doppelt geköppelt
Kaum bei der zweiten Ausgabe meiner Kolumne angelangt, stehe ich schon an. Von mir wurde einhellig mehr Inhalt gefordert. Macht das mal, wenn ihr Roger Köppel heisst. Aber aus irgendeinem Grund gibt es ja Google. Also mal schnell Roger Köppel eingeben und schauen, was passiert. Da grinst einem der Roger ins Gesicht, daneben blinkt der Mörgeli. PC schnell wieder zuklappen. Also an den Kiosk und Weltwoche kaufen.
Dumm, ist so ’ne öde Jubiläumsausgabe. Irgendwie dünkt es mich, als wäre Roger über die Festtage ein wenig leiser geworden. Man könnte ja fast schon meinen, er habe sich besonnen. Ich will die Weltwoche schon wieder beiseitelegen, da lese ich es. Im Editorial lässt sich der gute alte Roger über den Staat aus und verteidigt die Banken. Das an sich wäre langweilig, aber eine Passage lässt mich aufhorchen: «Es ist schick geworden, die erwähnten Beispiele zu Symptomen einer Systemkrise des Kapitalismus umzudeuten. Das ist Unsinn.»
Ja gut, Roger, ich gebs zu. Der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, ist wirklich nicht in einer Krise. Nein, er ist am Ende. Nicht dass er nicht mehr funktionieren würde. Nein, das tut er noch so ein bisschen. Aber gedanklich, da ist er am Ende.
Wachstum, Wohlstand und persönliche Freiheit, das soll der Kapitalismus heute noch alles mit sich bringen? Schon klar, das Wachstum ist für den Kapitalismus enorm wichtig und stand am Anfang von allem. Im 17. Jahrhundert noch betete man gottesfürchtig im kalten Zuhause und überliess die Geschicke einem nicht allzu lieben Gott. Bis jemand die von Moses überlieferten Bibelstelle «mehrt euch und macht sie (die Welt) euch untertan» entdeckte, da erst konnte Wachstum überhaupt gedacht werden.
Ja, es ist auch richtig, dass dieser Gedanke der Menschheit für Jahrhunderte mehr Wohlstand bescherte und die persönliche Freiheit mit der Aufklärung und dem zunehmenden Wohlstandes gefördert wurde. Aber wer glaubt heute noch daran, ausser diejenigen, die noch immer beten und dem folgen, was uns die katholische Kirche schon seit Jahrhunderten predigt: «Freiheit durch Ordnung».
Damit der Kapitalismus leben kann, muss er den Leuten Hoffnung geben. Die Chance zu haben, noch zu Lebzeiten seine eigene Lebenssituation zu verbessern. Im Diesseits, nicht erst im Jenseits. Eine Art Erlösungsmoment also. Und genau da liegt der arme Hund begraben.
Die heutige Jugend kann sich nicht mehr vorstellen, eines Tages mehr zu verdienen als ihre Eltern. Auch in Zukunft können wir nicht darauf hoffen, dass uns der Kapitalismus noch grosse Verbesserungen bringen wird. Das ach so wichtige Erlösungsmoment geht also verloren, und ein neues scheint nicht in Sicht. Doch gerade dieses Erlösungsmoment ist der Motor des Kapitalismus und somit unerlässlich.
Ja Roger, denk doch mal darüber nach, bevor du das nächste Mal unverbesserliche Banker und überholte Systeme blauäugig mit nachgeplapperten Floskeln verteidigst. Veränderungen sind unumgänglich und wir sind alle aufgefordert, gedanklich einen Schritt weiter zu gehen. Weiter, bis wir ein neues Erlösungsmoment gefunden haben und dann weiter und immer weiter, bis wir ein neues System denken können. Ein System, dass wenn wir in den alten Strukturen weiterlebenden uns gar nie vorstellen können. Bis dahin, ora et labora.