Gesprüht, geputzt und gepflanzt

Graffiti als politische Werbung sind offenbar tabu. Doch es gibt kreative Alternativen, mit denen man Polizei und Behörden überraschen und eine Debatte ­anstossen könnte.

Bild: ya.

Auf den ersten Blick sehen sie geheimnisvoll aus, die Zahlen in den Schaffhauser Gassen. In regelmässigen Abständen ist der Boden nummeriert, dicke, weisse Ziffern auf dem kalten Pflasterstein. Kein grosses Geheimnis allerdings, dass sie die Positionen der Verkaufsstände regeln, die am «Chlausmärt» weihnachtliche Ware anbieten. Wenn der Sami­chlaus seine Runden und die VerkäuferInnen ihr Geld gemacht haben, nähert sich auch das Leben der Zahlen einem Ende: Sie sind aus- und abwaschbar.

Ende Oktober zierten andere abwaschbare Nummern die Schaffhauser Gassen. «1:12» stand als politische Forderung etwa 50-fach in roter Farbe in der Altstadt. Im Internet bekannte sich die hiesige Juso zur Farbaktion – die unproblematisch sei, so die Jungpartei. «Mit Kreidespray – demselben Material wie Strassenmalkreide – und Schablonen wurde ein Gegenpol zur millionenschweren Gegenkampagne der Bürgerlichen gesetzt», formulierten es die VerfasserInnen des offiziellen Bekenntnisses.

Tatsächlich haben die Schaffhauser JungsozialistInnen Sprühkreide verwendet. Diese gibt es in grösseren Warenläden – etwa bei Manor – für rund zehn Franken zu kaufen, in zahlreichen Farben. In Kinderabteilungen sind die Spraydosen zu finden, werden angepriesen. «Fun-Kreide» nennen Anbieter das Produkt, versprechen «Graffitikünste ohne Ärger». Die Kreide, so wird stolz deklariert, ist nichts anderes als Kreide auf Wasserbasis, in Sprühdosen verpackt und organisch abbaubar.

Drakonische Strafen

Ganz so unproblematisch gestaltete sich die Angelegenheit für die Juso nicht. Nachdem sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die rote Botschaft auf Schaffhausens Gassen verbreitet hat, reagierte das Tiefbauamt noch am Folgetag mit einer Putzequipe. Kostenpunkt: 876 Franken. «Uns war schon von Anfang an bewusst, dass wir für die Reinigungskosten aufkommen müssen», sagt Jonathan Vonäsch, Präsident der Schaffhauser JungsozialistInnen. Die Rechnung, die sie dann begleichen mussten, sei jedoch höher gewesen als erwartet.

Im Vergleich zu anderen Fällen hatten die Schaffhauser JungpolitikerInnen noch Glück im Unglück. Im Sommer letzten Jahres kassierte die Juso Basel für eine ähnliche Sprühkreide-Aktion eine Busse von 2’200 Franken, und zwei kleine Festivals derselben Stadt wurden ermahnt. Hauptgrund für die polizeiliche Aufmerksamkeit: Anders als von den meisten Anbietern deklariert, verschwindet die Farbe nicht einfach beim ersten Regen. In einer der genannten Basler Fälle war sie auch nach zwei Wochen noch klar erkennbar.

Als unberechenbar stufte denn auch das Schaffhauser Tiefbauamt die Sprayereien ein. Die Entfernung der «1:12»-Graffiti mit Hochdruck sei «aus Sicherheitsgründen» geschehen, sagte Hans Jörg Müller vom Tiefbauamt gegenüber Radio Munot. «Wir haben nicht herausgefunden, welcher Farbstoff das ist. Es hätte eine Rutschgefahr bestehen können, wenn es draufregnet», so Müller zum Radiosender.

Sprühkreide als politisches Mittel scheint auch die GesetzeshüterInnen zu beunruhigen. Am «Standortfucktor», der Tanzdemonstration in Winterthur, wurde die Kreide in Spraydosenform, noch gänzlich unbenutzt und verschlossen, als Beweismaterial konfisziert.

Laut Alois Sidler, Chef der Schaffhauser Verwaltungspolizei, hätte diese zumindest noch einen allfälligen Regenguss abgewartet, bevor weitere Schritte eingeleitet worden seien. Klar sei aber, so Sidler gegenüber den Medien, dass gesprayte Kreide als Sachbeschädigung gelte und entsprechend verboten sei. Die jungsozialistischen InitiantInnen erhielten neben den Reinigungskosten auch eine Verwarnung. Die Stadt indes liess verlauten, dass diese Reaktion als Präzedenzfall gelte; schliesslich waren diese Graffiti nicht bewilligt.

Herkömmliche Kreide, von Kindern beziehungsweise nicht zu Werbezwecken verwendet, gilt als legal. Hersteller der Sprühkreide hingegen werben nicht nur damit, dass die Farbe schnell und leicht entfernbar ist, sondern raten auch explizit, damit Werbeaktionen zu veranstalten.

