Zwilag im Wandschrank

Auch im Schaffhauser Spital entsteht radioaktiver Abfall. Für diesen braucht es jedoch kein ­Tiefenlager.

Bilder: ya.

Die Gänge im ersten Untergeschoss scheinen gewöhnlich und steril, wie es sich für ein Spital gehört. Die gelben Tafeln mit der Strahlen-Warnung an den Türen stechen in der farblosen Umgebung hervor. Wir gehen bis zum Ende des Flurs, in die Radiologie des Kantonsspitals Schaffhausen. Jürg Baumgartner, der Leiter der Radiologie, führt uns zum Raum, in dem das radioaktive Material für die Nuklearmedizin-Abteilung hergerichtet wird. Zum Raum mit dem Technetium-Generator.

Das Kantonsspital ist einer von mehreren Betrieben, die eine Genehmigung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) für die Verwendung von radioaktivem Material besitzen. Insgesamt sind es gemäss BAG zehn Betriebe. «Die Namen der Betriebe können wir aus Datenschutzgründen nicht bekannt geben», so Daniel Dauwalder, Mediensprecher des BAG, auf Anfrage.

Wir treten ein. Der Technetium-Generator ist auf den ersten Blick nicht auszumachen. Links ein Tisch, darauf eine grünfarbige, metallene Apparatur, daneben eine Haube zum Abfüllen der Kanülen und Spritzen und einige Bleiblöcke. Baumgartner zeigt eine Bleiumfassung, die auf Spritzen gesteckt werden kann, um das Personal vor Strahlung zu schützen.

Auf der anderen Seite – neben einer noch grösseren Haube und weiteren Bleiblöcken – stehen die Technetium-Generatoren. Es handelt sich um zwei unspektakulär kleine, blau-weisse Metallklötze. Die Warnhinweise darauf sind kleiner als erwartet.

Im Kantonsspital Schaffhausen wird normalerweise TÄGLICH EINE AMPULLE mit strahlendem Material hergestellt.

«Die Technetium-Generatoren werden jede Woche von einer Firma angeliefert, wieder abgeholt und neu gefüllt», so Baumgartner. Bei unserem Besuch war der Generatoren-Nachschub aber gerade ins Stocken geraten. Es gebe für alle Spitäler in Europa nur wenige Atommeiler zur Auswahl, von denen Technetium bezogen werden könne, erklärt Baumgartner. Wenn mehrere gleichzeitig den Betrieb unterbrechen oder qualitative Mängel auftreten würden, dann komme es zu Engpässen. Der Lieferant der Generatoren entsorgt auch das radioaktive Material.

Zwar bleiben die Generatoren nicht im Kantonsspital, ein Teil des strahlenden Materials wird allerdings zurückgelassen. Zum Beispiel im Patienten, wo das Technetium seinen Dienst für die Medizin tun soll. «Mit den Radioisotopen können wir die Funktion beispielsweise der Lunge oder der Knochen sichtbar machen», sagt Baumgartner. «Wir können in Echtzeit mitverfolgen, wie es sich anreichert, und haben nicht nur einzelne Bilder wie beim Röntgen.»

Radioaktiver Urin und Wattetupfer

Das Technetium wandert schliesslich durch die Nieren, der Patient scheidet es aus und es landet in der Kanalisation. «Die Werte sind zu diesem Zeitpunkt unter jeder Freigrenze», sagt Baumgartner. «Es gibt aktivere Mittel, bei denen die Ausscheidungen wegen der hohen Strahlung nicht sofort in der Kanalisation entsorgt werden können. Bei uns haben wir das aber nicht.»

Was nach der Szintigrafie, der Aufnahme der Anreicherung der Radioisotope, auf dem Tisch der ­RadiologInnen liegen bleibt, wird nicht direkt entsorgt. «Bei uns bleiben Spritzen, Tupfer oder Nadeln als Abfall zurück», sagt Baumgartner. Diese strahlenden Abfälle werden in einem Wandschrank neben dem Raum mit den Generatoren hinter Bleiblöcken eingelagert. Im Fachjargon nennt man diesen Abklingraum.

