Vor über 30 Jahren hat eine Handvoll Mittzwanziger ein paar Häuser in der Webergasse gekauft und in Eigenregie umgebaut. Die «Genossenschaft zur grünen Linde» besteht noch heute und bietet ihren Bewohnern guten Wohnraum zu günstigen Preisen.
Blättert man im Bautagebuch aus dem Jahr 1979, ist die Euphorie der GründerInnen noch heute zu spüren: «Mit viel gutem Willen, Engagement, Vorschlaghammer, Schaufeln etc. kämpfen wir gegen Staub, ekelhaft standhafte Wände, ganz lästige Holzroste, die unter den Gipsdecken hervorkommen und manchmal gegen den nahen Erstickungstod. Pfui Teufel, da hat es sooo viel Dreck und giftig trockenen Staub. Wir arbeiten im Dachstock an der Webergasse, meiner zukünftigen Wohnung. Sämtliche Kräfte werden eingesetzt, wir schuften wie die Hornochsen – es macht richtig Spass.»
Sie waren damals alle zwischen 25 und 30 und voller Tatendrang. «Der Drive der 68er-Generation, diese allgegenwärtige Euphorie hat uns regelrecht beflügelt», erinnert sich Heidi Steinemann, die letzte der GründerInnen, die bis heute in der Genossenschaft wohnt. «Nun wollten wir etwas mit der neu erlangten Freiheit anfangen und uns verwirklichen.»
Die jungen Männer und Frauen gingen unbeschwert an die Arbeit, heute nennen sie es «naiv». Dass aktuell 14 Menschen im Alter von 25 bis 80 in den gemeinsam verwalteten Liegenschaften leben können, ist neben dem Geist der GründerInnen zu einem guten Stück auch den glücklichen Bedingungen der Gründerzeit zu verdanken.
Heute würden sie als Zerstörung taxiert
Die drei Häuser erwarben sie damals fast gratis. Die Konjunktur war eingebrochen und ganze Häuserzeilen in der Altstadt wurden verscherbelt. Der Kaufpreis belief sich auf rund 150’000 Franken, heute undenkbar. Trotz des Schnäppchens konnten sich die GründerInnen nicht zurücklehnen. Den Umbau in professionelle Hände zu geben, wäre finanziell nicht tragbar gewesen, also machten sich die Pioniere, fast ausschliesslich Laien im Baugewerbe, selber ans Werk.
Das führte neben literweise Schweiss und feuchtfröhlichen Gelagen nach harten Arbeitstagen auch zu einer Vielzahl an Bausünden, die sich teilweise erst Jahre später bemerkbar machten und erhebliche Folgekosten nach sich zogen. Dass diese Art zu bauen toleriert wird, ist 2013 aus denkmalpflegerischen Gründen auch kaum mehr vorstellbar. 1979 störte sich niemand daran, dass die Fassaden umgebaut, die Fenster vergrössert, ein Dach fast vollständig abgerissen und eine grosse Lukarne auf ein anderes Dach gebaut wurde.
«Es ist grotesk, aber wahr: Alle finden das Haus gut: Das Bauamt, die Bewohner, die Nachbarn. Was heute als ‹pittoreske Vielfalt›, als ‹lebendige Altstadtbauerei› usw. gilt, ist entstanden aus Projekten, die heute nie mehr realisierbar wären, als ‹Zerstörung› taxiert würden und nicht einmal der Spur nach bewilligt würden», formulierte Genossenschafter Martin Ritzman 1999 in der Broschüre zum 20. Geburtstag der Genossenschaft.
«Wir wollen nicht den Profit maximieren, sondern das Wohnen»
Die Idee einer Genossenschaft basiert auf dem Prinzip der drei S: Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Solidarität. Es schliessen sich Personen zusammen, die wirtschaftlich, sozial oder kulturell ähnliche Interessen verfolgen.
Das Ziel von Wohnbaugenossenschaften ist es, mit preisgünstigem Wohnraum die Wohnungsnot zu bekämpfen und Wohnraum für alle, unabhängig von ihrem Alter, ihrem Einkommen oder ihrer Herkunft, zu schaffen. Die Mitgliedschaft bei einer Wohngenossenschaft bewegt sich rechtlich zwischen Miete und Wohneigentum; die Genossenschaftsmitglieder kaufen ihre Wohnungen nicht, sondern sind durch Anteilscheinkapital MitbesitzerInnen.
Baugenossenschaften funktionieren nicht gewinnorientiert. Sie verrechnen bloss eine Kostenmiete, die den effektiven Aufwand umfasst, was zu einem durchschnittlich deutlich tieferen Mietzins führt. Dabei funktioniert die Genossenschaft demokratisch: Unabhängig von der Höhe des Anteilscheins haben alle Mitglieder ein gleichwertiges Mitspracherecht.
Ausgehend von diesen Bedingungen, ermöglicht eine Wohnbaugenossenschaft ein sehr vielfältiges Zusammenleben, das den Mitgliedern zwar ab und zu etwas Toleranz abverlangt, dafür aber für viel Abwechslung und Kreativität sorgt.
Schaffhausens wohl berühmteste Wohnbaugenossenschaft ist «Die Grüne Linde». Sie wurde 1979 gegründet und beherbergt heute in vier Häusern 14 völlig unterschiedliche Personen. In einer kleinen Foto-Strecke bilden wir Auszüge aus dem Inneren dieser farbigen Genossenschaft ab, wo sich LehrerInnen, FotografInnen, Reisende, Jüngere und Ältere, Jazzhörer und Harfenspieler, KöchInnen, Familien, Langschläfer, Bücherbegeisterte, BesucherInnen und Rumliebhaber treffen und alle auf ihre Art ihre ganz persönlichen Spuren hinterlassen.
Den Erfolg der «Grünen Linde», die bald ihr 35-Jahr-Jubiläum feiern kann, aber allein auf das Engagement von zwei Handvoll Pionieren und die Umstände ihrer Zeit zu schieben, wäre weit gefehlt. Nach dem Bau waren es die internen Strukturen, die den Erfolg sicherten. «Wir wollen nicht den Profit maximieren, sondern das Wohnen», sagt Köbi Hirzel, seit Jahren Präsident und treibende Kraft der Genossenschaft.
Solange sich niemand eine goldene Nase verdienen will, können die Mietzinsen auf einem relativ tiefen Niveau gehalten werden. Über Mietzinsen entscheiden die BewohnerInnen – alle müssen GenossenschafterInnen sein – gemeinsam, und zwar nach dem Einstimmigkeitsprinzip. Nur wenn sich alle einig sind, können Entscheide gefällt werden. «Das führt manchmal zu längeren Diskussionen, am Schluss fühlt sich aber niemand hintergangen», erklärt der Präsident in seiner Stube, in der schon seine inzwischen ausgezogenen Kinder aufgewachsen sind.
Man habe die Genossenschaft seit der Gründungszeit zwar um ein Haus erweitert, dabei aber immer geschaut, dass sie nicht zu gross wird. «Wir wollen, dass alle Genossenschafter in einer Stube zusammensitzen können, was mindestens alljährlich bei der Generalversammlung geschieht. Sonst wäre es wohl dann doch etwas kompliziert.»
Man investiert für das Kollektiv
Natürlich kommt es bei einem solchen Wohnmodell ab und an zu Unstimmigkeiten, und solche Konflikte sind dann besonders hart, lebt man mit den Mitgenossen ja doch näher zusammen als in einer gewöhnlichen Mietwohnung. Das habe bereits kurz nach der Gründung angefangen, erinnert sich Heidi Steinemann.
Die Mitglieder hätten hunderte Stunden für den Umbau aufgewendet, dabei aber nicht für sich selbst, sondern für die Genossenschaft gearbeitet. Bei den ersten Auszügen kam dann die Frage aufs Parkett, ob und inwiefern diese Arbeit abgegolten werden sollte. Man investiert, aber nicht für sich selbst, sondern für das Kollektiv.
Auch heute sind solche Fragen allgegenwärtig. Soll man die Mietzinsen erhöhen, um in die Liegenschaften zu investieren oder Schulden abzubauen? Soll die Privatperson Geld aufwenden, um das Wohl der zukünftigen Mietergeneration sicherzustellen? «Solche Fragen sind immer eine Gratwanderung, und genau deshalb ist die Einstimmigkeit so wichtig», betont Hirzel nochmals. Sollte wider Erwarten einmal keine Lösung gefunden werden und sollten sich die Fronten verhärten, wären die Statuten die einzige Instanz.
Bisher ist man aber mit couragierten Verhandlungen fast immer zu einer für alle Partien befriedigenden Lösung kommen.
«Es wäre schön, wenn sich auch heute junge Leute für das Wohnmodell Genossenschaft begeistern könnten und selber etwas Ähnliches aufbauen würden», sagt Hirzel, um sogleich nachzuschieben, dass ein solches Vorhaben natürlich heutzutage schwieriger zu verwirklichen sei. Heidi Steinemann sieht das ähnlich: «Vielleicht müsste man einen solchen Anlauf auf dem Land nehmen.» Oder man hat einfach Glück, wie es die Gründer vor 34 Jahren hatten in ihrem jugendlichen Tatendrang.