Grosses Loch im Kleinen Paradies

Kurz bevor Finanzreferentin Rosmarie Widmer Gysel ein neues Sparpaket und die Erhöhung des Steuerfusses angekündigt hat, diskutierten die Kantons­räte Peter Käppler und Christian Heydecker über den Staatshaushalt – erstaunlich konstruktiv.

Bilder: ya.

Herr Käppler, Herr Heydecker, der Kanton steht finanziell schlecht da. Müssen wir nun ein Sparpaket ESH4 schnüren, um das Defizit decken zu können?

Peter Käppler Man kann bei einem strukturellen Defizit nicht einfach Pflästerli-Sparmassnahmen machen. Auch wenn es nicht populär ist: Wir müssen jetzt bei der Einnahmenseite zulegen. Wir gehen – das haben wir in den letzten Jahren bewiesen – ja auch mit den Steuern runter, wenn es möglich ist. Wieso können wir die Steuern jetzt nicht etwas flexibler handhaben? Wir wären nicht allein auf weiter Flur.

«Wir müssen ins
vorderste Drittel kommen»

Christian Heydecker Ich bin bereit, über einen Mechanismus mit flexiblen Steuern zu sprechen, wenn wir unsere Ziele erreicht haben. Wir waren früher im interkantonalen Steuerwettbewerb im letzten Drittel angesiedelt. Eine Statistik, die vor kurzem veröffentlich wurde, zeigt, dass wir im Moment im Mittelfeld sind. Das Ziel ist es, ins vordere Drittel zu kommen. Wenn wir im vorderen Drittel sind, bin ich auch bereit, über eine Flexibilisierung des Steuerfusses zu sprechen. Aber solange wir das Ziel noch nicht erreicht haben, müssen wir diesem Ziel alles unterordnen, damit wir dahin kommen. Damit wir für die Zukunft finanziellen Spielraum haben.

SP-Kantonsrat PETER KÄPPLER.

Käppler Wieso müssen wir denn ins vorderste Drittel kommen?

Heydecker Um unseren Kanton zu attraktivieren.

Käppler Zu den Opfern, die wir nun bringen müssen? Ich glaube nicht, dass wir mehr Leute nach Schaffhausen holen, nur weil wir im vorderen Drittel sind. Uns fehlt der entsprechende Wohnraum und es fehlt das Bildungsangebot, das die Jungen hier hält. Es wird zwar gebaut, aber nicht in dem Ausmass, als dass es in der Menge einschlagen würde. Wohnraum für Junge und Familien gibt es hier, und zwar in einem zahlbaren Rahmen im Vergleich zu Zürich und Winterthur, aber viel zu wenig.

Heydecker Wir brauchen und wollen Wachstum. Wir müssen nicht explodieren und innert 20 Jahren 40’000 Einwohner neue Einwohner haben, aber wir brauchen ein moderates Bevölkerungswachstum, um die ganze Infrastruktur zu finanzieren, die wir hier im Kanton haben. Da muss die Verkehrsinfrastruktur stimmen, das Betreuungsangebot für die Berufstätigen und wir müssen eben auch steuerlich attraktiv sein.

«Das Wachstum sollte möglichst
im Zentrum stattfinden»

Mit Wachstum kann man also das Problem lösen.

Heydecker Absolut.

Käppler Wachstum ist sicher eine Einnahmequelle, wenn wir das Wachstum so gescheit wie möglich aufgleisen, das heisst nachhaltig. Das bedeutet auch, dass wir bei der Raumplanung gezielt vorgehen. Damit wir mit dem Wachstum eine hohe Siedlungsdichte erreichen und nicht einfach Siedlungen in die Landschaft hinaus bauen und dann den Viertelstundentakt nach Beggingen einführen müssen, weil die Bevölkerung dort zugenommen hat. Das können wir nicht finanzieren. Das Wachstum sollte möglichst im Zentrum stattfinden.

FDP-Kantonsrat CHRISTIAN HEYDECKER.

Wie sieht es bei der Ansiedlung von juristischen Personen aus? Nun, da Steuervergünstigungen im Rahmen der Lex Bonny wegfallen, dürfte auch die Ansiedlung etwas schwerer fallen.

Käppler Die Steuern spielen beim Ansiedeln von Unternehmen sicher eine Rolle, aber wir haben in Gesprächen mit Unternehmen festgestellt, dass es nicht der wichtigste Faktor ist. Entscheidend ist auch der Standort, den man anbieten kann. Die Verkehrsanbindung, die Lage und Qualität stimmt in Schaffhausen, deshalb werden wir auch Unternehmen anziehen. Was jetzt rund um den Bahnhof gelaufen ist, ist ein gutes Zeichen. Natürlich ist Zürich für ein internationales Unternehmen noch immer erste Wahl, aber wir haben Potenzial.

