«Stürmische See» hat die Fass-Beiz verschlungen

Die Fass-Beiz-Genossenschaft ist Geschichte. Über die Gründe wird viel spekuliert. Der Lappi hat bei ­früheren Entscheidungsträgern nachgefragt, wie es dazu kommen konnte.

Volles Haus an der Uustrinkete der genossenschaftlichen Fass-Beiz.

Ich liege im Innenhof, kotze und weine bittere Tränen. Es muss sich irgendwann Mitte der Neunzigerjahre zugetragen haben und ist meine erste Erinnerung an die Fass-Beiz. Eine halbe Stunde zuvor habe ich am Punkkonzert im Fass-Keller an einem Riesenjoint gezogen und es gerade noch die Wendeltreppe rauf geschafft, bevor ich den Pflastersteinbelag und wohl auch ein paar Leute vollgereiert habe. Was mussten die Beizengäste, die mir durch die Pano­ramafenster beim Kotzen zuschauen durften, wohl gedacht haben? Sehr wahrscheinlich dies: Asoziale sterben nie aus, sie kommen und gehen. Oder sie bleiben und werden zu den Alten, die sich denken: Asoziale sterben nie aus.

Denn die Fass-Beiz – gegründet im Jahr 1978 des Herrn – hatte schon wesentlich wildere Generationen integriert. Als ich dort als Teenager ein und aus ging, war sie längst der Treffpunkt für so ziemlich alles, was sich in Schaffhausen im linken Spektrum tummelte: Ex-Punks, VeloaktivistInnen, GewerkschafterInnen oder PolitikerInnen der SP, der Juso, der ÖBS und des Grünen Bündnisses. Es gab schlicht keine andere Adresse in Schaffhausen, wo so vieles nebeneinander Platz fand: Essen, Zeitungslektüre, Theater, Sitzungen, Konzerte, Suff und Gelage aller Art. Das machte die Fass-Beiz über Jahrzehnte hinweg zu einer Keimzelle für neue Ideen und Aktionen.

Heute, da wir auf fünfunddreissig Jahre Fass-Beiz-Genossenschaft zurückblicken, wissen wir jedoch: Es brechen neue Zeiten an. Anfang 2013 fiel der Entschluss, die Verträge der Genossenschaft aufzukünden und die Beiz künftig zu verpachten. Wobei die neuen Zeiten lange vorher begonnen haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Genossenschaftsbeiz bereits im Herbst 2011 ein erstes Mal gerettet werden musste.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Einer, der damals in die Bresche sprang, ist Martin Hongler. Wir treffen uns zu einem Gespräch in der Fass-Beiz. Er kommt gerade von der Arbeit, trägt Anzug und Krawatte. Im Sitzungszimmer erzählt er mir dann, wie es damals dazu kam, dass er den drohenden Konkurs der Beiz mit 80’000 Franken aus der eigenen Tasche abwendete: Sein Freund und Bücher-Fass-Betreiber Georg Freivogel habe ihn angerufen und erklärt, dass die Fass-Beiz am Ende sei. Zwar habe die Aussicht bestanden, dass die Fass-Beiz in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden könne, doch der Investor dieser AG habe sich bei näherer Betrachtung in Luft aufgelöst. Hongler habe seinen Freund gefragt, ob Geld helfen würde. Freivogel habe bejaht.

Hongler sagt, er habe halt Geld, dazu stehe er. Er habe seine Unterstützung aber nicht als Investition in die Zukunft betrachtet. Es sei damals einzig und alleine darum gegangen, die Schulden zu tilgen und einen Konkurs abzuwenden. Damit sei die Hoffnung zurückgekehrt, die Fass-Beiz wieder auf Kurs zu bringen. Weitere Unterstützer seien zusammengetrommelt worden. Sie hätten für 107’000 Franken Anteilscheine einer neuen Genossenschaft gekauft. Alles sah nach einem schwungvollen Neubeginn aus: Die neu gegründete Genossenschaft bekam eine Verwaltung, die Georg Freivogel als Geschäftsführer der Fass-Beiz einsetzte. Der Retter fungierte als Beisitzer. Die Statuten datieren vom 26. Januar, der Eintrag ins Handelsregister vom 31. Mai des Jahres 2012.

Nur wenige Monate später habe sich die Lage jedoch bereits wieder zugespitzt, berichtet Hongler. Das neue Geld sei schon im Spätsommer 2012 fast zur Hälfte aufgebraucht gewesen. Er erzählt, dass sie damals zum ersten Mal die Zahlen genau angeschaut und gemerkt hätten, dass die Fass-Beiz bereits seit 2008 Verluste im Bereich mehrerer zehntausend Franken geschrieben hatte. Die Gründe sieht er im Rauchverbot, der zunehmenden Konkurrenz in der Munotstadt – durch Schäferei, Cardinal, aber auch durch die vielen Kebabläden – und darin, dass die Fass-Beiz Personalkosten von über 60 Prozent am Gesamtumsatz habe aufwenden müssen. Normal seien zwischen 40 und 50 Prozent, sagt Hongler.

