«Plötzlich war das Gefühl da»

Cathérine hat noch fast niemandem erzählt, dass sie auf Frauen steht. Ihre Eltern wissen noch nichts – für den Lappi hat sie sich geoutet.

Seit wann weisst du, dass du lesbisch bist?

Cathérine: Wirklich klar ist mir das noch nicht so lange. Etwa seit drei Monaten. Da habe ich mich verliebt. Doch auch dann war es nicht sofort einfach klar. Ich habe lange überlegt, ob es wirklich so ist oder ob ich mir das nur einbilde. Ich hatte Zweifel, weil es einfach so plötzlich da war, das Gefühl. Zu Beginn machte ich mir sehr viele Gedanken.

Wie kommst du mit deinen Gefühlen klar?

Im Moment fühle ich mich total wohl und fände es auch schön, wenn mal etwas passieren würde, so richtig. Früher sind immer die Männer auf mich zugekommen. Das war irgendwie so normal. Und jetzt muss ich halt auch mal selber die Initiative ergreifen. Wie genau das geschehen soll, hecke ich zur Zeit mit einer Freundin aus.

Wer weiss alles davon?

Einige gute Freundinnen, die kann ich an einer Hand abzählen.

Wie haben sie reagiert, als du es ihnen erzählt hast?

Durchwegs positiv. Fast immer kam zu allererst die Frage: «Wieso merkst du das erst jetzt?» Für mich war es eine enorme Erleichterung, als zwei meiner Freundinnen eines Abends, wir waren schon etwas alkoholisiert, das Thema zur Sprache brachten. Ich hatte mir ja zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich viele Gedanken gemacht – und es ist nicht einfach, mit diesen Gedanken allein zu sein.

Wirst du deine Eltern einweihen?

Zum gegebenen Zeitpunkt ja, aber es muss schon etwas Konkretes in meinem Liebesleben passieren, bevor ich sie damit konfrontieren kann.

Was denkst du, wie werden sie reagieren?

Das kann ich überhaupt nicht einschätzen. Aber es wird sicher nicht so sein, dass sie es völlig ablehnen. So offen sind sie. Mein Vater hat auch Kollegen, die schwul sind, und die findet er super. Aber keine Ahnung, wie er reagiert, wenn seine Tochter kommt und ihm sagt: Hallo Papa, ich stehe auf Frauen.

Und der ganze Rest? Möchtest du, dass in deinem Umfeld irgendwann allgemein bekannt ist, dass du lesbisch bist?

Ja, schon. Einerseits denke ich eben, ich sollte damit warten, bis etwas Konkretes passiert, andererseits frage ich mich auch immer wieder, wieso ich warte. Ich will aus dieser komischen Situation herauskommen, denn es ist schon irgendwie mühsam und auch anstrengend, wenn das nur ein paar wenige Leute wissen. Ein Kollege von mir ist schwul, alle wissen es und es ist absolut easy. Er macht auch immer Witze darüber. Diesen lockeren Umgang mit dem Thema will ich auch.

Hast du Angst vor negativen Reaktionen?

Angst nicht unbedingt, aber ich kann mir auch vorstellen, dass gewisse Leute komisch reagieren werden. Ich frage mich auch, ob vielleicht etwas kaputt gehen könnte in der Beziehung zu gewissen Personen. Aber das kann mir eigentlich egal sein.

Fühltest du dich früher nie zu Frauen hingezogen?

Vielleicht habe ich es lange Zeit einfach nicht wahr haben wollen. Ich spielte früher Fussball, da gab es einige Lesben – aber die waren so richtige Mannsweiber. Vielleicht hat mich das damals abgeschreckt. Ich war 16 Jahre alt und dachte: So wie die will ich nicht sein – irgendwie blöd, dass ich das jetzt so sage. Man rutscht so schnell in diese Klischees hinein, sogar ich selber.

Hatte es mit deinem damaligen Umfeld (Familie, ländliches Gebiet) zu tun?

Könnte sein, hab ich mir noch nie überlegt. Früher kam immer die Frage «wie läufts mit den Typen?» Dann hat man sich automatisch auch nach Typen umgeschaut. Ich glaube schon, dass sich die Bereitschaft, mir das einzugestehen, an der Kunsthochschule entwickelt hat. Das Umfeld macht recht viel aus: welche Leute bewegen sich darin, wie offen sind diese und gibt es dort andere Homosexuelle? Kürzlich lief ich durchs Schulhaus und merkte, dass ich nicht mehr die Männer anschaute, sondern nur die Frauen. Und das war irgendwie ein total anderes Gefühl, ein sehr gutes.

Hast du Hemmungen, auf Frauen, die dich anziehen, zuzugehen?

Klar. Man weiss ja nie, ob die andere Person auch homosexuell ist. Neulich im Ausgang, an einer Alternativ-Party, bekam ich Lust, mit jemandem zu tanzen. Eine dort hat mir ein bisschen gefallen, und ich habe versucht, mich ihr ein wenig zu nähern, aber irgendwann ist es mir verleidet. Ich habe damals gemerkt, dass das klassische Beziehungsmodell Mann/Frau noch in vielen Köpfen tief verankert ist, obwohl in dieser Szene stets behauptet wird: «wir sind alle so offen für alles.»

Was tust du, wenn du dich mit solchen Gedanken herumschlägst?

Ich male. Wenn ich enttäuscht bin, mache ich Maltherapie, drücke meine Gedanken in Bildern aus. In einem Bild habe ich die Gesellschaft als schwarzen Klotz dargestellt. Und meine Gefühle farbig rundherum, der Klotz steht einfach so, päng, in der Mitte.

Lachst du über Homo-Witze?

Ja, da wird mit diesen Klischees ja auch gespielt, darüber kann man lachen. Aber so das «hey, ist ja voll schwul» nervt mich irgendwie schon ein bisschen. Es ist so negativ behaftet. In meiner Klasse gibt es Typen, die brauchen das ab und zu, da denkt man sich dann schon so: ja vielen Dank.

Du bist in eine ­bestimmte Frau verliebt, was gefällt dir an ihr?

Die Ausstrahlung. Ich kann es nicht genau sagen, es ist einfach eine Anziehung da. Es gibt auch andere Frauen, die mir gefallen würden, aber eben, ich habe mich verliebt.

Sind auch Äusserlichkeiten wichtig?

Natürlich spielt das auch eine Rolle. Eine heterosexuelle Frau findet ja auch nicht alle Männer anziehend, sondern einen bestimmten Typ. Als ich mich in Männer verliebt habe, war das zumindest so – also wird es bei Frauen auch so sein. Das kann ich vielleicht auch deshalb nicht sagen, weil es jetzt die erste Frau ist, in die ich mich verliebe. Aber ich frage mich manchmal, weshalb man darum so ein grosses Tamtam machen muss. Es ist völlig egal, man verliebt sich doch in einen Menschen. Deshalb schliesse ich auch nicht aus, dass ich mich irgendwann wieder in einen Mann verlieben könnte.

Würdest du in einen Verein eintreten, der sich für die Anliegen von Homosexuellen einsetzt?

Im Moment geht das nur mich etwas an, einen Verein brauche ich nicht. Und ich muss mich auch nicht engagieren. Aber wenn es mich mit der Zeit aufregt, weil ich merke, dass es wirklich gesellschaftlich noch nicht akzeptiert ist, dann, warum nicht?