Heydecker Wir haben drei Vorteile. Wir haben schon internationale Firmen hier. Wenn schon mal einige da sind, ist es auch einfacher, neue anzulocken.

Käppler Vor allem, wenn sie zufrieden sind.

Heydecker Das zweite ist die Verkehrsanbindung an den Flughafen Kloten. Da sind wir nah dran, das ist extrem wichtig. Und das dritte ist die Landschaft, das darf man nicht unterschätzen. Für die Frauen der Männer, die hierher arbeiten kommen, ist das etwas völlig Neues. Gerade wenn Leute aus einer amerikanischen Grossstadt kommen, ist Schaffhausen eine heile Welt, das ist Heidiland. Und dennoch, wenn man in die Oper oder ans Robbie Williams-Konzert will, ist man in einer halben Stunde da. Das ist für amerikanische Verhältnisse direkt vor der Haustür.

Käppler Schwieriger wird es sicher im Produktionsbereich, dem zweiten Sektor. Obwohl wir in Schaffhausen noch Hallen hätten, wo produziert werden könnte. Es gäbe noch Flächen, aber nicht mehr allzu viel. Das ist ein grosses Problem. Aber vielleicht gelingt es ja eines Tages, Unternehmen aus dem zweiten Sektor nach Schaffhausen zu holen. Der Ausfall von Lex Bonny tut weh, aber wir haben andere Qualitäten, mit denen man die Unternehmen anziehen kann, damit die Arbeitsplätze nicht zurückgehen, sondern steigen.

«Wir brauchen
ein bisschen
Gelassenheit»

Rechnen Sie bald mit höheren Einnahmen bei den juristischen Personen?

Heydecker Wir brauchen ein bisschen Gelassenheit. Die Wirtschaft zieht wieder an, das sieht man in Zürich. Die Grossbanken machen wieder Milliardengewinne, zahlen aber im Moment wegen der Verluste in den schlechten Jahren noch keine Steuern. Bis in zwei, drei Jahren beginnen die auch wieder im grossen Stil, Steuern zu bezahlen. Und mit unseren internationalen Firmen, die wir in Schaffhausen haben, wird es genau gleich sein. Bis dann beginnen diese wieder, mehr Steuern zu zahlen, und die Einnahmen steigen.

Käppler Die grossen Beiträge, die nicht stabil sind, sind die juristischen Personen. Und irgendwie müssen wir es schaffen, dass wir nicht von diesen abhängig sind, um unseren Grundetat finanzieren zu können. Die natürlichen Personen haben in den letzten Jahren einen relativ stabilen Beitrag geleistet ans Steueraufkommen.

Heydecker Stabiler als die juristischen Personen, das ist ganz klar.

Herr Käppler, denken Sie bei Steuererhöhungen an die natürlichen Personen, oder eher an die juristischen?

Käppler Bei den juristischen Personen sind wir punkto tiefer Steuerbelastung auf einem Spitzenplatz. Bei den natürlichen Personen stehen wir dagegen in gewissen Einkommenskategorien nicht so gut da, aber wir haben viele strukturelle Steuerrevisionen gemacht. Jetzt könnte man für die Angleichung auch mit dem Steuerfuss operieren und das trifft natürlich beide, juristische und natürliche Personen.

«In den letzten Jahren
haben wir die Kehrseite
der Medaille gesehen»

Heydecker Juristische Personen schaffen auch Arbeitsplätze. Wenn man nur noch natürliche Personen will, weil es da weniger Schwankungen gibt, haben wir bald einen Schlafkanton.

Käppler Ich habe nie gesagt, dass ich nur noch natürliche Personen will.

Heydecker Das ist klar, das will niemand. Wir wollen Arbeitsplätze hier und das birgt immer ein Risiko. Wenn es gut läuft, zahlen die Unternehmen viel Steuern, und wenn es nicht läuft, zahlen sie keine Steuern. Wir haben mit der Wirtschaftsförderung den Anteil juristische Personen erhöht. Das ist erfreulich, vor allem wenn es läuft. Aber in den letzten Jahren haben wir die Kehrseite der Medaille gesehen, dass die Unternehmen auch weniger Steuern bezahlen, wenn die Wirtschaftslage schlecht ist. Das gehört dazu. Lange Jahre war das Problem, dass wir im Vergleich zu anderen Kantonen unterdurchschnittliche Einnahmen durch juristische Personen hatten. Die Einnahmen waren in Schaffhausen immer kleiner als im Kanton Zürich oder gar in der Stadt Zürich. Letztere etwa ist von ein paar grossen Banken und Versicherungen abhängig.

Würde die Bevölkerung hinter einer Steuererhöhung stehen? Wie schätzen Sie das ein?

