Das obszöne Werk

Auslese

Sprach-Sadomaso mit Georges Bataille

Rororo Taschenbücher,
CHF 13.15

Georges Bataille vermochte nicht nur Michel Foucault zu plump anmutenden Superlativen hinreissen («Bataille ist einer der wichtigsten Schriftsteller seines Jahrhunderts» Punkt), sondern auch ein literarisches Werk zu konstruieren, welches die Angst vor dem und im Existieren in all ihrer Fleischlichkeit und ihrem Entsetzen zu erschreiben vermag. Batailles Erzählungen wie «Die Geschichte des Auges» oder «Madame Edwarda», wurden als «Das obszöne Werk» zusammengefasst und 1972 bei Rowohlt erstmalig publiziert.

Man stelle sich vor, es gäbe, was man Realität nennt, und nenne es fortab Topf. (Man stelle sich diesen über lodernden Ästen vor und dass Rauch aus ihm zöge.) Man stelle sich vor, es gäbe einen Schreibenden, man nenne ihn Koch und man nenne ihn Bataille. (Man stelle sich vor, es gäbe GOTT und man stelle sich vor, er lache irr.) Man stelle sich vor, dass wen man Koch nennt sich über was man Topf nennt beugte und es mittels dem füllte, was dessen Körper hergäbe. (Man stelle sich die Füllung vor und nenne sie fortab Text.)

NATHALIE RAUSCH studiert in Zürich Germanistik.

Man stelle sich vor, dass was man sich als Füllung vorstelle sich aus einigen Nadelspitzen De Sade, aus Angstschweiss Kierkegaards und Pascals, aus Metaphernmaterial des Alten Testaments konstituierte. Man stelle sich vor, dass was man Text zu nennen gelernt hätte auf schroffer Zunge schal schmeckte und gegen die Magenschleimhäute brennte, man stelle sich vor, es sei ein Werk von gar obszöner Art entstanden. (Man stelle sich vor, GOTT lache noch irrer.) Man stelle sich sich selbst vor, wie man nach der Kost dieses Textes selbst begänne zu reproduzieren, was man sich als Zutaten vorgestellt hatte.

Hast du Angst vor allem, so lies dies Buch, aber zuerst hör zu, was ich dir sage: wenn du lachst, so nur, weil du Angst hast. Ein Buch, meinst du, ist ein lebloses Ding. Das ist möglich. Aber was, wenn du – das gibt es doch – nicht lesen kannst? Wirst du dich fürchten…? Bist du allein? Frierst du? Weisst du, bis zu welchem Grade «du selbst» der Mensch bist? Dumm? Und nackt?

Indem Bataille ewige Topoi wie Tod und Trauma, Begierde und Leid, Exkremente und Tränen aufgreift und sie in literarischer Manier zu einem textuellen Ganzen verwebt, erschreibt er in und mittels seiner Geschichten nicht nur literarische Realitäten, sondern lotet innerhalb dieser Realitäten deren Grenzen aus. Nicht nur die Protagonisten seiner Erzählungen meinen in Ekstase und Delirium durch die Ausbeutung ihres Körpers diesen zu verlassen und in ein Transzendentales oder Metaphysisches überzugehen, sondern tut dies gleichermassen das «obszöne Werk» selbst, indem es theoretische Entwürfe und Abhandlungen des Autors einspeist und sich so gleichermassen auf eine Metaebene der Selbstreflexion begibt.

Schreibt der Autor Geschichten über die gewaltvolle Entdeckung und Ausübung der Sexualität unter Kindern, über inzestuöse Begierde oder das Begehren eines Priesters nach Leichen, so liegt das eigentlich evozierte Entsetzen nicht in der Überschreitung einer gesellschaftliche Moral, sondern in der Empfindung der Angst und des Schreckens, welche allen Handlungen zugrunde liegen. Äussern die Protagonisten nämlich Worte, Schreie, Fäkalien, Tränen, so ist die Konsequenz des Wahnsinns immer erst in der konsequent vollzogenen Entäusserung und Entleerung zu spüren, im Paradoxon der produzierten Leere, im Nicht-Ort der Existenz.

Um Foucault in seiner Verehrung Batailles zu überragen: Bataille mag gar der wichtigste Schriftsteller seines Jahrhunderts sein, doch mehr noch: Er ist konsequent.

Ein Gastbeitrag von Nathalie Rausch