Wir sind Konjunktur

Historique

Ein kurzer Blick in die Vergangenheit genügt, und wir sehen, dass sich die Konjunktur bis heute in Wellen bewegt. Dabei springen wir immer wieder hin und her zwischen Phasen des Wachstums und wirtschaftlichen Krisen. Erklärt werden solche Krisen dabei meist durch das System selbst. Als übermenschlich anmutendes Phänomen scheint die Wirtschaft gleichzeitig Ursache und Lösung unserer Probleme zu sein.

Ein genauerer Blick auf die Geschichte der Konjunktur wirft jedoch ein anderes Licht auf das vermeintliche Phänomen Wirtschaft. Konjunkturtiefs werden dabei zu Wahrnehmungskrisen und der Mythos Wirtschaft wird plötzlich ganz menschlich.

Der Schweizer Historiker Hansjörg Siegenthaler hat sich intensiv mit diversen Krisen auseinandergesetzt. Dabei ist ihm aufgefallen, dass kurz vor dem Beginn konjunktureller Krisen immer eine grosse Unsicherheit innerhalb der Bevölkerung besteht.

Bevor sie wirtschaftlich aktiv werden, investieren Leute in der Regel viel Zeit dafür, Marktsignale interpretieren zu lernen. Dies tun sie, um ihr Geld danach möglichst gewinnbringend investieren zu können.

Da solches Lernen jedoch immer zeitintensiv und nicht mit direktem Gewinn verbunden ist, vertrauen sie ab einem gewissen Zeitpunkt auf das bereits vorhandene Wissen und konzentrieren sich nur noch auf «wirtschaftlichere», respektive gewinnbringende Aktivitäten – ganz im Sinne neoliberal quantitativen Denkens

Wie wir aber alle wissen, entwickelt sich der Markt konstant weiter. Irgendwann reicht das vorhandene Wissen also nicht mehr aus, um die neuen Signale des Marktes zu verstehen. Daraus wächst dann vermehrte Unsicherheit und viele Leute investieren plötzlich nur noch in vermeintlich sicherere Werte, wie zum Beispiel Edelmetalle oder Immobilien. Genau durch ein solches Verhalten blockieren sie jedoch einen weiteren stabilen Verlauf wirtschaftlicher Entwicklung, kreieren Blasen und sägen sich somit selbst den Ast ab, auf dem sie gerade sitzen.

Aus historischer Sicht haben Konjunkturkrisen ihre Ursache also nicht in der Wirtschaft selbst, sondern in der menschlichen Wahrnehmung. Wenn die Ursache einer Krise jedoch in der Wahrnehmung zu suchen ist, so finden wir dort eventuell auch die Lösung.

Solange wir steigenden Gewinn als einzigen Motor für eine stabile Wirtschaft wahrnehmen, ignorieren wir den Wert von qualitativen Aktivitäten – wie zum Beispiel ökonomischem Lernen. In Ignoranz von solch qualitativen Aspekten wirtschaftlicher Aktivität riskieren wir aber laut dem Ansatz von Siegenthaler andauernd in neue Wahrnehmungskrisen zu schlittern, deren Resultat dann tatsächlich neue Kon- junkturtiefs sind. Aus historischer Sicht scheint also der Ruf nach qualitativem statt quantitativem Wachstum aktueller denn je.