Vier Mal stündlich ins Paradies und zurück

Gut zwei Monate ist es nun her, dass die SBB der Schaffhauser Bevölkerung einen lang ersehnten Wunsch erfüllten: den Halbstundentakt zwischen Schaffhausen und Zürich. Gehört unser Städtchen damit schon bald zur Agglomeration Zürich? Was bringt die bessere Anbindung mit sich – ausser kürzeren Wartezeiten für Pendler?

Während mehr als einem Jahr hatte die Countdown-Anzeigetafel am Bahnhof Schaffhausen geduldig auf diesen Tag gewartet, und sie war keineswegs die Einzige: Der 9. Dezember 2012 war ein Freudentag für Vielreisende aller Alter und Couleur. Egal ob StudentInnen, ArbeitnehmerInnen oder RentnerInnen, wer häufig zwischen Schaffhausen und Zürich unterwegs war, musste oft eine Reise in vollen Zügen in Kauf nehmen und hatte – im Gegensatz zu den meisten anderen Regionen um Zürich – nur den Stundentakt.

Mit dem neuen Halbstundentakt sollte sich dies ändern. Der Bund investierte rund 155 Millionen Franken in den Ausbau der Strecke, so dass auf der neuen Doppelspur nun zwei Schnellzüge pro Stunde verkehren, zusätzlich zu den zwei Verbindungen über Winterthur.

Der Halbstundentakt wurde im Dezember mit einem Weihnachtsmarkt im Kreuzgang und am Münsterplatz eingeweiht. Bilder: ya.

Zweifelsfrei wird Schaffhausen durch die bessere Anbindung an den ZVV als Wohnort attraktiviert und kann – so die Hoffnung von Regierung und Wirtschaftsförderung – vermehrt NeuzuzügerInnen anlocken. Als Folge davon wird die Nachfrage nach Wohnraum steigen und ebenso die Preise.

Zwar ist bei bestehenden Mietverträgen ein Preisaufschlag lediglich aufgrund der besseren ÖV-Anbindung rechtlich nicht zulässig (ein solcher muss stets mit einer Wertsteigerung am Objekt selbst begründbar sein), bei Neumietungen rechnen Wüest und Partner in der Region Schaffhausen jedoch mit einem Mietpreiszuwachs von zwei bis drei Prozent bis Ende 2013.

Prognosen sind schwierig

Wie sehr der neue Halbstundentakt die Mietpreisentwicklung in den kommenden Monaten und Jahren tatsächlich noch beeinflussen wird, bleibt schwierig zu prognostizieren, zumal die Bekanntgabe des Schienennetz-Ausbaus schon mehr als drei Jahre zurückliegt. Die damit verbundene «Aufwertung» der Region Schaffhausen begann folglich bereits 2009, die Mietpreissteigerung zu beeinflussen.

Walter Angst, Gemeinderat der Zürcher AL und Kommunikationsleiter des Mieterverbands Zürich, wagt einen Vergleich mit Winterthur, weist aber auch auf die grossen Unterschiede zwischen den beiden Städten hin: «Ähnlich wie Winterthur ist Schaffhausen ein urbanes Zentrum mit kulturellem Angebot, das eine Anziehungskraft auf Menschen hat, die mobil sind und wegen der exorbitanten Mieten aus Zürich wegziehen. Es sind Haushalte mit einem guten Einkommen, die sich gewohnt und bereit sind, bedeutend höhere Mieten zu bezahlen, als das in Winterthur und Schaffhausen in der Vergangenheit üblich war. Allerdings muss man auch die Grenzen dieser Entwicklung sehen. Winterthur erreicht man schneller als eines der ferneren Aussenquartiere von Zürich, nach Schaffhausen hat man doppelt so lang. Entsprechend kleiner ist der Druck.»

Hinter dem Bahnhof wird ein Projekt nach dem andern realisiert. Das Landhaus machte den Anfang, dann folgte das Diana-Areal und nun noch die Bleiche. Die Wohnungen richten sich an EinwohnerInnen ab dem höheren Mittelstand.