Käppler Ich glaube schon, wenn sie den Gegenwert dafür sieht. Man muss aber sicher erklären, was man mit den Mehreinnahmen machen will. Zum Beispiel beim Spital. Wenn der Bürger überzeugt ist, dass wir kein Luxusspital bauen, sondern eine Lösung finden, die zu Schaffhausen passt, dann sind sie auch bereit, für die Investi­tionen etwas zu bezahlen. Wir können aber nicht einfach die Steuern raufsetzen, weil uns die Fantasie ausgegangen ist. Wir müssen sie überzeugen, dass sie einen Gegenwert erhalten.

«Die Steuerstrategie
funktioniert nicht mehr»

Heydecker Wenn man einfach nur den Steuerfuss hinaufsetzte, würde man damit an der Urne keine Mehrheit erzielen. Ich halte es nicht für nötig, den Steuerfuss nach oben anzupassen. Wir haben verschiedene andere Möglichkeiten.

Käppler Man muss den Bürgern sagen, dass die jetzige Steuerstrategie nicht so funktioniert hat, wie wir uns das erhofft hatten. Wir hatten immer damit gerechnet, dass bei tieferen Steuern mehr Leute zuziehen, die das ausgleichen. Das funktioniert aber nicht mehr. Jetzt muss man die Einnahmen wieder erhöhen, sonst geht die Schere weiter auf.

Heydecker Die Steuerstrategie funktionierte bis zur Finanz- und Weltwirtschaftskrise. Dann sind uns die Einnahmen massiv weggebrochen. Bei der direkten Bundessteuer, bei den Steuern für juristische Personen, bei der Ausschüttung der Nationalbank und der Axpo. Die Steuerstrategie war absolut richtig und hat auch funktioniert. Aber wir sind mit der Wirtschaftskrise auf dem falschen Fuss erwischt worden. Man muss Verschiedenes anpassen. Was man aber sicher nicht machen muss, ist die Steuern erhöhen.

Aber wenn die Ausgaben steigen, muss man doch auch die Einnahmen erhöhen?

Heydecker Die Mehrausgaben, die im Sozialbereich, im Gesundheitsbereich und im Bildungsbereich angefallen sind, könnte man problemlos in den Griff bekommen. Die zusätzlichen Ausgaben sind nicht das, was zum Defizit geführt hat. Von den 55 Millionen sind drei Viertel dem Einbruch der Einnahmen verschuldet und nur ein Viertel der Ausgabensteigerung. Wir brauchen jetzt Gelassenheit. Um das Wegbrechen der Steuereinnahmen würde ich mir keine grossen Sorgen machen, das kommt wieder, das ist eine Frage der Zeit. Klar ist aber auch, dass wir auf der Ausgabenseite nochmals einen Schritt machen müssen.

Auf der Ausgabenseite einen Schritt zu machen, bedeutet sparen. Herr Käppler, was halten Sie von Sparmassnahmen?

Käppler Steuererhöhungen sind kontraproduktiv, wenn man gleichzeitig einen grossen Teil der Leute mit Sparmassnahmen belastet. Bei der Musikschule habe ich gespürt, dass das viele Leute aufgewühlt hat, die sonst nicht politisch aktiv sind. Die Leute sind bereit, etwas mehr zu bezahlen. Aber nicht, wenn man dann überall noch Sachen wegnimmt.

Heydecker Man muss an unsere Strukturen, die Verwaltung im Kanton und den Gemeinden, herangehen. Das dauert vielleicht sieben Jahre. Aber das können wir uns leisten, weil wir Eigenkapital haben. Das haben andere Kantone nicht in dem Masse wie wir. Wir haben das Geld der Nationalbank auf die hohe Kante gelegt. Das gibt uns noch ein bisschen Luft.

«Man muss auf
der Ausgabenseite
etwas machen»

Ist das nicht ein Widerspruch, wenn wir zwar noch Luft haben, aber dennoch Sparmassnahmen durchsetzen sollen?

Heydecker Wenn nur die Einnahmen wegen der Wirtschaftskrise eingebrochen wären, dann hätte man einfach zuwarten können. Aber wir haben auch noch eine Zunahme bei den Ausgaben im Sozialbereich, im Gesundheitsbereich und auch im Bildungsbereich gehabt. Um diese Bereiche abzufangen, muss man auf der Ausgabenseite etwas machen.

Käppler Bei den Sparmassnahmen sind wir natürlich politisch anderer Ansicht. Wir werden in diesem Herbst sehen, wie das herauskommt. Dann könnten die Sparvorhaben Makulatur sein. Sparen, Optimieren und Synergien schaffen ist richtig, aber es bringt uns nicht die 55 Millionen.