Dazu seien strukturelle Probleme gekommen. In der Fass-Beiz würden seit jeher viele Teilzeiter arbeiten, was in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Probleme gebe. Die Buchhalterin etwa arbeite 25 Prozent und habe nur selten an den Sitzungen teilnehmen können. Hongler spricht gerne in Bildern: Auf stürmischer See brauche es halt einen Kapitän. Später wird er auf die Vorwürfe, wonach das Beizenteam nicht zum Entschluss befragt worden sei, den Genossenschaftsbetrieb einzustellen, die Metapher einer gescheiterten Liebesbeziehung bemühen: Die Verlassene führe dann halt das Wie ins Feld, wenn schon nicht am Was gerüttelt werden könne.

Hongler bestätigt aber im Rückblick, dass die Kommunikation nicht optimal verlief. Das Beizenteam sei schlussendlich vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Und auch die Genossenschaftsmitglieder. Andererseits, sagt er, wäre es am Schluss auch nicht anders herausgekommen. Ende 2012 seien die 107’000 Franken praktisch aufgebraucht gewesen. Und wenn sie nicht gehandelt hätten, wäre der Konkurs der Fass-Beiz die logische Folge gewesen.

Skizzen eines komplexen Gebäudes

Die Sonne steht hoch über dem Cholfirst. Die Aussicht von Richard Meiers Haus hoch oben hinter dem Emmersberg ist überwältigend. Man überblickt den Rhein von der Schiffswerft bis nach Feuerthalen. Meier ist seit vierzehn Jahren Mitglied der Verwaltung der Genossenschaft zum Eichenen Fass. Er kocht Kaffee, während seine Kinder draussen mit Nachbarskindern spielen. Als ich ihn mit meinen Fragen zum Ende des Genossenschaftsbetriebs in der Fass-Beiz konfrontiere, greift Meier zu Stift und Papier. Er zeichnet erst einmal auf, wie die Genossenschaft zum Eichenen Fass organisiert ist.

Meier zeichnet die Umrisse eines Hauses und schreibt unter das Dach: DG für Dachgenossenschaft. Sie habe bei ihrer Gründung im Jahr 1977 sieben Mitglieder gehabt. Heute seien es über 300. Die DG verwalte zwei Liegenschaften an der Webergasse 11 und 13: Das Eichene Fass und das Haus zur Unruh inklusive dessen Hinterbau. Darunter schreibt er: Fass-Beiz, Fass-Laden, Bücher-Fass, Fass-Keller und Wohnungen – und erklärt, die DG vermiete ihnen die Räumlichkeiten, bezahle das Grossinventar und die Renovationen. Die DG übe aber keine Kontrollfunktion aus und habe keine Einsicht in die Rechnungen der MieterInnen. Sie sei in der Vergangenheit aber dennoch bereit gewesen, diese zu unterstützen, wenn sie vor finanziellen Problemen standen. Soweit er sich erinnern könne, sei das bei der Fass-Beiz erstmals im Jahr 2006 der Fall gewesen. Die DG habe die Genossenschaftsbeiz damals mit einem Darlehen unterstützt, welches später erlassen worden sei.

Auf die Frage, wie er sich die finanziellen Schwierigkeiten der Fass-Beiz ab Mitte der Nullerjahre erkläre, skizziert Meier einen Betrieb, dessen Umsätze erst gestiegen und dann eingebrochen sind. Durch die zunehmende Konkurrenz im Munotstädtchen, die Reduktion der Promillegrenze und das Rauchverbot. Und als die Umsätze einbrachen, habe man die Ausgaben nicht ausreichend gedrosselt. Die Personalkosten seien schon immer hoch gewesen und hätten sich 2008, als die Fass-Beiz-Genossenschaft zusätzlich die Schäferei übernommen hatte, sogar noch gesteigert. Die Kontrollstelle des Landesgesamtarbeitsvertrags des Gastgewerbes habe damals die Löhne der Beiz überprüft, worauf diese auf GAV-Niveau hatten angehoben werden müssen.

Wir wechseln raus auf die Terrasse, rauchen und sprechen über den Entscheid, die Fass-Beiz-Genossenschaft auf Ende April 2013 aufzugeben. Richard Meier erklärt, die Verwaltung der Fass-Beiz Genossenschaft sei Anfang des Jahres auf sie zugekommen und habe gesagt, dass der Konkurs drohe, und für die DG sei es das Wichtigste gewesen, einen solchen abzuwenden. Meier beschreibt die Versiegelung der Beiz durch den Konkursrichter als Super-GAU. Über Monate keinen Betrieb, dazu das Konkursverfahren, das habe mit allen Mitteln verhindert werden müssen. Sie hätten deshalb schnell gehandelt: den Mietvertrag der Fass-Beiz-Genossenschaft einvernehmlich gekündigt und einen Ausschuss mit dem Auftrag eingesetzt, einen Pächter für die Fass-Beiz zu finden, was ihnen dann auch geglückt sei.

