Zurück nach Kosova?

Die politische Landschaft Kosovas ist im Umbruch. Meinungen und Standpunkte von Schaffhauser KosovarInnen.

Zehn Prozent der KosovarInnen leben in der Schweiz. Die Zahl nimmt noch immer zu, während die Lage in der Heimat zunehmend stabiler wird. Bei den Regionalwahlen in diesem Jahr wurden so wenige Betrugsfälle verzeichnet wie seit Kriegsende nicht mehr. Der Kosovakrieg ist seit 15 Jahren vorbei, einige sehen eine Perspektive in einer Rückkehr.

Der Lappi hat mit drei gebürtigen KosovarInnen gesprochen, die bereits seit Langem in Schaffhausen wohnen. Mit drei Generationen, die jeweils eine andere Sicht auf ihre ehemalige Heimat haben.

Einer von ihnen ist Osman Osmani, der in den Achzigerjahren aufgrund der zunehmenden politischen Spannungen aus Kosova geflüchtet ist und über die Türkei in die Schweiz einreiste. Der SP-Grosstadtrat und Unia-Gewerkschafter ist bei der progressiven kosovarischen Partei Vetëvendosje (dt.: Selbstbestimmung) aktiv und will im nächsten Jahr für das nationale Parlament kandidieren.

Osman Osmani

Osmani war im November für den Wahlkampf zum letzten Mal in Kosova. Er unterstützte den Dörflinger Faton Topalli, der als Stadtpräsident in der Stadt Ferizaj südlich von Prishtina kandidierte.

OSMAN OSMANI ist für die Gewerkschaft Unia tätig und in der Schaffhauser Politik aktiv.
Bilder: ya.

Osmani und Topalli flüchteten nach den Studentenunruhen im Jahr 1981 aus Kosova, nachdem einige Freunde wegen den Protesten eingesperrt worden waren. Seit Kosova 1974 eine Teilautonomie erlangte, stieg die Arbeitslosigkeit stetig an, und die Spannungen zwischen der serbischen Regierung und der albanischen Bevölkerung in Kosova nahmen zu.

Als sich die Lage bis Anfang der Neunzigerahre weiter zuspitzte, verliessen immer mehr KosovarInnen ihre Heimat. Kurz vor der Jahrtausendwende entluden sich die Spannungen schliesslich im Kosovakrieg.

Nun will Osmani wieder zurück, den Rücktritt als Grossstadtrat hat er bereits eingereicht. Er wird sein Mandat Ende 2013 abgeben, damit er sich voll auf die Kandidatur für das nationale Parlament konzentrieren kann.

«Mir war immer klar, dass ich wieder zurück will», sagt Osmani. «Der Aufenthalt im Ausland sollte nur vorübergehend sein.» Nach der Flucht aus Kosova zusammen mit Faton Topalli reiste er deshalb stetig in Europa herum. Jeweils nur drei Monate in einem Land, damit ihr Aufenthalt legal war. Bis sie an einer Grenze bei Schaffhausen auf dem Weg nach Stuttgart aufgehalten wurden.

Faton Topallis Pass war abgelaufen, die Behörden nahmen ihn in Gewahrsam. Osmani reiste weiter bis nach Stuttgart und suchte für seinen Freund einen Anwalt in Schaffhausen; sie landeten bei Gerold Meier. Da die Schweizer Behörden mit der Abschiebung Topallis drohten, blieb den beiden politisch Verfolgten nichts anderes übrig, als in der Schweiz Asyl zu beantragen, um dies zu verhindern.

Sie erhielten schliesslich eine Aufenthaltsgenehmigung und blieben daraufhin in Schaffhausen. «Ich durfte 18 Jahre lang nicht mehr nach Kosova einreisen, da ich sozusagen ein Staatsfeind war», erzählt Osmani. Nun aber ist er fest entschlossen, in seinem Herkunftsland etwas zu bewegen.

Osmani hat eine Wohnung in Prishtina, seine Mutter und sein Bruder leben gleich im Haus nebenan. Seine Frau und seine Kinder hingegen werden in Schaffhausen bleiben. «Ich habe mehr Freunde hier als in Prishtina», sagt Osmani. «Ich sehe es weniger als Abschied von Schaffhausen, denn als eine neue Herausforderung.»

Miribane Sopi

Keine politischen Ambitionen hat Miribane Sopi. Sie wanderte als 13-Jährige zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern in die Schweiz aus. Ihr Vater kannte Schaffhausen durch seinen Aufenthalt als Saisonnier bereits seit zwei Jahrzehnten, ehe ihre Familie aufgrund der politischen Unruhen eine Niederlassungsbewilligung beantragte und auch erhielt. Die 35-jährige ist dreifache Mutter und arbeitet in der Druckvorstufe der Unionsdruckerei, sie fühlt sich mittlerweile in Schaffhausen zuhause.

Sopi verfolgt nach 22 Jahren in der Schweiz nur noch am Rande mit, wer in Kosova gewählt wird. «Ich habe die Regionalwahlen mitbekommen», sagt sie. «Verwandte von mir haben ebenfalls für Vetëvendosje kandidiert.» Die Schaffhauserin kennt Topalli und Osmani, doch sie hat zu wenig Zeit, um sich intensiv mit der Politik auseinanderzusetzen. In Kosova sei sie im Gegensatz zur Schweiz noch nie an der Urne gewesen.

