«Verfehlte Entwicklung»

Jürg Tanner, Präsident des Schaffhauser Mieterverbandes, erklärt, weshalb die Mieten weiter steigen werden.

Seit dem Dezember hat Schaffhausen den Halbstundentakt nach Zürich. Herr Tanner, befürchten Sie, dass nun die Mieten steigen?

Jürg Tanner: Der Markt nimmt das vorweg, die Immobilienpreise begannen schon im Vorfeld der Einführung zu steigen. Und steigende Immobilienpreise bedeuten immer auch steigende Mietpreise. Das betrifft vor allem die Zentren von Schaffhausen und Neuhausen in Bahnhofsnähe, und zeigt sich sowohl bei Gewerbeliegenschaften als auch bei Wohnliegenschaften teilweise sehr deutlich.

«In der Altstadt
gibt es noch Nischen»

Zum Beispiel bei den Neubauten hinter dem Bahnhof Schaffhausen?

Dabei handelt es schlicht um Renditeprojekte, die auch in Aarau oder Olten hinter dem Bahnhof stehen könnten. Wenn man neu baut, ist das schon teuer. Aber die Wohnungen sind nicht deshalb teuer, sondern weil man auf Leute abzielt, die in Zürich arbeiten, Zürcher Löhne haben und mit dem Halbstundentakt bequem in die Zürcher City fahren können. Wenn Zürich voll ist, dann wird Schaffhausen attraktiver, und mit dem Halbstundentakt zu einem Aussenposten von Zürich.

Die Wohnungen in der Altstadt werden für Normalverdiener bald nicht mehr bezahlbar sein?

Es gibt in der Altstadt zum Glück noch Nischen. Aber es ist eine Frage der Zeit, bis die verschwinden. Meine erste WG in der Neustadt, mit dem WC auf dem Gang und ohne warmes Wasser, kostete 120 Franken, und so alt bin ich nun auch wieder nicht. Als wir später 400 bis 500 zahlen mussten, sprengte das beinahe unser Budget. Ein Teil der günstigen Wohnungen wurde damals von Dienstleistern verdrängt. Das hat sich jetzt ein bisschen eingependelt, weil häufig grössere Flächen benötigt werden, als sie in der Altstadt verfügbar sind.

Das heisst, die Altstadt wird bezahlbar bleiben?

Nein, das denke ich nicht. Ich hatte kürzlich in einem Fall mit einer Wohnung in der Altstadt zu tun, für die ein Berufskollege früher 2000 Franken bezahlte und die nun doppelt so teuer ist. Das ist massiv. Ein Problem sind auch die Sanierungen: Der Mieter zahlt mit seiner Miete bereits den Unterhalt und Erhalt der Liegenschaft. Wenn ein Haus verkauft und saniert wird, muss der Mieter aber oft noch ein zweites Mal für den Unterhalt bezahlen, indem bis zu 60 Prozent der Investitionskosten auf die Miete überwälzt werden. Sicher wird bei Totalsanierungen investiert, aber es wird oft ein überrissener Gewinn gemacht. Da wehren sich die Mieter viel zu selten. Wenn wir davon erfahren, nehmen wir sofort mit der Bauherrschaft Kontakt auf.

Könnten denn nicht auch mehr und vielleicht auch günstigere Mietwohnungen entstehen, wenn Schaffhausen für InvestorInnen interessanter wird?

«Die Credit Suisse­
ist sehr aktiv»

Da wird gejubelt und gehofft. Auf dem Eigentumswohnungsmarkt geschieht einiges, Investitionen sind offenbar lukrativ und das ist soweit in Ordnung. Eigentum schafft auch eine gewisse Verwurzelung. In Thayngen aber hat man beispielsweise viele Eigentumswohnungen geschaffen. Ich kenne heute einige Leute, die gerne in Thayngen wohnen würden, weil sie dort arbeiten. Aber sie finden nichts, weil Mietzinse verlangt werden, mit denen man ein Einfamilienhaus kaufen und finanzieren könnte. Darüber kann ich mich nur wundern.

In Beringen wird gerade viel neu gebaut. Dort werden beispielsweise 3,5-Zimmer-Wohnungen für 2300 Franken mit zwei Badezimmern angeboten. Entspannt das den Wohnungsmarkt?

Jürg Tanner ist seit 15 Jahren Präsident des Schaffhauser Mieterverbandes, als Anwalt vertritt er MieterInnen vor Gericht. Ausserdem sitzt Tanner für die SP im Kantonsrat.

Nein, die Entwicklung ist verfehlt. Man darf den Flächenbedarf pro Person nicht künstlich nach oben schrauben. Es gibt aber offenbar Leute, die sich das leisten können und wollen. Für die baut man, weil die Rendite interessant ist. Die Credit Suisse ist beispielsweise in Schaffhausen sehr aktiv. Die bauen nicht für Mieter, sondern für ihre Fondshalter.

Was bleibt denn den MieterInnen eigentlich noch übrig? In der Altstadt wird es teuer, in Beringen und Thayngen steigen die Preise ebenfalls und in vielen Quartieren wie Buchthalen oder der Breite ist es auch nicht einfach, eine günstige Wohnung zu finden. Müssen wir uns schlicht auf harte Zeiten für MieterInnen einstellen?