Regelmässig wird aus dem Abklingraum entsorgt, was nicht mehr strahlt. Das geht angesichts der Halbwertszeit von sechs Stunden nicht allzu lange. Danach landet das Material mit den Spritzen, Kanülen und Tupfern der anderen Abteilungen im Spitalmüll.

Sammelaktionen für Atommüll

Radioaktive Abfälle mit einer Halbwertszeit von weniger als 100 Tagen müssen im Betrieb, in welchem sie anfallen, solange zwischengelagert werden, bis sie die Freigrenze erreichen. Nicht alle radioaktiven Abfälle werden aber wie im Spital vor Ort gelagert. Andere Abfälle werden vom BAG eingesammelt und ins Bundeszwischenlager in Würenlingen gebracht.

«Das BAG organisiert jährlich eine Sammelaktion für die Entsorgung radioaktiver Abfälle», sagt Daniel Dauwalder. «Dabei können Betriebe, welche eine Bewilligung für den Umgang mit radioaktiven Quellen haben, nicht mehr verwendete Quellen entsorgen.» Es würden jedoch auch radioaktive «Quellen» zur Entsorgung angenommen, welche aus einer nicht bewilligten Tätigkeit stammten, sogenannte Altlasten wie Radiumtrinkkuren oder Uhren und Wecker mit Radiumleuchtfarbe.

Vor uns steht in einem weiteren Raum die mehrere Meter lange Röhre, in der die Aufnahmen der Radioisotopen gemacht werden. Die beiden MitarbeiterInnen in der Nuklearmedizin des Kantonsspitals sind für den Umgang mit radioaktivem Material geschult. Sie brauchen eine Ausbildung zur Fachfrau oder zum Fachmann für medizinisch-technische Radiologie MTRA.

Es sind keine so grossen Mengen, als dass es gefährlich wäre, aber Vorsicht und exaktes Arbeiten gehört zum Alltag. Die wichtigste Regel lautet, sich nur so kurz wie nötig in der Nähe des strahlenden Materials aufzuhalten. Der Besucher fühlt sich an die Einstiegssequenz der «Simpsons» erinnert.

Kontrolliert wird das Spital, wie die anderen Betriebe im Kanton auch, vom BAG. Das Spital ist laut Baumgartner aber auch selbst gut gerüstet. «Wir haben zwei ausgebildete Strahlenschutzsachverständige im Haus», sagt er. Zudem würden die Räume und das Personal permanent überwacht. In all den Jahren, in denen Baumgartner im Spital arbeitet, kam es beim Personal in der Nuklearmedizin noch nie zu einem Zwischenfall mit Radioisotopen.

Als wir die Frage stellen, was passieren müsste, ehe man sich ernsthafte Schäden durch die Radioisotope zuziehen würde, wirkt Baumgartner etwas ratlos. Er denkt kurz nach und meint: «Man müsste sich das Technetium schon in grossen Mengen über den Kopf schütten. Oder am ehesten wohl trinken.» Er deutet mit einem Lachen an, für wie unrealistisch er das hält.

Rückläufige Mengen

Bei den Abfällen aus dem Kanton Schaffhausen, die unter der Aufsicht des BAG sind, handelt es sich gemäss dem Bundesamt um Altlasten, um Material, das zu Demonstrations-, Ausbildungs-, und zu Kalibrierungszwecken verwendet oder aus medizinischen und industriellen Anwendungen entstanden ist. Wie viel strahlender Abfall produziert wurde, kann das BAG aber nicht beziffern.

«Wir führen keine Statistik über die kantonale Herkunft der abgegebenen Abfälle», meint BAG-Mediensprecher Daniel Dauwalder. «Entsprechend der geringen Anzahl von Bewilligungen stammen eher wenige Abfälle aus dem Kanton Schaffhausen.» Er hat aber eine gute Nachricht auf Lager. «Die Gesamtabfallmenge aus Industrie, Medizin und Forschung ist seit zehn Jahren rückläufig», sagt er.

Wir lassen die Technetium-Generatoren im Keller zurück, gehen wieder um die paar Ecken, am alten Röntgengerät vorbei die Treppe hoch und stehen beim Ausgang. Und eines steht fest, falls im Südranden einst strahlender Müll vergraben wird, aus dem Kantonsspital Schaffhausen kommt er nicht.