Widerstand in Raten

Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (Gsoa) hat ihren Zweck, die Abschaffung der Armee, noch lange nicht erreicht. Doch Schritt für Schritt sinkt die Zustimmung für die Armee.

Bilder: aa.

«No Guns Against Voices!» – die GSoA liess obigen Banner für den Heckflügel des Formel-1-Boliden von Sauber anfertigen. Aus PROTEST GEGEN DIE GEWALT IN BAHRAIN. Jean Todd (FIA) hatte zuvor verlauten lassen: «Wir interessieren uns nur für den Sport.» Die GSoA entgegnet: «Wer schweigt, ist mitschuldig!»

Die Schweiz exportiert jährlich für hunderte von Millionen Franken Panzer, Flugzeuge, Gewehre und Granaten. Auch zu Hause ist sie bis an die Zähne bewaffnet. Unser Land gehört zu den Spitzenreitern, was die Zahl der Waffen pro Kopf betrifft. Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee kämpft dagegen an. Gegen Kriegsmaterial-Exporte, gegen lasche Waffengesetze, gegen die Armee.

Einer ihrer heutigen Exponenten ist der Zürcher Nikolai Prawdzic. Prawdzic ist Sekretär der GSoA. Und Botschafter, Aktivist, Mediensprecher. Mit einer Initiative für die Abschaffung der Wehrpflicht hat die Organisation eine neue Grundsatzdebatte geführt – Prawdzic führt sie leidenschaftlich. Zum Beispiel beim Zürcher Trend-Radiosender «105».

Zwischen Pink und House-Beat sagt Prawdzic: «Die Armee ist ein Witz. Man kann vielleicht einen Fahrschein machen, hat gesellige Abende; aber die meiste Zeit sitzt man nur dumm rum.» Sein Gegenspieler SVP-Hardliner Erich Hess erwidert: «Wer keine anständige RS gemacht hat, ist kein richtiger Mann», und: «Gerade euch Linken würde diese Schule nur gut tun».

«Schlachten wir die heilige Kuh»

Die Fronten sind verhärtet, aber Prawdzic weiss: In der Bevölkerung ist die Armee längst nicht mehr unantastbar. Auch dank der GSoA und ihrer ersten Kampagne 1989. Damals forderte die GSoA zum ersten Mal öffentlich: «Schlachten wir die heilige Kuh» – und erreichte immerhin rund 35 Prozent Ja-Stimmen. Die erste Initiative zur Abschaffung der Armee war ein Achtungserfolg. 1992 wollte die GSoA den Kauf von F/A-18 Flugzeugen stoppen – 43 Prozent der Bevölkerung waren gleicher Ansicht. 2001 verwarf das Schweizer Volk eine erneute Abschaffungsinitiative zwar deutlich, aber 2002 sagte es Ja zum UNO-Beitritt – ein Anliegen, das die GSoA aktiv unterstützt hatte. Es folgte der Irak-Krieg, der Empörung und eine neue Friedensbewegung auslöste. Die GSoA war gegen die Gewalt genauso machtlos wie alle anderen auch, aber sie verhalf den bunten Peace-Fahnen zu einem Revival und verkaufte davon mehrere Tausend Stück.

Als nächstes hinterfragte man die Schweizer Rüstungsindustrie. Die Kampagne war provokativ und prononciert: Eine Zigarettenschachtel mit Patronen gefüllt, eine blutrot eingefärbte Schweiz: Waffen töten – verkaufte Waffen natürlich auch, so die Botschaft. Ein Schweizer Emmentaler in der Form eines Panzers («die Schweiz hat Besseres zu exportieren») sorgte für Schmunzeln, aber nicht für den erhofften Abstimmungserfolg. Die Initiative wurde verworfen, ebenso zwei Jahre später jene für den Schutz vor Waffengewalt.

Eine Mehrheit der Bevölkerung will nach wie vor weder das Sturmgewehr abgeben noch den Rüstungsfirmen Ruag, Pilatus oder Mowag den Geldhahn abdrehen – «Noch nicht», erwidern GSoA-Gründer und Urgestein Jo Lang und Nikolai Prawdzic. Die GSoA verliere zwar meistens, gewinne aber trotzdem: An politischem Gewicht.