Vom Wachstum zur Krise

Jonas Schönberger hat die Geschicke der Fass-Beiz in den Nullerjahren massgeblich mitgeprägt, bis er 2010 eine neue Arbeitsstelle bei der Zürcher Werbeagentur Culinea antrat. Wir treffen uns nach seinem Feierabend im Fass-Innenhof, rauchen und sprechen über den Aufstieg und Fall der Genossenschaftsbeiz. Schönberger erzählt von einer anfänglichen Baisse, als er Ende der Neunziger als gelernter Koch mit einem Lohn von unter 2’000 Franken eingestiegen war: Der Betrieb sei zwar gut organisiert gewesen, die Leute seien aber ausgeblieben.

Der Aufschwung sei erst gekommen, als sie die Küche revolutioniert hätten. Mit neuen Leuten in der Küche seien die Rezepte ausgefallener und die Anrichte edler geworden. Und mit neuen Leuten im Service sei der Kaffee besser geworden, sei auf Sauberkeit, Pflicht und auch sonst jedes Detail geachtet worden. Das habe zwar ein paar alte Gäste verschreckt, aber viele neue angezogen.

Das Fass baute zudem aus. Im Jahr 2000 rief die Genossenschaft einen Party-Service ins Leben, 2002 übernahm sie dafür die Bäckerei an der Webergasse 46 als Produktionsstätte. 2007 wurde der Versuch gestartet, ein durchgehendes Kulturprogramm im Fass-Keller zu bieten, 2008 kam die Übernahme der Schäferei. Sie hätten den Umsatz so jedes Jahr steigern können, so Schönberger. Er spricht von über einer Million Franken in den besten Zeiten. Bisher ungeahnte Höhen.

Aber ein hoher Umsatz, erklärt er umgehend, garantiere noch lange keinen hohen Gewinn. In einem Jahr seien sie auf plus 50’000 Franken gekommen. Im anderen auf minus 30’000. Denn mit den steigenden Einnahmen seien immer auch die Ausgaben gestiegen. Besonders hart traf das Fass die GAV-Kontrolle, welche die Personalkosten um fast zehn Prozent in die Höhe getrieben habe.

Ich frage ihn, wie es zum Dauerkrisenzustand kommen konnte, nachdem es zuerst über Jahre hinweg nur aufwärts gegangen war. Schönberger führt aus, dass schon vor 2008 viele wichtige Leute den Laden verlassen hätten. Teils, um neue Restaurants und Beizen aufzumachen, deren Existenz die Fass-Beiz – neben der so schon gewachsenen Konkurrenz in Schaffhausen – zu spüren bekommen habe. Dann seien die Einnahmen der Fass-Beiz aber auch zurückgegangen, als dort nicht mehr geraucht werden konnte, weil man ja in der Schäferei rauchen durfte.

Als er die Genossenschaftsbeiz nach dreizehn Jahren verlassen habe, weil er zwischen einer Hundertfünfzigprozentstelle und einem Leben, in dem auch Freunde und Familie Platz finden, habe entscheiden müssen, sei die Luft draussen gewesen, meint Schönberger schliesslich. Auch, weil der Nachwuchs gefehlt habe. Die Fass-Beiz habe wieder die Umsätze auf dem Niveau der Neunzigerjahre erwirtschaftet, aber mit viel höheren Fixkosten. Und niemand habe die Verantwortung übernehmen können oder wollen, um die hohen Ausgaben zu reduzieren.

Uustrinkete

Ich gehöre ebenfalls zu jenen, die nicht mehr in die Fass-Beiz gingen, als man dort nicht mehr rauchen durfte. Oder nur noch ab und zu. Das war aber nur deshalb möglich, weil es längst andere Treffpunkte für Asoziale wie mich gab in der Stadt. Die Schäferei etwa. Oder das Cardinal. Ich ging erst wieder hin, als es längst zu spät war. Als die Kacke im Hintergrund bereits am Dampfen war. Wovon ich aber nur wenig mitbekam, weil dort wieder ein Beizenteam den Laden schmiss, das einen Hauch alter Zeiten in die Fass-Beiz zurückbrachte.

Diese Leute übernahmen im Herbst 2012 das Geschäft, versuchten Ansätze gegen die Misere zu entwickeln, hatten aber schon verloren, bevor sie loslegten. Die radikalen Einschnitte hätten viel früher gemacht werden müssen. Nach vier Monaten wurden sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie machten dennoch weiter, bis zum bitteren Ende. Mit Konzerten und Gelagen wie dereinst.

Und als das Ende kurz bevorstand, verabschiedeten sie sich auf ihre eigene Weise von der Fass-Beiz: Sie nutzten die letzte Woche vor der finalen Uustrinkete am 27. April zwar zum Saubermachen, feierten aber auch nicht selten bis in die Nacht hinein. Die Uustrinkete selber war schliesslich ein rauschendes Fest. Neue Zeiten sind vor langer Zeit ins Land gezogen. Am 28. April 2013 begann jedoch eine neue Zeitrechnung.