«Qualitatives Wachstum»

Obschon sie in den letzten 7 Jahren um beinahe 30 Prozent gestiegen sind, liegen die Mieten in Schaffhausen nach wie vor unter dem Schweizer Durchschnitt und sind etwa 56 Prozent niedriger als die Mieten in Zürich. Diesbezüglich dürfte sich ein Umzug nach Schaffhausen also durchaus lohnen. Doch welche Bevölkerungsgruppen werden von der aktuellen Wohnmarktsituation angezogen?

Jüngst entstanden und entstehen an verschiedenen Lagen in der Stadt Schaffhausen Wohnungen im Hochpreissegment, was auch den Wachstumszielen des Kantons entspricht. Dieser möchte mit gutbetuchten NeuzuzügerInnen den erwarteten Einbruch bei den Steuereinnahmen ausgleichen. Ein weiteres erklärtes Ziel der Kantonsregierung ist es, Familien mit Kindern anzuziehen, da unserem Kanton die Überalterung droht. Die für diese potentiellen NeuzuzügerInnen wichtigen Faktoren, wie bezahlbarer Wohnraum und ein vielfältiges Betreuungsangebot, wurden bisher jedoch grösstenteils vernachlässigt.

Wenngleich das tatsächliche Ausmass des Mietpreisanstiegs noch nicht klar ist, liegt doch auf der Hand, dass sich die Situation vor allem in der Stadt spürbar verändern wird. Zusammen mit den steigenden Mieten sind die üblichen Verdrängungs- und Aufwertungsprozesse zu erwarten. Für Familien und Geringverdienende dürfte es also zunehmend schwieriger werden, günstigen und zentralen Wohnraum zu finden. Nischen, die von Menschen genutzt werden konnten, die nicht im Tempo der Leistungsgesellschaft mitmachen können oder wollen, verschwinden. Kulturelle Vielfalt wird es künftig schwerer haben, gegen den Kommerz zu bestehen.

Wie weiter?

Um das kulturelle Leben und die soziale Durchmischung in Schaffhausen zu erhalten, muss die Stadt eine mutige, zielgerichtete Stadtentwicklungspolitik einschlagen. Sie muss eine aktive Liegenschaftspolitik betreiben und mit planerischen Mitteln dafür sorgen, dass nicht einzelne Immobilienfirmen Unsummen verdienen, sondern dass die in einer wachsenden Stadt anfallenden Mehrwerte im Interesse der Allgemeinheit genutzt werden.

Walter Angst erklärt diese Massnahmen konkret: «Die Stadt soll Land und Liegenschaften kaufen, die Immobilien nach den Prinzipien der Kostenmiete (Verzicht auf Spekulation) vermieten oder an Genossenschaften im Baurecht abtreten. Wenn Planungsmehrwerte geschaffen werden durch Um- oder Aufzonungen, sollen die entstehenden Mehrwerte abgegolten werden, indem man einen Teil der Wohnungen ebenfalls nach den Prinzipien der Kostenmiete bewirtschaftet oder Land zu einem Preis an Genossenschaften verkauft, der die Erstellung von preisgünstigen Wohnungen ermöglicht. Und man soll den Mieterschutz pflegen und ausbauen.»

Auch die JUSO-Initiative «Für bezahlbaren Wohnraum» zeigt mögliche Wege für eine gezielt auf den Erhalt und Ausbau von preiswerten Räumen ausgerichteten Wohnbaupolitik auf. Wenn das «qualitative Wachstum» Schaffhausens kein leeres Versprechen bleiben soll, werden Stadt und Kanton also gefordert sein in den kommenden Jahren. Abschliessend darf man jedoch nicht vergessen, wie wichtig die Initiative Einzelner, gerade in einer kleinen Stadt wie der unseren, sein kann. Wer sich als Genossenschaft organisiert, kann Wohnraum langfristig der Spekulation entziehen, dank günstigen Mieten neue Lebensformen entwickeln und eine attraktive Alternative zum Abzockerkapitalismus schaffen.