Stoische Melancholie und Schusswaffen

Filmverführung

Takeshi Kitano, der Mann mit dem merkwürdig schiefen Gesicht.

In seiner japanischen Heimat ist der Mann ein Superstar, hierzulande nur mässig bekannt, den meisten durch seine Rolle im soeben in Deutschland beschlagnahmten «Battle Royale».

Nach harter Kindheit mit schuftender Mutter und Prügelpapa verdingt sich der junge Takeshi als Taxifahrer, Servierdüse, Liftboy, wird schliesslich Komiker. Als Teil des Duos «The Two Beats» beeindruckt er mit provokanten Nummern und erntet den Künstlernamen Beat Takeshi, unter dem er noch heute in Japan bekannt ist.

Fernseh- und Radioshows folgen, bis schliesslich der legendäre, nicht minder provokante Regisseur Nagisa Oshima («Im Reich Der Sinne») auf ihn aufmerksam wird. In dessen Film «Furyo – Merry Christmas Mr. Lawrence» gib Kitano an der Seite von David Bowie sein Leinwanddebüt. Auch in Oshimas letztem Werk «Gohatto» (Tabu), einem Schwulen-Drama im Samurai-­Milieu, hat er eine Hauptrolle.

Nach einer Zwangspause (Kitano hatte, recht rüde, die Redaktion einer Zeitung überfallen, nachdem diese behauptet hatte, er habe ein Verhältnis – eine Unterstellung, die ihn fast seine Ehe gekostet hätte) soll er in einem Streifen des späteren «Battle Royale»-Regisseurs Kinji Fukasaku spielen, jedoch verhindern Terminprobleme die Zusammenarbeit. Stattdessen kann Kitano seinen ersten eigenen Film verwirklichen, den hammerfiesen «Violent Cop» (1989). Einen solchen Bullen hatte man noch nicht gesehen: In langen, ruhigen Einstellungen gefilmt, wortkarg und mit abrupter, kaltschnäuziger Gewalt versehen, war dies eine gänzlich andere Facette des Comedy-Talentes Kitano. «Japans Antwort auf Clint Eastwood» jubiliert folgerichtig die geneigte Presse.

Weitere Genrefilme folgen («Boiling Point» 1990, «Sonatine» 1993, «Hana-Bi» 1997), knüppelhart und dennoch von poetischer Schönheit. Zerbrochene, hoffnungslose Charaktere in einer gnadenlos gewalttätigen Welt, die jedoch immer wieder kleine humorige Eskapaden bereithält.

Zwischen all diesen Cop- und Gangsterballaden verwirklicht Kitano, wie um alle zu verwirren, die tieftraurigen Dramen «A Scene At The Sea» und «Kid’s Return» sowie das schwachsinnige Slapstick-Spektakel «Getting Any?», das ratloses Kopfkratzen bewirkt.

Schliesslich folgen zwei absolute Höhepunkte: 1999 der grandiose «Kikujiro’s Sommer», in dem ein griesgrämiger Yakuza mit einem kleinen Jungen auf der Suche nach dessen Mutter ist. Gespickt mit skurrilen Ideen, menschlicher Wärme und wundervollen Charakteren, ein echter Feel Good-Movie.

FRANK KAY WINDELBAND ist Barkeeper in der «Schäferei». Seine Leidenschaft ist die Cinematografie. Frank besitzt über 6’000 Filme, ausgewählte Perlen zeigt er monatlich anlässlich der «Camera Obscura» im TapTab.

Direkt hinterher die einzige US-Co-Produktion, eine Rückkehr in die Welt der Yakuza, der Gangs, der Dealer. «Brother» (2000) heisst das Werk, in dem es einen Exil-Ganoven in die USA verschlägt, wo er ein neues Imperium aufbaut. Sicherlich einer der westlichen Sehgewohnheiten am zugänglichsten Streifen im Gesamtwerk Kitanos. Besonders hervorheben darf man bei diesen 2 Filmen auch die betörend schöne Musik von Kitanos Stammkomponisten Joe Hisaishi. Stoff für ein eventuelles Camera Obscura-Doppelprogramm.

Nach «Dolls» und dem Kassenschlager «Zatoichi» (die Abenteuer des blinden Wandermasseurs wurden seit 1959 satte 27 Mal auf Zelluloid und in 2 TV-Serien festgehalten!) folgen mit «Takeshi’s», «Glory To The Filmmaker» und «Achilles und die Schildkröte» verquaste, unzugängliche Streifen, bevor Kitano 2010 mit «Outrage» wieder im harten Yakuza-Genre landet, dies jedoch eher etwas uninspiriert, die Wirkung der frühen Outlaw-Streifen war etwas verpufft. Eine Fortsetzung entsteht dennoch, «Outrage Beyond» kommt 2012 in die Kinos.

Das alles ist ja schon ein recht umfangreiches Werk, aber Kitanos Tage scheinen 48 Stunden zu haben. Wie sonst könnte er neben seiner Arbeit als Regisseur, Produzent und Cutter auch noch malen, unzählige Rollen in Filmen anderer Regisseure übernehmen, etwa 20 Bücher schreiben («Warum ich Frauen trotzdem mag», «Die Welt hasst mich»), ins Koma fallen (nach einem Mopedunfall 1994, daher auch seine halbseitige Gesichtslähmung), Talkmaster sein, Zeremonienmeister bei der fast schon sadistischen Fernsehshow «Takeshi’s Castle»? Der Mann ist ein Wahnsinniger, ein Workaholic und ein absolutes Unikum. Nach Sichtung seiner Filme, nach diesem Versuch der Annäherung, sind wir nicht wirklich schlauer.