Das ungeschönte Leben in den Bergen

Auslese

Die Journalistin Daniela Schwägler porträtierte 15 Älplerinnen.

Manchmal liegen Traum-Alp und Albtraum nahe beieinander. Das erste Kapitel des Buches «Traum Alp», welches 15 Älplerinnen zwischen 20 und 75 Jahren in der Schweiz porträtiert, stellt Katja Boschi Mühleisen und die Alp de Lagh im Val de Cama im Misox vor. Seit 2006 wurde diese Alp von ihr und ihrem Mann bewirtschaftet. Die Mutter von zwei kleinen Mädchen, Sennin und Biologin, kam Ende Juli, kurz vor Erscheinen des Buches, durch einen Felssturz ums Leben.

Gerührt betrachtete ich die Bilder dieser Frau, ihren Kindern, der Capra-Grigia- und Nera Verzasca-Ziegen, der Wollschweine, Pferde, und ihrer Arbeit mit dem Käse.

BEA WILL arbeitet als Buchhändlerin im «Bücherfass» an der Webergasse. Sie ist AL-Grossstadträtin und dreifache Mutter.

Katia Boschi Mühleisen hatte mit ihren 37 Jahren schon einiges erlebt, aber noch vieles vor: «Wer weiss, was das Leben uns noch so alles bringt. Hier weiter zu alpen wäre schön. Den ganzen Sommer daheim zu sein und unter der Woche einer geregelten Arbeit nachzugehen, um am Wochenende mit den Kindern an einen See rauszufahren, wäre definitiv nichts für mich.»

Wenn man diesen Satz liest und sich dazu die Fotografien ansieht, kommt man zum tröstlichen Schluss, dass diese Frau ihren Traum lebte – wenigstens ein paar Jahre lang. Und ihre Familie lebte ihn mit ihr: «Die Ziegen melken wir von Hand, wie seit eh und je. Ich mag dieses «tschsch, tschsch, tschsch», wenn die Milch in den Melkkübel schiesst. Diese Ruhe. Ich kann ganz abschalten und muss an nichts mehr denken, ausser an Mati, die mir um die Beine streicht, und an Lucia im Tragetuch auf dem Rücken …»

Die Alp de Lagh an ihrer fantastischen Lage bleibt bis auf Weiteres gesperrt. Die Familie, die Tiere und ein WWF Kinder-Lager wurden nach dem Felssturz evakuiert.

Soweit ein erster Einblick in das Buch, welches der Verlag der Verstorbenen gewidmet hat. In Anbetracht dieses tragischen Schicksals lassen sich die richtigen Worte nur schwer finden. Über den Aufbau des Buches lässt sich hingegen nüchterner berichten: Jedes Kapitel besteht aus einem Steckbrief und einer doppelseitigen Fotografie der Alp. Schwegler vermittelt dem Leser in Form einer Kurzreportage jeweils einen ersten Eindruck der Älplerin, gefolgt von einer Fotografie ihres alltäglichen Umfelds.

Dann kommen die Älplerinnen zu Wort und erzählen aus ihren Leben. Eine Reihe von dokumentarischen Fotografien begleitet jedes Porträt, und um letztlich alle Sinne anzusprechen werden Gaumenfreuden in Form eines Älplerinnen-Rezepts präsentiert. Für die Wanderbegeisterten unter den LeserInnen rundet Schwegler das Kapitel mit einer Routenbeschreibung zur jeweilig beschriebenen Alp ab.

«Traum Alp», Daniela Schwegler (Text) und Vanessa Püntener (Fotografie), August 2013, Rotpunktverlag, 39.50 Fr.

Im Gegensatz zu landläufigen Vorstellungen eines Alpsommers romantisiert dieses Buch das Alpleben in keiner Weise. Die Frauen berichten ehrlich aus ihrem anstrengenden Alltag, der aus vielen Entbehrungen und wenigen, aber unbezahlbaren Bereicherungen besteht. Wie sonst liesse sich erklären, dass es die Frauen jedes Frühjahr wieder auf die Alp zieht?

Josi Jauch, die schon über fünfzig Jahre z’Alp geht, sagt: «Ich gehe so lange rauf, wie ich kann.» Sie hat neben dem Alpen sieben Kinder grossgezogen und ihren Mann nach einem geplatzten Hirntumor 25 Jahre lang bis zu seinem Tod gepflegt. Zudem erlitt sie vor ein paar Jahren einen Herzinfarkt. Ihre Geschichte stellt ein weiteres schweres und eindrückliches Schicksal dar.

Trotz teilweise unheimlicher Geschichten, die sie erlebten, strahlen die 15 porträtierten Frauen eine Zuversicht, eine Kraft und einen Optimismus aus, dem man sich nicht entziehen kann.

Sie haben Ehrfurcht vor dem Leben, der Natur, den Bergen und allenfalls vor Gott. Ein persönliches Fazit aus dem Buch: Wir sind uns ein gutes und sinnreiches (irdisches) Leben schuldig!

Ein Gastbeitrag von Bea Will