Ein gefundenes Fressen

Eine hungrige und waghalsige Redaktion begibt sich auf einen nächtlichen Beutezug.

Kurz nachdem der Lappi in den Containern der Region wühlte, haben die Jungen Grünen zur Containerwoche aufgerufen – als Start EINER KAMPAGNE ZUM THEMA LEBENSMITTELVERSCHWENDUNG, die Anfang Jahr mit einer Volksinitiative weitergehen soll. Bilder: fs./mg.

«Dumpster Diving» nennt sich das Durchstöbern von Müllcontainern – eine Disziplin, die vornehmlich bei Nacht und Nebel in den Hinterhöfen von Supermärkten ausgeübt wird. Was immer mehr Leute neben existenziellen auch aus ideologischen Beweggründen tun, hat der Lappi aus Neugier ausprobiert: Kann man sich auch aus den Containern der Schaffhauser Detaillisten ausgewogen ernähren?

Erkundigt man sich bei MitbürgerInnen, welche ab und zu einen Blick in lokale Mülltonnen werfen, fällt die Antwort eher ernüchternd aus: Es sei schwierig und riskant, an Lebensmittel zu kommen, vor allem natürlich an lohnende Mengen. Die Lappi-Redaktion schlägt alle Bedenken in den Wind und verabredet sich auf Montagabend, 22 Uhr.

Wir steigen in der Nähe des Schaffhauser Bahnhofs zu viert ins Auto. Besonnene Teilnehmende haben Plastikhandschuhe, Stirnlampen und leere Taschen mitgebracht. Ohne einen konkreten Plan zu verfolgen, geht die Fahrt los. Beim ersten Quartierladen machen wir Halt. Die Strasse ist menschenleer, nur ein Marder ist unterwegs – wohl auf gleicher Mission wie wir. Vor dem Geschäft stapeln sich Blumentöpfe und Säcke mit Erde, daneben steht ein Container. Eher halbherzig heben wir dessen Deckel. Er scheint leer zu sein, wir gucken über den Rand. Auf dem Grund liegt etwas. Einer von uns greift in die Tiefe und fördert tatsächlich eine Packung Aufbackbrötchen zutage! Der Plastik ist unbeschädigt und das Ablaufdatum heute. Mit der ersten Trouvaille im Gepäck fahren wir siegessicher dem nächsten Ziel entgegen. Freilich gehen wir bei den kommenden beiden Tankstellen leer aus. Die dritte verspricht auf den ersten Blick mehr: Schon von weitem entdecken wir einen Metallcontainer bei den hell erleuchteten Tanksäulen.

Laut Polizeisprecher Patrick Caprez ist MÜLLTAUCHEN LEGAL, SOLANGE ES AUF ÖFFENTLICHEM GRUND GESCHIEHT. Wenn auf privatem Grund Container durchstöbert werden, könnte der Besitzer Anzeige wegen Hausfriedensbruch erstatten, wobei es nicht darauf ankommt, ob etwas entwendet wurde.

Wohl oder übel müssen wir uns aus der Dunkelheit lösen und an der Überwachungskamera vorbeihuschen, um zum Zielobjekt zu gelangen. Ein Lappi greift durch die eng geschnürte Öffnung eines Müllsackes und tastet in seinem Innern nach interessanter Materie. Und so fallen uns Apéro-Nüsschen und Rosinen in die Hände. Nenne man es Faulheit oder Contenance, wir begnügen uns mit dem Durchstöbern eines einzigen Abfallsackes und räumen mit der Beute das Feld. Wohlgemerkt lassen wir aber nicht etwa ein Schlachtfeld mit aufgeschlitzten Säcken samt hervorquellendem Inhalt zurück, sondern beseitigen unsere Spuren, wie es einem von erfahrenen Mülltauchern ans Herz gelegt wird.

Abfall hinter verschlossenen Gittertoren

Vor eine besondere Herausforderung stellt uns der Herblingermarkt. Gemäss den erfahreneren «Dumpster Divern» hütet das Einkaufszentrum die überschüssige Nahrung wie seinen Augapfel. Sogar von patrouillierenden Sicherheitsleuten war die Rede. Davon lassen wir uns jedoch nicht entmutigen und schleichen selbst um die Anlage.

Erwartungsgemäss stecken wir eine Schlappe ein. Allein hinter einem – für Lappis zumindest – unüberwindbaren Gittergehege lassen sich die Silhouetten von Containern erkennen. Die Enttäuschung hält sich in Grenzen, denn eigentlich hatten wir ohnehin Kenntnis davon, dass die abgelaufene Ware von Migros und Coop in der Regel weggeschlossen oder zentral gesammelt und täglich abgeführt wird. Da lassen wir lieber sachkundigeren MülltaucherInnen den Vortritt, welche sich mit Schlüsselduplikaten oder anderen Mitteln zu helfen wissen.

Der nächste Grossverteiler meint es besser mit uns: Aus einigen Containern mit Grünabfall schlägt uns zwar der süssliche Duft von Kompost entgegen, andere grüne Tonnen enthalten aber relativ frisches Gemüse und Früchte. Zudem erbeuten wir einen Blumenstrauss sowie einen modischen Einkaufskorb mit roter Stoffbespannung.

Anschliessend nehmen wir uns eine Bäckerei vor. Das Geschäft ist in ein Wohnhaus integriert, gerade biegt ein Mann um die Ecke und verschwindet in Richtung Eingang. Wir warten kurz ab, um uns dann den zwei kleinen Mülltonnen an der Hausecke zu nähern. Beschwingt öffnen wir die Deckel und können gerade noch einen kurzen Blick in die Tonnen erhaschen, als wir aufgeschreckt werden: Der Typ von vorhin hat kehrtgemacht. Schleunigst wenden wir uns ab und suchen gemessenen Schrittes das Weite. Der Blick zurück zeigt, dass der beunruhigte Anwohner die Verfolgung nicht aufnimmt, sondern in die Mülltonnen schaut – wohl in der Befürchtung, wir hätten dort etwas Unliebsames platziert.

Ein ganzes Menü aus dem Container

Einen ähnlichen Zwischenfall möchten wir bei der letzten Anlaufstelle vermeiden: Als uns eine Passantin entgegenkommt, während wir die Container vor dem Supermarkt inspizieren, treten wir hastig einen Schritt zurück und lungern diskret herum. Sie mustert uns argwöhnisch, aber dem Lappi-Team gelingt es, sich als lässig-gelangweilte Jugendclique zu tarnen. Als die Frau endlich in einem der Nachbarhäuser verschwunden ist, machen wir uns über die Container her. Und dieses Mal haben wir wirklich den Jackpot geknackt! Es ist so ziemlich alles da, was ein knurrender Magen nach einem nächtlichen Streifzug begehrt: Hüttenkäse, Fruchtquark, Salat, Äpfel und Schweinsplätzli. Das Verfallsdatum einiger Produkte liegt zwar schon ein paar Tage zurück, da die Verpackungen aber intakt sind, stört das kaum.

Händereibend geraten wir in Versuchung, uns auf der Stelle über einem Feuer in der Tonne einen Imbiss zuzubereiten, verschieben das Gelage dann aber doch lieber in die warme Stube. Dort angekommen, verzehren wir das Gefundene ohne weitere Zubereitung. Das Fleisch wird beschnuppert und einhellig für frisch befunden, bleibt am Schluss dennoch verschmäht im Kühlschrank liegen – bis es am nächsten Tag von einem esslustigen Exkursionsteilnehmer wiederentdeckt, gebraten und verspiesen wird, glücklicherweise ohne übles Nachspiel.