Eine Hommage an die Beiz

Florian Keller begründet, warum man die diversen Stammtische in der Schaffhauser Beizenlandschaft – seit jeher soziale Treffpunkte – einmal genauer unter die Lupe nehmen sollte.

Nicht wenige glauben, dass die Familie die gesellschaftliche Urzelle darstellt. Aus ihr müsse alles wachsen, was blühen soll im Staate. Das stimmt so nicht. Es ist die Beiz, die derartiges leistet.

Was macht eine Beiz aus? Aus dem Gedächtnis und sinngemäss zitiert nach J. R. Möhringer (Tender Bar): Eine subtile Mischung aus Licht, Ausgelassenheit, Zuneigung, Streit, Liebe, Rausch und – vielleicht am wichtigsten – Grosszügigkeit.

Man geht hin, wenn man durstig ist – und auch, wenn man nicht durstig ist. Man geht hin, wenn man Leute treffen will – und auch, wenn man allein sein will. Man geht hin, wenn man Freude teilen will, wenn man Trost sucht oder Streit anzetteln will. Man geht nach der Arbeit, über Mittag, am Samstag Morgen und am Sonntagnachmittag. Und man geht natürlich in der Nacht. In die Beiz geht man immer und jederzeit – oder man geht nicht.

Es gibt auch die, die nicht in Beizen gehen. Entweder weil sie es nicht mögen, dann ist es ihre freie Entscheidung, oder weil sie ihre Stammbeiz noch nicht gefunden haben, und dann sind das wirklich arme Knechte, die unser Mitleid verdienen. Denn wer seine Stammbeiz oder auch seine Stammbeizen gefunden hat, weiss, was er an ihr oder ihnen hat. Die Beiz ist für den Beizengänger der sichere Hafen, der Hort der Geborgenheit.

Was gibt es Schöneres, als an einem winterlichen Samstagnachmittag in der Beiz zu sitzen, geschützt vor Wetter und Ungemach, bei einem Kafi Fertig und mit roten Wangen? Wer will da je wieder nach draussen? Was gibt es Schöneres, als im Sommer am Feierabend auf der Gass vor der Beiz zu sitzen und in die Abendsonne zu blinzeln, bei angeregter Diskussion und einem kühlen Bier? Was gibt es Schöneres, als im Herbst am Sonntagabend nach dem Pilzen bei Anbruch der Dunkelheit in eine Beiz einzukehren und einen halben Roten mit Kürbissuppe zu bestellen?

Die Beiz wechselt täglich ihr Antlitz, sogar im Verlauf eines Tages schminkt sich die Beiz mehrmals ab und legt neu auf. Aber das Wesen der Beiz ist beständig und verlässlich. Die Beiz pflegt ihre Gäste nicht zu übertölpeln. Sie sorgt für Konstanz. Der Beizengänger will nach Hause kommen, wenn er in die Beiz geht. Und zu Hause wird schliesslich auch nicht jeden Tag alles auf den Kopf gestellt.

Restaurant Kerze.

Die Beiz muss keine Konventionen erfüllen. Sie kann gross oder klein sein, laut oder leise. Es spielt keine Rolle, ob der Stammtisch rund oder eckig ist. Eine Beiz muss nur Heimat sein, um Beiz zu sein.

Die Beiz erfasst vom Gast Besitz. Das gelbliche warme Licht, die rauchschwangere Luft, das Klirren der Gläser, das Flappen der Spielkarten, die Musik aus der Jukebox … Die Beiz umhüllt die Gäste nahtlos und fesselt sie im besten Einvernehmen. Eine Beiz ist nie leer, auch wenn man alleine drin sitzt, und sie ist nie voll, auch wenn man sich nicht mal um die eigene Achse drehen kann.

Die Beiz soll treu sein und verlässlich – wenn sie das von ihren Gästen auch erwartet. Sie soll vor allem nicht überraschend geschlossen sein. Das wäre der schlimmstmögliche Affront gegenüber den Beizengängern. Das macht keine Beiz mehrfach, sonst ist es vorbei mit der Treue. Vor einer geschlossenen Beiz zu stehen ist das gleiche Gefühl, wie zu Hause vor der verschlossenen Haustür ohne Schlüssel im Sack. Hilflosigkeit schwappt über den Beizengänger.

Die Beiz ist etwas ganz Besonderes. Für viele wie eine Familie. Sie bietet Schutz und Heimat, dient einigen als Plattform für Debatten und anderen als Rückzugsort. Die Beiz muss verteidigt werden als das, was sie ist: Eine Urzelle der Gesellschaft. Diese «Lappi»-Nummer anerbietet mit dem Dossier der Beiz den Respekt, den sie verdient.