Gestreift, aber nicht kleinkariert

Historique

«Das Gefängnis ist ein Pflanzplätz, wo der Glaube an die Menschheit nicht gedeiht!» Von keinem Philosophen, keiner gewitzten Politikerin oder sonst vielbeachteten Gelehrten stammt dieser bauernschlaue Ausspruch, nein, hinter diesem Zitat steht ein verurteilter Krimineller, ein von der Gesellschaft ausgeschlossener Mensch. Gestatten: Franz Häfliger, Sträfling und Kunstverständiger, Mann der Taten, Gegner des Büro­sessels. Vorhang auf.

Am 1. April 1944, dem Tag, an dem amerikanische Flugzeuge Schaffhausen bombardierten, sollte Häftling Häfliger zum Helden der hiesigen Kunstszene avancieren. Im Trubel der ersten Bombeneinschläge, einige davon in unmittelbarer Nähe zur Schaffhauser Strafanstalt, liessen die Gefängniswärter die Insassen kurzerhand aus ihren Zellen.

Die Sträflinge zögerten nur kurz, um durch das wegen der Detonationen aufgesprengte Gefängnistor hinaus in die süsse Freiheit zu strömen. Nur Franz Häfliger tat überhaupt nicht dergleichen, sich aus dem Staub zu machen. Stattdessen wandte er sich dem benachbarten, lichterloh brennenden Polizeiposten zu. «Ich sah Leute, die aus dem Gebäude Akten retteten, statt ans Feuerlöschen zu denken. Das regte mich auf», gibt Häfliger zu Protokoll. In seiner Echauffage über diese nichtsnutzigen «Bureaulisten» gelangte er schliesslich zu einem gleich daneben gelegenen Bauwerk. Schwarzer Rauch stieg auf, Flammen züngelten aus den Fenstern. Häfliger hielt inne. Drinnen konnte er angesengte Gemälde erkennen. Todgeweihte Kunstwerke. «Was ist das für ein Haus?», erkundigte sich der Gestreifte. «Nur ein Museum. Die Bilder haben keinen grossen Wert», entgegnete man ihm schroff. Das sass tief. Wieder so ein Bureaulist!

Auf den Kopf gefallen war er nun wirklich nicht, das wusste Häfliger selbst ganz gut: «So viel Grütz hatte ich doch, um mir zu sagen, dass man in ein Museum keinen Schmarren hängt.» Gestreift war er zwar, rein seines Status wegen, aber, um Gottes Willen, doch nicht kleinkariert. Also, dann eben selbst Hand anlegen, rein ins mächtige Flammenmeer, raus mit den Bildern. «Zurück, zurück!» hörte er die Leute durch die sengende Mauer aus Feuer schreien, aber für den Häfliger gab’s kein Halten mehr. Bild um Bild, Rahmen um Rahmen schleppte, rettete er in ein kleines Betonkämmerchen. Ab und an fing der Geächtete in seiner Leidenschaft Feuer, doch, immerhin, ein kurzes Bad im Löschwasser stillte seinen Brand.

Angesengt. Blutend. Taumelnd. Wie ein Toter entstieg er der Feuersbrunst, diesem glühenden Grab. Aber die Kunstwerke waren in Sicherheit. Nun bat der Häfliger als erstes einen Typen um eine Zigarette. Hinter Gittern war’s ja nicht erlaubt, daher schnell die Gelegenheit beim Schopf gepackt, angezündet, genüsslich den Rauch der Freiheit eingesogen. Dann aber war der gefährliche Ausflug auch schon bald wieder vorbei. Die Uhr beim Münster schlug vier Mal. Unheilvolle Glockenschläge, Verkünder von Tod und Leid. Überall Asche und Rauch und Schutt.

Um exakt vier Uhr waren sämtliche Sträflinge wieder ins Gefängnis eingerückt. Gar dem Franz Häfliger war das etwas suspekt: «Wie Schäflein waren sie gekommen. Wie zu einem Hauptverlesen! Es hatte solche darunter, die noch fünf Jahre sitzen müssen. Die Wärter waren platt vor Staunen.» Immerhin durften die Knastis danach noch eine rauchen gehen, das lag noch drin, da wurde ein Auge zugedrückt, ehe sie wieder hinter die schwedischen Gardinen rücken mussten. Vorhang zu.