Karl Huss kämpft mit Leidenschaft dafür, dass die Verkehrsplanung nicht nur AutofahrerInnen berücksichtigt. Eine Velotour.
An einem sonnigen Nachmittag im Juli nimmt Karl Huss, Präsident von Pro Velo, mich auf eine kurze Velotour durch Schaffhausen mit. Für meinen Geschmack ist es fast zu heiss, um in die Pedalen zu treten, doch für Huss gibt es keine Ausreden. Der 66-jährige besitzt kein Auto und auch keinen Führerschein, bis zu seiner Pensionierung vor drei Jahren nahm er den Weg zur Kantonsschule, wo er Französisch unterrichtete, jeden Tag mit dem Velo in Angriff. Wenn er über Verkehrspolitik spricht, schwingt keine Verbissenheit, sondern leidenschaftliches Engagement und Freude in seiner Stimme mit.
Karl Huss, Schaffhausen liegt eingebettet zwischen mehreren Hügeln, fast nirgends ist es flach: eindeutig keine gute Velostadt.
Natürlich sind die äusseren Bedingungen nicht ideal, es ist kein Zufall, dass beispielsweise in Winterthur mehr Leute Velo fahren. Aber gerade deshalb muss man etwas machen, um die Stadt für Velofahrer zu attraktivieren. Und mit den E-Bikes gibt es heute auch keine Ausrede mehr. Die Wahl des Verkehrsmittels hat viel mit Gewohnheit zu tun, und es gibt gewisse Schwellenängste.
Wie kann man den Leuten das Velofahren schmackhaft machen?
Wir haben schon viel erreicht: Es gibt kaum mehr eine Strasse ohne Veloweg oder -streifen und viele Tempo 30-Zonen, die mit Hilfe von Pro Velo realisiert werden konnten. Probleme sehe ich vor allem bei grossen Kreuzungen wie derjenigen vor dem Güterbahnhof. Oder am Lindli, besonders im Sommer, wenn dort viele Autos parkiert sind: Ich finde es richtig, dass die Velofahrer nicht auf dem Kiesweg fahren dürfen, aber dann braucht es auf der Strasse Platz für sie. Grundsätzlich gilt: Je mehr Velos unterwegs sind, desto weniger gefährlich ist das Velofahren, weil man von den Autofahrern besser wahrgenommen wird. Deshalb gibt es auch die Überlegung, die Velofahrer nicht mit einem Streifen von den Autos zu trennen: Eine neue Ausrichtung der Velopolitik.
Kann ein Verein wie Pro Velo die Verkehrspolitik überhaupt beeinflussen?
Auf jeden Fall. Die Zusammenarbeit mit den Behörden ist gut, Baureferent Peter Käppler und Stadtingenieur Hans-Jörg Müller beziehen uns als Berater in die Verkehrsplanung ein. Wir haben uns mit der Zeit einen Ruf erarbeitet, heute ist bekannt, dass man mit uns sprechen kann und rechnen muss.
Wir starten unsere Tour beim Munotparkplatz und fahren die Emmersbergstrasse hinunter, um die bereits angesprochene Kreuzung beim Güterbahnhof zu passieren. Keine ungefährliche Stelle. Als VelofahrerIn hat man die Wahl, entweder den Fussgängerstreifen zu nutzen und das Velo zu stossen, oder aber man fährt neben und zwischen den Autos. Immerhin gibt es einen gelb gekennzeichneten Velostreifen, der uns auf die Bachstrasse in Richtung Schwabentor führt. Diese Massnahme kann die Gefahr auf Kreuzungen entschärfen. Etwas weiter, vor dem Bachschulhaus, sehen wir eine ähnliche Massnahme: VelofahrerInnen, die von der Bachstrasse abbiegen wollen, können mitten in der Strasse auf einem Sicherheitsstreifen warten, bis der Weg frei ist. Bei der Bachturnhalle biegen wir ab und fahren auf den Kirchhofplatz. Autoparkplätze hat es hier reichlich, doch wer sein Velo abstellen will, muss ein bisschen suchen. Ein gedeckter Abstellplatz für Velos und Mofas findet sich etwas versteckt auf dem Areal vor dem alten Feuerwehrdepot. Wir aber wollen durch die Altstadt hindurch und vor Ort über die Velopolitik in der verkehrsberuhigten Zone sprechen. Deshalb stossen wir unsere Velos die Stadthausgasse hinauf bis zum Fronwagplatz. Vor keinem der Geschäfte hat es einen Veloständer. AL-Grossstadtrat Simon Stocker hat kürzlich in einem Postulat, für dessen Formulierung er sich von Pro Velo beraten liess, mehr Velo-Parkplätze in der Altstadt gefordert. Das Postulat wurde an den Stadtrat überwiesen.
Macht es Sinn, in der Altstadt Veloständer aufzustellen, obwohl man sie mit dem Velo gar nicht befahren darf?
