschränkt wie im 16. Jahrhundert, als ein Mann in Schaffhausen auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, weil er schwul war. Ob man gleichgeschlechtlichen Paaren aber beispielsweise das Recht auf Adoption gewähren soll, ist nicht unbestritten und aktuell Thema in den nationalen Parlamenten.
Ein weiteres Indiz für die noch anstehenden und notwendigen Debatten zum Thema Homosexualität sind die unterschiedlichen rechtlichen Regelungen und gesellschaftlichen weltweit. Es gibt selbst auf unserem Kontinent immer noch einige Länder, in denen es keine rechtliche Anerkennung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften gibt. Das Mass an Akzeptanz ist aber schon von Kanton zu Kanton unterschiedlich, wie Michael Läubli, der Präsident des les-bi-schwulen Vereins Queerdom, gegenüber dem Lappi sagte.
Bis die rechtliche Gleichstellung erreicht wird, braucht es noch einige Überzeugungsarbeit. Nicht nur in christlichen Kreisen, wie das Interview mit EDU-Kantonsrat Erwin Sutter ersichtlich macht, sondern auch in grossen Teilen der Gesellschaft, die den Homosexuellen nach wie vor keine vollständige Rechtsgleichheit gewährten wollen. Die Schwule und Lesben wegen ihrer Sexualität demütigen, die «schwul» als Schimpfwort kennt und, wenn nicht explizite, dann doch immerhin implizite Vorurteile gegenüber Homosexuellen kennt. Immerhin kann man heute davon ausgehen, dass kaum mehr 46 Prozent der Leute HomoÂsexualität als eine Krankheit betrachten würden, wie das Schaffhauser Monatsmagazin «Info» unter Berufung auf eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach im Jahr 1976 schrieb.