Vielleicht müsste man wieder ein Gesetz für die Wohnraumerhaltung lancieren. Wie 1990, als auf Initiative des Grünen Bündnisses ein «Gesetz für die Erhaltung von Wohnraum im Kanton Schaffhausen», in Kraft trat. Das hätte tiefe Mietzinsen gefördert, wurde aber wieder abgeschafft.

National ist gerade die Raumplanungsinitiative für die Wohnraumentwicklung aktuell.

Es ist eine Frechheit, zu behaupten, dass die Abstimmung über das Raumplanungsgesetz einen Einfluss auf die Mieten habe. Es hat schlicht null Einfluss auf die Mietersituation in der Stadt, ob in Bargen ein paar Hektaren zurückgezont werden oder nicht. Gerade diejenigen, die jetzt mit dem Plakat «Horrormieten auf engstem Raum» werben, tragen am meisten zu den hohen Mieten bei.

Sind Sie wenigstens der Ansicht, dass die Politik die Probleme erkannt hat? Mit dem Agglomerations-Programm, das 3000 neue EinwohnerInnen im Gürtel Beringen-Neuhausen-Schaffhausen-Thayngen vorsieht, und den Bauland- und Immobilienverkäufen, auf denen die dafür benötigten Wohnungen entstehen sollen, ist die Stossrichtung schon mal vorgegeben …

«Die Mieter glauben,
dass der Mieterverband
kein politisches Gewicht hat»

Das Problem hat man in der Politik schon erkannt. Der erste Reflex ist allerdings, dass der Markt das schon richten werde. Man müsste bei den privaten und bei den öffentlichen Landbesitzern, soweit Kanton, Stadt und Gemeinden Land haben, ansetzen. Oder bei den Pensionskassen, die das Geld der Versicherten ohnehin anlegen müssen. Wenn sie mit tieferen Mieten zwar weniger Rendite erzielen würde, dann ist das dafür nachhaltig, denn niemand weiss, ob sich die Mieter die hohen Preise in Renditeobjekten auch in zehn Jahren noch leisten können. Man muss vorausschauende Szenarien entwickeln, denn es wird immer enger.

Der Mieterverband hat im Januar zusammen mit SP und Grünen wegen der Personenfreizügigkeit flankierende Massnahmen für den Wohnungsmarkt gefordert. Die Verbandspräsidentin schlug vor, dass MieterInnen mitgeteilt werden muss, wie viel ihre VormieterInnen für die Wohnung bezahlt haben, und sie will den Anstieg bei den Preisen begrenzen. Ist das der richtige Weg?

Das ist schon eine längere Debatte innerhalb des Verbandes; ich denke aber, das würde schon dämpfend wirken. In Schaffhausen wählen die Vermieter bei Preiserhöhungen aber oft den Weg über die Nebenkosten, die aufgeplustert werden. Da versucht man dem Mieter alle Kosten unterzujubeln, da der Mieter diese kaum kontrollieren kann und man das bei Mietzinserhöhungen nicht machen könnte. Das mit der Personenfreizügigkeit ist natürlich schwierig. Wenn wir Arbeitskräfte wollen, hat das auch seine Schattenseiten. Vielleicht kann man regulatorisch etwas machen, aber das wird schwierig sein, da wir die Rechtsgleichheit mit den EU-Bürgern beachten müssen. Letztlich führt aber nichts daran vorbei, den Mietwohnungsbau zu fördern.

Wieso ist das politisch denn nicht durchsetzbar, wenn – zumindest in der Stadt – deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung MieterInnen sind?

Die Mieter fühlen sich offenbar allein und glauben, dass der Mieterverband kein politisches Gewicht hat, sondern erst dann einschreiten kann, wenn es in einem konkreten Fall Äger gibt. Ausserdem ziehen die Mieter viel eher mal wieder weg oder wollen später selbst Eigentümer werden. Bei Ausländern aus dem Süden Europas, die einen überproportional hohen Mieteranteil aufweisen, wird der Mieterverband zudem oft als parastaatliche Organisation wahrgenommen. Da diese Menschen meist «staatskritisch» sind, kommt es zu einem Abwehrreflex. Das hat leider häufig unerfreuliche Folgen: Im Birch etwa gab es in einem Wohnblock mit 50 Mietwohnungen drei Monate lang kein warmes Wasser! Der einzige, der sich wehrte, war ein Schweizer.

Hatten die MieterInnen keine Ahnung?

Nein, wir hatten sie informiert, aber sie hatten Schiss. Dabei gibt es nichts Besseres als ein Schlichtungsverfahren, das man nicht auf ganzer Linie verliert: Danach geniesst man drei Jahre Kündigungsschutz. Der Mieter, der sich gewehrt hatte, bekam zudem einen Teil des Mietzinses zurück.

Versucht der Mieterverband, sein politisches Gewicht zu erhöhen?

Wir haben erst vor kurzem einen Gesamtschweizerischen Mieterverband gegründet, damit man national mehr Druck machen kann. Das Mietrecht ist ja national im Obligationenrecht (OR) geregelt.  Wir wachsen in Schaffhausen mit unseren 1200 Mitgliedern zwar langsam, aber einen grossen Sprung werden wir wohl kaum machen. Wir sind aber am Ball und werden uns weiterhin für die Mieter einsetzen.