So genanntes Guerilla-Marketing, also unkonventionelle Werbung mit grossem Überraschungseffekt, wird vor allem unter Start-Up-Unternehmen sehr geschätzt. Dabei wird der gesetzliche Graubereich bewusst genutzt, um durch geringe Kosten ein möglichst hohes Mass an Aufmerksamkeit zu erzielen, das womöglich durch Presse und Internet erhöht wird. Bussen gelten hierbei als (oftmals geplante) Investition, die sich im Vergleich zu einer kostenpflichtigen Bewilligung am gewünschten Standort lohnt.

Während die Sprühkreide zunehmend ins Visier der Behörden gelangt, existieren weitere Graffiti-Formen, bei denen die Rechtslage noch weitgehend unklar ist.

Partiell säubern statt sprayen

«Reverse Graffiti» etwa bezeichnet das Gestalten einer schmutzigen Oberfläche mit Hochdruckreiniger und Schablone, sodass das eigentliche Motiv aus dem Dreck «hinausgereinigt» wird. Der Untergrund wird also de facto nicht bemalt oder anderweitig verändert, sondern lediglich teilweise geputzt.

Anleitung

  • Moos-Graffiti
  • drei kleine Becher
  • Joghurt
  • ein gehäufter Esslöffel Zucker
  • eine gute Handvoll Moos

Das gesammelte Moos mit dem Joghurt und dem Zucker pürieren und eventuell Wasser hinzugeben, bis die Flüssigkeit etwa die Konsistenz eines Milchshakes hat. Mit Pinsel an feuchte, schattige Beton- oder Holzwände auftragen und wöchentlich mit Wasser besprühen.

Das so angebrachte Bild bleibt – je nach vorhergehendem Verschmutzungsgrad und neuer Ablagerung von Russ- und anderen Partikeln – zwischen sechs Wochen und mehr als einem Jahr sichtbar. In Deutschland gibt es Firmen, welche «Reverse Graffiti» kommerziell anbieten. Sie berufen sich auf Gesetze und Anwaltsgutachten, die das partielle Reinigen einer Oberfläche als nicht strafbar bezeichnen.

Die Rechtslage ist unklar

Artikel 144 des Schweizer Strafgesetzbuches scheint diese Art von Graffiti nicht abzudecken: Strafbar macht sich, wer «eine Sache, an der ein fremdes Eigentums-, Gebrauchs- oder Nutzniessungsrecht besteht, beschädigt, zerstört oder unbrauchbar macht». In Schaffhausen gab es bisher keinen Fall von «Reverse Graffiti», und die Polizei hat auch noch nie davon gehört.

Polizeisprecher Patrick Caprez muss erst mit dem hauseigenen Graffiti-Experten und dem Rechtsdienst sprechen, bevor er Angaben machen kann. «Was die Rechtslage angeht, sind wir uns nicht sicher», sagt er. Der Rechtsdienst sei eher der Ansicht, dass keine strafbare Handlung vorliegen würde, während der Graffiti-Experte geraten habe, einen Fall von «Reverse Graffiti» vorsichtshalber polizeilich aufzunehmen, falls eine Anklage eintreffe.

Wenn beispielsweise eine politische Partei ihre Werbung auf eine Strasse oder einen Platz «putzen» würde, müsste das städtische Tiefbauamt abwägen, ob es Anzeige erheben will. Ob die Anzeige erfolgreich wäre, ist mangels Präjudizien fragwürdig.

Auch Hans Jörg Müller vom Tiefbauamt hat von «Reverse Graffiti» noch nie gehört. Ob eine Anzeige erfolgen würde, hänge auch vom gesprayten, beziehungsweise herausgereinigten Motiv ab. Und der polizeiliche Rechtsdienst ist der Ansicht, dass «eine Minderung der Ansehnlichkeit» möglicherweise eine strafbare Handlung nach Artikel 144 des Strafgesetzbuches darstellen könnte – letztlich müsste ein Gericht entscheiden und das schweizweit erste Urteil zum Thema «Reverse Graffiti» fällen. Auf jeden Fall wären die Reinigungskosten, die einem Täter gegebenenfalls auferlegt werden könnten, tiefer als bei herkömmlichen, gesprayten Graffiti.

Eine weitere, unkonventionelle und kreative Methode, deren rechtliche Handhabung unklar ist, sind Moos-Graffiti. Dabei wird Moos mit ein paar wenigen weiteren Zutaten vermischt, auf eine Wand aufgetragen und wöchentlich sorgfältig mit Wasser besprayt. Das Motiv ist zwar nicht bereits am nächsten Morgen zu sehen – dafür kann die Polizei schlecht gegen Pflanzen vorgehen.