Natürlich! Ich wünsche mir möglichst viele Stellplätze an vielen Orten. Der Velofahrer will sein Velo nicht an der Peripherie abstellen, sondern er will am anderen Ende der Altstadt wieder aufsteigen und weiterfahren können. Der Stadtrat ist jetzt damit beauftragt, die Motion von Simon Stocker umzusetzen und wird dafür sicher auch unsere Meinung einholen.
Sollte man das Fahrverbot in der Altstadt für Velos auflockern?
Ich wäre grundsätzlich dafür, dass man die Altstadt mit dem Velo befahren darf, möchte aber auf einen Vorstoss in dieser Richtung verzichten, denn die Widerstände sind zu gross und wir würden nur unsere Energien sinnlos verschwenden. Ausserdem gibt es etliche ernst zu nehmende Gegenargumente. Ich könnte mir vorstellen, dass man die Altstadt für Velofahrer teilweise öffnet, also das Fahrverbot zu bestimmten Zeiten oder an bestimmten Stellen aufhebt.
Ein Beispiel?
Dort, wo Autos in einer Richtung fahren dürfen, zum Beispiel in der Neustadt, könnte man den Veloverkehr auch in der Gegenrichtung erlauben. Die Pro Velo wird demnächst darüber beraten, was man in dieser Hinsicht machen könnte.
Beim Obertor schwingen wir uns wieder auf die Velos und machen uns an den Aufstieg über die Steigstrasse. Velofahrer dürfen beim Parkcasino einen schmalen Weg durchs Grüne benutzen und nach der Bushaltestelle auf dem Trottoir fahren. Doch kurz vor dem Steigbrunnen hat es eine Baustelle, deren Warntafel uns den Weg versperrt. «Bei der Baustellenplanung werden Velofahrer oft vergessen», ruft mir Karl Huss zu. Trotz des steilen Aufstiegs scheint er nicht wirklich ausser Atem zu sein. Oben angekommen, fahren wir der Nordstrasse entlang und schauen uns beim Breitestieg einen möglichen Standort für den Brückenkopf des «Duraducts» an. Die seit Jahrzehnten geplante Velo- und Fussgängerbrücke soll dereinst das Mühlental überspannen und den Geissberg mit der Breite verbinden.
Der Duraduct ist ein Kernstück in der Planung des Veloverkehrs. Wann wird er gebaut?
Das weiss ich auch nicht. Er ist in den kantonalen Strassenrichtplan aufgenommen worden, alle Hauptverantwortlichen sind dafür und das Bundesamt für Strassen hat den Duraduct als Leuchtturmprojekt bezeichnet. Insofern bin ich optimistisch. Wir haben darüber gesprochen, dass Schaffhausen mit seinen Hügeln das Velofahren erschwert, diese Brücke könnte hier Abhilfe schaffen. Es würde nicht nur zwei publikumsträchtige Quartiere verbinden, sondern auch die Achse Neuhausen-Thayngen für Velofahrer attraktiver machen.
Ein Passant mischt sich ein: «Mir würde diese Brücke viel nützen, ich wohne auf der Breite und muss beruflich oft zum Spital.» Zu Huss sagt er: «Ich finde es gut, wenn Sie sich dafür einsetzen!» Huss fragt zurück: «Dann werden Sie auch richtig abstimmen, wenn es soweit ist?» «Selbstverständlich», meint der Passant. Bei einem Bier im Garten des «Alten Schützenhauses» runden wir unser Gespräch ab.
Sie haben Probleme bei der Baustellenplanung angesprochen.
Ja, Velofahrer werden oft zu wenig berücksichtigt oder glatt vergessen. Dann versucht die Pro Velo, eine bessere Lösung zu erreichen, und bei den Behörden stossen wir meist auf offene Ohren.
Bei dieser Hitze kommt man auf dem Velo ziemlich ins Schwitzen, und niemand will verschwitzt bei der Arbeit erscheinen.
Das ist tatsächlich ein Problem. Gerade haben wir einen Aktionsmonat unter dem Motto «Bike to Work» durchgeführt, bei dem man Preise gewinnen konnte, wenn man mit dem Velo zur Arbeit fuhr und Kollegen dazu motivierte. Die Firmen machten gut mit, denn sie haben nicht nur wegen den begrenzten Parkmöglichkeiten, sondern auch wegen der Gesundheit ihrer Arbeiter ein Interesse daran. In Zukunft wollen wir auch vermehrt direkt mit den Firmen sprechen, um zu erreichen, dass Duschmöglichkeiten am Arbeitsplatz angeboten werden.
Sind sie zufrieden damit, wie sich die Verkehrspolitik entwickelt?
Ja, Stadt und Kanton haben eine gute Velopolitik. Nach einem zögerlichen Anfang hat sich in den letzten fünf Jahren vieles getan. Ein grosser Durchbruch war die Einrichtung der städtischen Fachstelle für Langsamverkehr, der Martin Baggenstoss vorsteht. Er schaut darauf, dass die Interessen der Velofahrer bei der Verkehrsplanung nicht erst am Schluss berücksichtigt werden. Wir haben schon vieles erreicht, die Infrastruktur steht. Jetzt muss das Augenmerk darauf liegen, die Leute zum Velofahren zu motivieren. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns.