Penisse, Drag Queens und Hundehaufen

Filmverführung

Das Kino des John Waters.

Kein Wässerchen kann er trüben, der nette Herr mit dem Menjou-Bärtchen. Tadellos gekleidet, die schütteren Haare zurückgekämmt, ein spitzbübisches Lächeln auf den Lippen. Jedoch, die Versuchung hat viele Verkleidungen und dieser sympathische Onkel ist der grösste Schmutzfink des nordamerikanischen Kontinents – so man Fundamentalisten, Nationalistinnen, Homophoben und ähnlichen Spassbremsen glaubt. John Waters – Botschafter des schlechten Geschmacks!

Wir spulen zurück ins Jahr 1964. Baltimore ist ein seltsamer Ort. Merkwürdiges spielt sich ab auf dem Dach des Elternhauses des 18-jährigen John. Ein Schwarzer in einer Mülltonne und eine weisse Ballerina werden von einem Priester in Ku-Klux-Klan-Robe getraut. John dreht für 30 Dollar seinen ersten Film auf 8mm. Mutti spielt die Musik dazu auf dem Klavier ein. «Hag In A Black Leather Jacket» dauert 17 Minuten und wird ein einziges Mal öffentlich aufgeführt.

Der Grundstein ist gelegt. Die «Dreamlanders» gruppieren sich um Waters, ein wilder Haufen von Freaks, Hippies und Ausgestossenen. Sie werden immer wieder in seinen Filmen auftauchen – vor und hinter der Kamera. Allen voran ein dicklicher junger Bengel namens Harris Glenn Milstead, Feinschmeckern besser bekannt als Divine, fetteste Drag Queen von Baltimore.

Weitere Kurzfilme folgen, bis 1969 der erste Langfilm «Mondo Trasho» zur Aufführung kommt. Am Schluss stirbt Divine im Schweinestall.

Es tobt der Vietnamkrieg und die Langhaarigen protestieren – Waters dreht «Multiple Maniacs». Divine wird von einem Hummer vergewaltigt, die biblische Speisung der 5’000 auf spezielle Art inszeniert.

Dann Schock auf Schock. In «Pink Flamingos» (1972) goutiert Divine das, was Hundehalter heutzutage in Säckchen spachteln. 1974 in «Female Trouble» kommt der elektrische Stuhl zum Einsatz, 1977 gibt es in «Desperate Living» Rattendinner und Penistransplantation.

1981 dann der erste grosse Wurf mit Polyester. An einigen Kinokassen werden mit Geruchsstoffen versetzte Rubbelkarten ausgehändigt – Waters-typisch duften sie nicht nach Rosen. Nun wird auch die Prominenz aufmerksam: Dead Boys-Sänger Stiv Bators spielt mit, die Songs stammen von Blondie’s Debbie Harry.

«Hairspray» folgt 1988 und wird der erste jugendfreie Waters-Film (und später ein Musical, das wiederum mit John Travolta verfilmt wird). Das tut dem Spass keinen Abbruch, und die Posse um Rassentrennung in den 60ern wird ein Hit. Mit dabei sind eine junge Rikki Lake, Sonny Bono und Pia Zadora. Es sollte der letzte Film mit Divine sein. Er wurde im März 1988 von seinem Manager tot aufgefunden, angeblich verstorben vor Glück.

Waters‘ grösster Erfolg kommt 1990 mit «Cry Baby». Ein junger Mann namens Johnny Depp hatte grade die TV-Serie «21 Jump Street» beendet und stand zum ersten Mal als Leading Man vor der Kamera, neben ihm Porno-Legende Traci Lords, Iggy Pop, Warhol-Gespiele Joe Dallessandro, Willem Dafoe, Patty Hearst (Entführungsopfer, Terroristin, Bankräuberin und Enkelin des Medien-Moguls William Randolph Hearst). Auch «Cry Baby» wurde später als Musical am Broadway aufgeführt.

FRANK KAY WINDELBAND ist Barkeeper in der «Schäferei». Seine Leidenschaft ist die Cinematografie. Frank besitzt über 6’000 Filme, ausgewählte Perlen zeigt er monatlich anlässlich der «Camera Obscura» im TapTab.

Waters war (fast) salonfähig und die Stars standen bei ihm Schlange. So hatte «Serial Mom» 1994 Kathleen Turner, «Pecker» 1998 Christina Ricci und Edward Furlong, und «Cecil B. Demented» 2000 Melanie Griffith und Maggie Gyllenhaal, doch der ersehnte Schockwert war verwässert. Das sollte sich erst 2004 mit Waters‘ bisher letztem Film ändern, dem köstlichen «A Dirty Shame». Baltimore versinkt im Sumpf der Unzucht! Selma Blair mit Monsterbrüsten, Chris Isaak wird von Tracey Ullman beim Onanieren erwischt, Johnny Knoxville ist Führer eines Sexkultes. Das wurde dann auch prompt von der US-Filmselbstkontrolle mit einem an der Kinokasse tödlichen NC17 (ab 18 Jahren) abgestraft.

Ich wünsche mir noch viele John Waters-Filme. Bis jedoch ein neuer auftaucht, vergnüge ich mich mit seinen Büchern, Spoken Word-Aufzeichnungen, Auftritten in anderen Filmen, seiner Website und seinen Kommentaren zu Politik und Weltgeschehen. Danke, John.

«Cinema terrorists – join the revolution against Hollywood movies! From the empty seats of every good movie theater, we will rise up and take back the screen. No English language remakes of foreign films! No more movies based on video games! No sequels to tiresome big-budget blockbusters! Become an avenging angel for underground cinema! … Stop the mass distribution of mediocre movies!» (aus «Cecil B.Demented»).