Unrecht haben die beiden damit nicht. Die Militärdiensttauglichkeit nimmt ab; Viele machen Zivildienst, andere besuchen einzig die Rekrutenschule, um keinen Wehrpflichtersatzbeitrag bezahlen zu müssen. Eine Militärlaufbahn hat heute lange nicht mehr den Stellenwert wie vor 30 Jahren. Im Gegenteil: Oft gilt sie als hinderlich – gar als Zeitverschwendung. Die GSoA hat Anteil an diesem Wandel.

Jo Lang sagt heute wie in den 80er-Jahren; es gelte «die Köpfe der Menschen vom Militär zu befreien». Lang will auch die nächsten drei Jahrzehnte dafür kämpfen, wenn nötig. Dafür braucht er immer wieder neue Mitstreiter wie Nikolai Prawdzic – der heute zur Generation der jungen Engagierten zählt.

Im GSoA-Sekretariat nahe der Langstrasse in Zürich sind alle zwischen 22 und 26 Jahre alt. Prawdzic ist 22: «Zu uns kommt man für ein paar Jahre, gibt sein Bestes, und zieht dann weiter. Diese Dynamik ist Teil des Erfolgs.» Er selbst stiess vor einem Jahr dazu. Wohin es ihn später ziehen wird, kann er noch nicht sagen. Dafür, was ihn angezogen hat: «Die Mischung aus Aktionismus und Basisdemokratie. Wenn man sich bei uns engagieren will, geht das schnell und ohne Barrieren».

Die GSoA ist nach wie vor als Bewegung stark. In gewissen Phasen sei es geradezu ruhig, erzählt Prawdzic, stehe aber eine Unterschriftensammlung oder eine Abstimmung an, wachse die Zahl der Aktiven sprunghaft an. Von den alten Vordenkern und «Schlachtrössern» bis hin zu den ganz Jungen engagiere man sich auf der Strasse dann Seite an Seite.

Niederlagen erlebt die GSoA mit ihren Anliegen immer noch weitaus häufiger als Siege, Veränderung bewirkt man trotzdem. Jo Lang weiss, dass sich Werte und Meinungen in der Gesellschaft nur langsam ändern. Auch darum nennt er die GSoA-Strategie eine «Politik der kleinen Schritte». Es braucht Hartnäckigkeit – gerade bei Themen wie den Waffen-Exporten.

«Eine verkaufte Waffe kann man nicht kontrollieren»

Dass man die Abstimmung 2009 nicht gewonnen hat, war keine Überraschung. Die Gsoa blieb trotzdem dran. Sie dokumentiert Rüstungsverkäufe, sagt, wer, was, wohin verkauft, benennt Geldströme. Als im Arabischen Frühling wenig überraschend Beweise auftauchen, dass auch Schweizer Waffen eingesetzt werden, ist es die GSoA, die konsequent darauf hinweist. «Es ist ziemlich fragwürdig, wenn mit Schweizer Panzern in Bahrain Aufstände niedergeschlagen werden; wenn hier produzierte Granaten in Syrien explodieren», sagt Nikolai Prawdzic. Gehe es aber um die Frage nach der Verantwortung, sei halt viel Heuchelei im Spiel: «Die Politik fordert eine genaue Kontrolle, doch eine verkaufte Waffe kann man nicht kontrollieren.» Die Industrie wolle vor allem ihre Exporte und Margen sichern und die Politiker den Eindruck meiden, dass sie Arbeitsplätze gefährden.

Die GSoA hört trotzdem nicht auf, an das Gewissen und die Moral zu appellieren – nicht ohne ab und an zu versuchen, die konservativen Gegenspieler und ihre oft patriotischen Argumente mit den eigenen Waffen zu schlagen: «Wilhelm Tell hätte seine Armbrust schliesslich auch nicht einem ausländischen Vogt verkauft.