Sopi ist öfter in Mazedonien, wo die Verwandten ihres Ehemannes leben, als in Kosova. In Gjilan, wo sie ihre Kindheit verbrachte, wohnen noch einige Tanten, Onkel und Cousins. «Der grösste Teil meiner Verwandtschaft aber lebt in der Schweiz», sagt sie. Einen engen Bezug zur Heimat habe sie nicht mehr, über eine Rückkehr denkt sie schon lange nicht mehr nach. «Nein, nein», winkt sie ab. «Ich bin hier zuhause, auswandern kommt überhaupt nicht in Frage.»

Wenn sie in Kosova zu Besuch sei, dann stelle sie viel Veränderung fest, sagt sie. Neue Einkaufszentren, neue Strassen, neue Wohnhäuser. Doch über die politischen Verhältnisse weiss sie nicht nur Gutes zu berichten. «Es wird viel versprochen, aber es passiert wenig», meint sie. An etwas anderes als eine hohe Arbeitslosigkeit etwa könne sie sich nicht erinnern.

In ihrer Kindheit waren die politischen Verhältnisse allerdings noch einiges schwieriger. Die politischen Spannungen waren für Sopis Eltern ein Grund, im Jahr 1991 auszuwandern. Sie erzählt von Demonstrationen und willkürlichen Verhaftungen, von Tränengas, das in mehreren Schulen eingesetzt wurde, um die Kinder vom Unterricht fernzuhalten. Ihre Schule sei verschont geblieben, aber der Entscheid war gefallen. «Sie haben gemerkt, dass es dort keine Zukunft gibt», sagt sie.

Ilir Nuhiu

Übers Auswandern nachgedacht hat Ilir Nuhiu. Sein Vater war politisch aktiv und floh Anfang der Neunzigerjahre aus Kosova. Der 20-Jährige Softwareentwickler ist in Schaffhausen zur Welt gekommen und aufgewachsen, besucht aber jedes Jahr für mehrere Wochen seinen Heimatort. Wenn er dort eine Aussicht auf eine Stelle hätte, könnte er sich eine Zukunft in Kosova vorstellen. Nuhiu lebt seit der Geburt in Schaffhausen, ist aber wie Miribane Sopi und Osman Osmani kosovarisch-schweizerischer Doppelbürger.

ILIR NUHIU legt als DJ gelegentlich auch beim Lokalradio RaSA auf.

Seine Eltern kamen kurz vor seiner Geburt in die Schweiz, sie wollten wie Osmani nicht lange bleiben. Und auch sie hatten Kosova aus politischen Gründen verlassen. Nuhiu hat das selbst nicht mehr miterlebt, er kennt die Situation in Kosova der Neunzigerjahre nur aus den Erzählungen seines Vaters.

«Es interessiert mich, wo meine Eltern herkommen», sagt er. «Es ist auch ein Anliegen meines Vaters.» Seine Eltern hätten ihn albanisch erzogen.

«Ich habe darüber nachgedacht, auszuwandern», sagt er. «Aber …» Er wischt den Gedanken mit einer Handbewegung weg. «Ich bin Softwareentwickler, da findet man nur in Prishtina eine Arbeit», meint er. «Und Prishtina ist eine schreckliche Stadt, gross und nervös.»

Wenn die Chancen steigen würden, im Süden, wo seine Eltern herkommen, eine Arbeit zu finden, dann könne er sich eine Rückkehr vorstellen. Von der Politik hingegen will auch er wenig wissen. «Das ist viel zu frustrierend», sagt er.

Die Regionalwahlen und das schlechte Abschneiden von Faton Topalli haben ihn sichtlich beschäftigt. «Faton kämpft als einer der Einzigen gegen Korruption», lobt er den Dörflinger. «Er spricht aus, was andere Politiker schon alles verbrochen haben. Am Ende aber reichte es doch nur für neun Prozent.»

Nuhiu beginnt von den Problemen zu sprechen. Von den Bodenschätzen im Norden, von politischen Clans, die das Land beherrschen, und von Investoren, die durch die schlechte Rechtslage abgeschreckt würden. «Dabei ist eine gute wirtschaftliche Lage wichtig, damit das Land attraktiv wird», sagt er.

Jeder Zweite ist arbeitslos

Und um diese steht es im Moment nicht gut. Seit der Krieg zu Ende ist, hat sich die Lage allmählich beruhigt, Kosova ist unabhängig, die Wahlen verliefen verhältnismässig geordnet. Wirtschaftlich steht das Land aber immer noch schlecht da. Die Arbeitslosigkeit ist bei 50 Prozent angekommen, bei den Jugendlichen liegt sie bei 70 Prozent.

Das zeigt sich auch in den Zahlen zur Zuwanderung in die Schweiz. In den letzten beiden Jahren stieg die Zahl der ständigen Wohnbevölkerung mit kosovarischem Pass von 58’000 auf 79’000 Personen an, in Schaffhausen sind es laut Statistik rund 1100. Rechnet man die Doppelbürger dazu, dürfte sich diese Zahl mehr als verdoppeln. Die Zahl nimmt auch aufgrund von Familien­zusammenführungen und Eintragsänderungen in hiesigen Statistiken von BürgerInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien zu.

«Die Jungen sind den Konflikt inzwischen müde», sagt Osmani. Er meint die Spannungen zwischen serbischen und albanischen KosovarInnen, und den Kampf um die Unabhängigkeit mit der UN. «Manche, die von ihren Eltern wegen des Konflikts in ihrer Heimat vernachlässigt wurden und davon geprägt sind, wollen ihren Kindern eine andere Umgebung bieten.» Und Nuhiu meint: «In einigen Jahrzehnten gehören wir so selbstverständlich zur Schweiz wie heute die Italiener.»