Die Schuld der SchuldnerInnen

Heute kann man alles haben. Damit steigt der Konsumdruk, der viele in die Schuldenfalle treibt.

Das Geld ZERRINNT ZWISCHEN DEN FINGERN; Die meisten dürften dieses Gefühl kennen.

Über Geld reden. Das ist das Ziel des neu geschaffenen Kompetenzzentrums für Schuldenprävention der Stadt Zürich. Mit Einsätzen in Sekundarschulen will das Zentrum der zunehmenden Verschuldung von Jugendlichen entgegenwirken.

Solche Beratungszentren gibt es noch nicht lange. Wer früher Schulden machte, konnte sich von PrivatsaniererInnen helfen lassen – und geriet durch diese nur tiefer in die Schuldenspirale.

Um Schuldensanierungen ausserhalb staatlicher Institutionen zu verhindern, wurde 2001 im Sozialhilfegesetz verankert, dass alle Kantone der Schweiz Schuldenberatungsstellen anbieten müssen. In Schaffhausen übernahm 2002 die Frauenzentrale die Führung der vom Kanton finanzierten Fachstelle für Schuldenfragen.

Daniel Raschle, ausgebildeter Sozialarbeiter und Berater bei der Schaffhauser Fachstelle, erachtet es als wichtig, Jugendlichen einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld beizubringen.

Schuldenberatungszentren gibt es seit 2001 in allen Schweizer Kantonen. Sie leisten überschuldeten Personen oder solchen, denen Überschuldung droht, Hilfe und Beratung, fördern die HILFE ZUR SELBSTHILFE und betreiben Schuldenprävention.

Er glaubt, dass viele Eltern ihren Kindern ein möglichst sorgenloses Leben ermöglichen wollen und ihnen deshalb Kosten wie beispielsweise die Krankenkasse abnehmen. Ein gut gemeinter Ansatz endet so häufig darin, dass Jugendliche im Prozess des Selbstständigwerdens, beim Auszug aus dem Elternhaus, keine realistische Vorstellung von Fixkosten haben und sich verschulden.

Allerdings, sagt Raschle, machen wenige Jugendliche von der Schaffhauser Fachstelle Gebrauch; er nimmt an, sie haben Verwandte, die ihnen aushelfen.

So seien die meisten KundInnen zwischen 30 und 50 Jahre alt und hätten tendenziell schlechtere Ausbildungen. Ein hohes Einkommen schütze jedoch nicht vor Verschuldung, denn die Ursachen für Schulden seien vielfältig und oft nicht vorhersehbar: Verlust der Arbeitsstelle, Krankheiten, Scheidung oder seltener Süchte wie Alkohol oder Spielen.

Die Schaffhauser Fachstelle berät ihre KundInnen und hilft ihnen, ein Budget aufzustellen. Bei einer Sanierung, die im längsten Fall drei Jahre dauert, sei es wichtig, die Schulden nicht bloss so schnell wie möglich zu beseitigen, sondern nach der eigentlichen Ursache der Verschuldung zu suchen, sagt Raschle. Wenn eine Person beispielsweise alkoholsüchtig ist und sich dadurch verschuldet hat, muss sie zuerst von ihrer Sucht therapiert werden, bevor man mit der Schuldensanierung beginnt. Hierfür arbeitet die Fachstelle eng mit anderen Anlaufstellen zusammen.

«Zeitgeist Schuldnerbashing»

Was Raschle in seiner Arbeit deutlich erlebt, ist der Begriff des «Working Poor» – arm sein trotz Erwerbstätigkeit. Er sieht, wie TieflonbezügerInnen sich ein Leben lang abstrampeln und doch nie die Möglichkeit haben, zu sparen. Bei den Working Poor handle es sich häufig um Frauen und MigrantInnen.

«Kaum jemand kommt vorzeitig zu uns», bedauert Raschle. Er sagt, dass die meisten Leute ihre Schuldenprobleme lieber selbst lösen würden als sich an eine Beratungsstelle zu wenden und dabei auf Kredite zurückgreifen, die sie nicht zurückzahlen können. «Wenn jemand aber kommt, ist er oder sie gewillt, den eigenen Lebensstil zu ändern.»

Kredite bilden eine grosse Falle. Gemäss Bundesamt für Statistik sind Kreditschulden für Fahrzeugleasings in der Schweiz am stärksten verbreitet, wobei in der französischen und der italienischen Schweiz häufiger Kredite aufgenommen werden als in der Deutschschweiz. 18,2 Prozent der Bevölkerung lebte 2008 mit Kreditverbindlichkeiten. Das Vorhandensein von Krediten ist jedoch nicht zwingend gleichzusetzen mit finanziellen Schwierigkeiten. So waren 2008 7,7 Prozent von einem kritischen Überschuldungsvolumen betroffen – die Schweiz liegt hier leicht unter dem europäischen Mittel. Raschle glaubt jedoch, dass es gerade in der Schweiz schwierig sei, mit Schulden zu leben, da Schulden einfach nicht zur reichen Schweiz passen.

Er beobachtet vermehrt das sogenannte «Schuldnerbashing». In einer Zeit, in der man für komplexe Probleme gerne einfache Lösung habe, würden viele den Betroffenen die Schuld für ihre Verschuldung zuschieben, obwohl die wenigsten etwas dafür könnten. Den heutigen Zeitgeist erachtet Daniel Raschle als wenig hilfreich, um Schulden entgegenzuwirken. Nur das Neuste sei gut genug, gerade bei dem Überangebot an Gadgets. Niemand will sich mit dem einfachsten begnügen: «Man kann alles haben, obwohl man eben nicht alles haben kann.»