Ein Künstler und Fotograf wird zum Regisseur, ein Fotograf zum Kameramann und ein Rapper zum Hauptdarsteller eines Spielfilms über den Alltag eines kuriosen Mittzwanzigers in der Munotstadt.
Rubén Fructuoso (26), Iván Fernández (29) und Carlos Abad (34) sind Söhne von SpanierInnen, die vor Jahrzehnten in Schaffhausen Arbeit und eine neue Heimat fanden. Sie kennen sich von Kindsbeinen auf, von den spanischen Anlässen ihrer Eltern. Dass sie nun zusammen einen Film realisiert haben, ist einerseits dem Zufall ihrer gemeinsamen Herkunft zu verdanken. Andererseits aber auch einer Notwendigkeit, die alle drei im Laufe ihres Erwachsenwerdens dazu brachte, Kunst zu produzieren: Fructuoso fand zur bildenden Kunst und zur Fotografie, Fernández zur Fotografie und Abad alias Gran Purismo zum Rap.
Als GP Anfang 2011 sein erstes Solo-Album «Neorrealismo» veröffentlichte, suchte er für das Shooting des Covers und der Pressebilder einen Fotografen. Da Fructuoso damals kurz davor stand, ein Fotografie-Studium an der Zürcher Hochschule der Künste abzuschliessen, vermittelte ihm Fernández den gemeinsamen Freund aus Kindertagen. Es blieb nicht bei diesem kurzen Wiedersehen, denn Gran Purismo erzählte den beiden von einer wagemutigen Idee – davon, ein Drehbuch zu schreiben für einen Spielfilm, wie ihn das Munotstädtchen noch nie gesehen hat.
Die Neugier muss bei allen grösser gewesen sein als die Ehrfurcht vor unbekanntem Terrain. Zusammen arbeiteten sie Szenen aus dem Alltag einer Figur aus, die GP auf den Leib geschrieben wurde: ein junger Mann, der mitten im Leben steht, sich jedoch daran reibt. Einer, der dem Trott zum Trotz Idealist geblieben ist, der sich nicht zufrieden gibt und Fragen stellt. Einer mit einem kolossalen Mundwerk und sarkastischem Humor. Eine Art Munotstädter Antiheld. Im Frühjahr 2011 reichten sie ihr Werk bei der Kulturförderung ein und wurden prompt mit 20’000 Franken unterstützt.
Dieses Mini-Budget musste reichen. Das Geld wurde ausschliesslich für neues Equipment ausgegeben: für einen iMac, eine Canon 5D Mark II, ein Sennheiser-Mikrofon, einen Zoom-Recorder, eine Steadycam (aus Kostengründen reichte es nur für eine indische Nachahmung), einen Shoulder-Rig für die Kamera und Backup-Festplatten, USB-Sticks und CF-Karten für die Verarbeitung der Daten. Die Arbeit am Film selber kostete dann richtig viel Herzblut.
Fructuoso übernahm die Regie, Fernández führte die Kamera. Die Nebenrollen spielten Freunde und Familienmitglieder. Gedreht wurde ausschliesslich in Schaffhausen – draussen auf Strassen und in Waldwegen wie drinnen in Privatwohnungen, im Orient Music Club, im JazzArt Café, im Studio des Schaffhauser Fernsehens oder im Kino Kiwi Scala. Den Schnitt realisierten Fructuoso und Fernández am Computer. Für das Tonmastering konnten sie den Schaffhauser Musikproduzenten Simon «Konfus» Gasser gewinnen.
Nach eineinhalb Jahren war der Film schliesslich im Kasten. Entstanden ist ein Fünfzigminüter, der mit seiner eigenwilligen Bildsprache glänzt. Vor allem die vielen, mehrere Minuten dauernden Einstellungen in der Totalen und Halbtotalen, in welchen die Hauptfigur in ihrem Umfeld inszeniert wird, beeindrucken. Sie wirken wie zum Leben erweckte Gemälde eines Alltags aus Abhängen, Arbeit und Zerstreuung. Dass dabei nie Langeweile aufkommt, ist Fructuosos Hang zu durchkomponierten Bildern zu verdanken.
Ein weiteres Highlight von «Erbsünde» ist Hauptdarsteller Gran Purismo, der Rapper sorgt für die vielen Höhepunkte des Films. Etwa dann, wenn er an der Bar im Orient einem Typen – notabene über fünf Minuten hinweg – die selbstgestellte Frage beantwortet, wann Gott menschlich und der Mensch göttlich werde. Oder dann, wenn er – im Stile eines Youtube-Videos gefilmt – so tut, als ob er Ella Fitzgeralds «Imagine My Frustration» singen würde und dazu tanzt. Aber auch der Mut der Regie, alle Nebenrollen mit Laien zu besetzen, zahlte sich aus. Die DarstellerInnen überzeugen ohne Ausnahme, spielend wie sprechend.
Und nicht zuletzt unterhält «Erbsünde» mit Dialogideen und Wortschöpfungen, die hängen bleiben. Beispiel gefällig? Frühmorgens im Orient, der Club ist leer. Nur die Hauptfigur sitzt mit einem letzten Glas Falken-Bier an der Bar und wird von einer Frau angesprochen. Der Kerl will aber nicht recht flirten, weshalb sie ihm vor dem Abgang «Loser» ins Ohr haucht. Darauf führt der Säufer einen kolossalen Dialog mit seinem Bierglas, an dessen Ende er spricht: «Flüg wenen Falk, Schaff-loser! Flüg wenen Falk!»