Leider geil: Chrisi macht auf Katze und ein Kind auf Lead-Sänger. Wer’s mag, muss kein Freak sein. Wer’s nicht mag, ist selber schuld.
Ende November feierte das deutsche DIY-Label «Sounds Of Subterrania» im Berliner Columbia Club während zweier Wochenendnächte mit Livemusik seinen 15. Geburtstag mit dem Labelfestival «Bite It!». Mit von der Partie/Party waren unsere Livehelden vom Lo Fat Orchestra – auch sie veröffentlichen bei dem in Hamburg domizilierten Plattenlabel. Speziell fürs Jubiläum sind die Lo Fats ins Studio gegangen: Im Startrack-Tonstudio nahm das Trio mit ÂSamuel Hartmann an den Reglern eine 4-Stück-45-rpm-Vinylmaxi auf, die am (und fürs) «Bite It!» herausgekommen ist.
Netterweise kriegte ich das Teil für den Lappi schon vorab zu hören. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Das Lo Fat Orchestra ist eine verdammt geile Kapelle. Und die bandchemisch immer nur knapp stabile Verbindung aus hysterischem Kontrollverlust (Chrisi, Tasten und Gesang), brutalem Stoizismus (Thorsten, Bass) und explosiver Energie (Dani, Schlagzeug) tönt hier vielleicht so gut wie noch nie.
Mit dem Opener «I don’t know how to get back to you» kommt gleich der Hit rein, ohne anzuklopfen. Bumm! Ein Lo-Fat-Instantklassiker mit Euphoriebefehl. Die Gitarren haben sie diesmal weggelassen, dafür wirbelt zwischen den catchy Orgelmelodien plötzlich eine Kesselpauke.
«We need you» ist ein krautrockiges Motorikbeat-Update – nach einem fast unendlichen Intro in cooler Schwebe fängt die Nummer doch noch zu grooven an und explodiert gegen Schluss in klassischer Lo-Fat-Manier feat. Tasten-Freakout und Chrisis ekstatisches Gebrüll, das sich gegen Druckwellen von Drums und Bass stemmt.
Arm aber geil. Das LO FAT ORCHESTRA UND BERLIN passen zusammen.
«Basement Blues» ist in sich schon so was wie sein eigener Remix – die Band habe noch einen vierten Maxi-Track gebraucht, und die Studiozeit war knapp, so Samuel Hartmann. Aus dem Instrumental bastelte er beim Editieren eine auf den Floor «down in the basement» zielende Nummer. Die Vocoderstimme dazu habe er gleich selbst noch eingesungen, verrät er schlotend in seinem eigenen Studio zwei Stockwerke über dem «Cardinal». Chrisis Georgel zum Schluss tönt, als ob eine Katze auf LSD Ausdruckstanz auf der Tastatur machen würde. Krazy Kat!
Beim Vorhören hatte ich gerätselt, wem die Frauenstimme auf dem letzten Stück, «Uli has a new boyfriend», gehört. Offensichtlich war Chrisi punkto Textschreiben eher lazy drauf, auch diese – kurze – Nummer war ursprünglich als Instrumentaltrack vorgesehen. Doch Sämi klopfte bei den Nachbarn an: Gleich neben dem Studio wohnt Ex-Sterne-Keyboarder Frank Will mit Familie. Die rückten ihren Sohn raus, um den Titel einzusingen. Kinderarbeit, ick hör dir trapsen! Dass eine Band mit Haltung wie das Lo Fat Orchestra auch einmal den Jöö-Effekt zulässt, wenn er denn passt, ergibt eine hübsche Anekdote. Dass Vincents Stimme dem Song den speziellen Dreh gibt und ihn zum Ohrwurm macht, ist Fakt.
A propos Haltung: Das Lo Fat Orchestra und ihr Label «Sounds of Subterrania» passen gut zusammen. Denn auch Labelchef Gregor Samsa ist ein Mann, der gegen vielerlei Widrigkeiten und Idioten seine Liebe zur Musik verteidigt und zelebriert.
GUT GEALTERT:: Das Lo Fat Orchestra aus Chrisi Schmid, Thorsten Strohmeier und Daniel Zimmermann.
Er selbst sagt es so: «In 15 Jahren Sounds of Subterrania habe ich viel gelernt. Vor allem, dass Kompromisse zuallererst die eigene Arbeit untergraben. Man kann über Ästhetik reden, aber man kann nicht darüber verhandeln. Kunst/Musik wird heute zu oft zugunsten des Mammons geopfert. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Verzicht auf all die Kompromisse, welche nie nötig waren, die Welt besser gemacht hätte. Labels, Bands, Künstler – eigentlich alle Menschen sollten Stellung beziehen, sollten sich entscheiden. Sollten nicht ihre Ideen und Ideale opfern, um eine Handvoll Menschen zusätzlich zu erreichen. Denn damit betrügen sie sich und die anderen.» Auf die nächsten 15 Jahre! Darauf 1500 Klare! Und hey: Wir brauchen euch!
Lo Fat Orchestra: «We need you», 12-inch (mit Downloadcode), Sounds of Subterrania 2013.
PS: Am «Bite It!»-Labelfestival spielten am 29./30. November in Berlin folgende «SoS»-Bands (die wir dank Lo-Fat-Connections zum Teil auch schon in einschlägigen Schaffhauser Clubs zu Gast hatten): Action Beat, The Berserkerz, The Blue Screen of Death, Chung, Columbian Neckties, Devil in Miss Jones, Freddy Fischer & his Cosmic Rocktime Band, Gruppe 80, Holiday Fun Club, Kamikaze Queens, Lo Fat Orchestra, Meine kleine Deutsche, Reverend Beat-Man, The Sewergrooves, The Stilettos und Trixie Trainwreck.
Ein Gastbeitrag von Jürg Odermatt