Ein jahrzehntelanger Kampf

Das Ringen um rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen ist in der Schweiz noch nicht zu Ende.

Bis weit hinein ins 20. Jahrhundert war Homosexualität gemäss den damals noch kantonalen Strafgesetzbüchern strafbar. Sie wurde als unnatürliche Charaktereigenschaft qualifiziert und unter Strafe gestellt. Im Namen von Sitte und Moral sollten die Neigungen der Homosexuellen durch die Androhung von Gefängnis geändert oder zumindest unterdrückt werden.

Mit der Entwicklung der medizinischen Psychiatrie wandelte sich die Homosexualität in den Augen der Gesellschaft von einer Charaktereigenschaft hin zu einer psychischen Krankheit. Dies verbesserte die Akteptanz gegenüber Homosexuellen keineswegs.

Die Idee, in der gleichgeschlechtlichen Orientierung eine menschliche Eigenschaft und nicht eine Charakterschwäche oder Krankheit zu sehen, war weit von einem Durchbruch entfernt. Erst das Umdenken im Vorlauf zur Einführung des neuen (nationalen) Strafgesetzbuches im Jahre 1942 führt zur Straffreiheit sexueller Handlung gleichgeschlechtlicher Erwachsener. Eine menschliche Eigenschaft sei als gegeben zu betrachten, so die Haltung des Gesetzgebers, und dies müsse insbesondere auch von staatlichen Instanzen respektiert werden.

Die Streichung der entsprechenden Artikel im Strafgesetzbuch verbannte die offensichtlichsten Diskriminierungen aus den Gesetzestexten. Die homosexuelle Ausrichtung war in den Gesetzen kaum mehr präsent; dies bedeutete jedoch auch, dass sie sich auf keine Rechte berufen konnten, welche auf ihre Lebenssituation zugeschnitten waren. Erst in neuerer Zeit stellten sich der tradierten Ansicht von Sitte und Moral die Rechte des Einzelnen auf Achtung seines individuellen Lebensentwurfs gegenüber.

Der bisherige Schlusspunkt in der rechtlichen Akzeptanz der Homosexuellen ist in der Annahme des Partnerschaftsgesetzes im Jahre 2005 zu sehen. Erstmals weltweit sagte ein Volk in einer Abstimmung «Ja» zu einem neuen zivilrechtlichen Status für eine Minderheit. Das Partnerschaftsgesetz erlaubt es zwei Personen gleichen Geschlechts, ihre Beziehung rechtlich abzusichern. Sie können wie Ehepaare beim Zivilstandsamt vorstellig werden und ein Gesuch um behördliche Registrierung stellen. Nach erfolgreichem Abschluss des Verfahrens lautet ihr Zivilstand «in eingetragener Partnerschaft». Dadurch werden gleichgeschlechtliche Paare den Ehepaaren im Erbrecht, im Sozialversicherungsrecht, in der beruflichen Vorsorge sowie im Steuerrecht gleichgestellt.

Eine vollständige rechtliche Gleichstellung von lesbischen und schwulen gegenüber heterosexuellen Paaren wurde jedoch weder erreicht noch angestrebt. Die Türen zur Ehe sind für sie nach wie vor verschlossen. Im Bereich des Familienrechts treten weiterhin Unterschiede auf. Sie sind nicht zugelassen zu den Verfahren der Fortpflanzungsmedizin und können auch nicht gemeinsam ein Kind adoptieren. Die Möglichkeit zur Adoption war im Partnerschaftsgesetz zunächst vorgesehen, wurde im Parlament aber gestrichen, um die Chancen der Vorlage vor dem Volk zu verbessern. Die Schweiz scheint der Vorstellung von Kindern, welche auf dem Spielplatz von gleichgeschlechtlichen Eltern betreut werden, eher ablehnend gegenüber zu stehen.

Das Leitbild der bürgerlichen Gesellschaft, die traditionelle Familie mit verheirateten Eltern, hat jedoch heute zahlreiche Relativierungen erfahren; das Standardmodell ist sie längst nicht mehr. Heute gibt es verschiedenste Familienmodelle: Einelternfamilie, Stieffamilie, Pflege- und Adoptionsfamilien, Patchwork-Familien oder eben Regenbogenfamilien. Diese Variationen verdeutlichen, dass Familie oder Elternschaft nicht mehr auf ein einziges Modell fixiert werden kann.

Es ist fraglich, ob die ausschliessliche Ausrichtung des Familienrechts auf die Ehe noch zeitgemäss ist. Ehe und Elternschaft sind lediglich eine kulturelle und so­ziale Konstruktion, welche als Idealbilder ihren Weg in die Gesetze fanden. In der Herbstsession 2011 nahm das eidgenössische Parlament diese gesellschaftliche Realität zur Kenntnis und behandelte eine Änderung des Adoptionsrechts. Folgt man der Motion der Rechtskommission des Ständerates, dürfen künftig alle Erwachsenen, ungeachtet ihres Zivilstandes und ihrer Lebensform, ein Kind adoptieren. Bedingung ist, dass die Adoption für das Kind die beste Lösung ist. Mit ihrer Motion trage die Kommission der gesellschaftlichen Realität Rechnung, dass es zahlreiche sogenannte Regenbogenfamilien mit einem geregelten und stabilen Familiensystem gebe, erläuterte sie. Der Entschluss der Kommission war erstaunlich eindeutig: Es gab keine einzige Gegenstimme.

Damit der Bundesrat zur Vorlage einer Gesetzesänderung verpflichtet wird, braucht es die Zustimmung von National- und Ständerat. Man darf gespannt sein, ob das Parlament den weiteren Schritt zur rechtlichen Gleichstellung homosexueller Paare wagen wird.

Ein Beitrag von José Krause