Auffällig gewordene Asylsuchende können seit einem Jahr in Containern «eingegrenzt» werden. Ob die Massnahme sinnvoll ist, bleibt umstritten.
Durchgangszentrum Friedeck in Buch, anfangs Juli: Die Bewohner schauen sich im Gemeinschaftsraum ein Spiel der Fussball-WM an. Plötzlich geht ein 24-jähriger, kräftig gebauter Tunesier anscheinend ohne Grund auf einen jungen Somalier los.
Der Tunesier ist seit mehr als einem halben Jahr in der Schweiz. Bereits an der Empfangsstelle für Asylsuchende hat er einen Nichteintretensentscheid erhalten – er ist illegal in der Schweiz und müsste ausgeschafft werden. Weil die Staaten des Mahgreb sich aber oft weigern, abgewiesene Asylsuchende zurückzunehmen, landet er im Januar in der Friedeck.
Letzte Massnahme
Er verursacht wiederholt Probleme und Unruhe im Durchgangszentrum. Zwar hilft er in der PutzeÂquipe aus und verdient sich damit ein kleines Taschengeld, wird jedoch mehrmals gewalttätig gegen andere Friedeck-Bewohner, einmal zerstört er eine Glasscheibe. Mit dem Angriff auf den Somalier ist das Fass voll für Friedeckleiter Ünal Dogan. «Ich habe den jungen Mann mehrmals ermahnt», sagt er, «und ihm gesagt, wenn er weiterhin keinen Respekt vor dem Haus und vor den anderen Bewohnern zeige, bleibe mir als letzte Massnahme nur noch die Eingrenzung.»
Eingrenzung bedeutet konkret: Der Tunesier sitzt in einem Container im Schweizersbild hinter Maschendrahtzaun. Er ist nicht eingesperrt, die Tür ist offen, und er kann sich tagsüber frei bewegen. Nur nachts, zwischen 19 und 7 Uhr, hat er Hausarrest, darf seinen Container nicht verlassen und keinen Besuch empfangen. Für die Durchsetzung des nächtlichen Ausgangsverbots ist die Schaffhauser Polizei zuständig. Laut Polizeisprecher Patrick Caprez kontrolliert sie regelmässig, ob der Tunesier im Container ist. Der Eingegrenzte erhält täglich Lebensmittel, einen Gutschein für die Gassenküche und fünf Franken Sackgeld. Der Container verfügt über eine Küche, ein Bad und zwei Doppelzimmer, doch der Tunesier ist der einzige Bewohner. Er ist auch der erste.
Die Massnahme der Eingrenzung existiert seit etwas über einem Jahr. Nach einer Überfallserie in der Altstadt beschloss die Kantonsregierung einen schärferen Umgang mit sogenannt renitenten Asylsuchenden. Seither kann eingegrenzt werden, wer beispielsweise gewalttätig wird, aber auch, wer sich nicht an die Hausordnung hält. Die Eingrenzung wird von den Leitern der Asylzentren beantragt und vom Migrationsamt verfügt. Sie dauert drei Monate, kann aber auch früher aufgehoben werden. Eine erste Handvoll Fälle wurde in der Asylunterkunft im Ebnatfeld umgesetzt, seit dem Frühling steht der Container im Schweizersbild bereit, der nun seinen ersten Bewohner erhalten hat.
Beschneidung der Grundrechte
Die Eingrenzung wird laut Ünal Dogan sparsam eingesetzt, er bezeichnet sie als «allerletzte Möglichkeit», die er erst nutze, wenn ein Bewohner ein Risiko für die anderen werde. Auch Asylkoordinator Thomas Elber sagt, er verhänge nur bei «wirklich massiven Geschichten» eine Eingrenzung, vor allem bei rassistischer Gewalt oder wenn man um die Sicherheit von weiblichen Bewohnern fürchten müsse. Die Eingrenzung sei im Wesentlichen ein Hausverbot für die Friedeck, den Container brauche es, weil der Kanton verpflichtet sei, allen Asylsuchenden ein Dach über dem Kopf zu bieten. «Ansonsten würde ich manche gerne einfach rauswerfen, gerade im Sommer», so Elber.
Die Eingrenzung scheint auf den ersten Blick keine besonders schwere Strafe zu sein, birgt jedoch einige Brisanz: Auch leichte Fehltritte werden so mit einer schweren Beschneidung der Grundrechte geahndet. Und: Wer sich nicht an das nächtliche Ausgangsverbot hält, kommt für zwei Monate ins Gefängnis oder in Ausschaffungshaft.
Was das bedeuten kann, zeigt der Fall eines anderen Eingegrenzten, damals einer der ersten im Ebnatfeld. Dieser war wegen eines kleineren Drogendeliktes verlegt worden und hielt sich nicht an die Ausgangssperre. In der Rio-Bar an der Vordergasse wurde er von zwei Polizisten erkannt. Der Nigerianer wollte sich der Festnahme entziehen und versuchte eine abenteuerliche Flucht durch das Gebäude, die damit endete, dass er aus dem zweiten Stockwerk zu Boden stürzte. Er zog sich dabei eine schwere Hirnverletzung zu und lebt heute in einem Pflegezentrum. Er hat grosse Orientierungsschwierigkeiten, sieht schlecht und wird wohl nie mehr ohne Betreuung leben können.
Christoph Roost, Leiter des Kantonalen Sozialamtes bestätigt die Recherchen des Lappi, wonach der Kanton zwei Varianten prüft, wie mit dem Behinderten, der eigentlich illegal hier ist, umzugehen sei: Je nach Verlauf der Rehabilitation könnte er in einer Pflegegruppe im Ungarbühl unterkommen, wie es bei einem Schweizer der Fall wäre. Der Kanton ist aber auch im Kontakt mit Angehörigen und prüft, ob der Pflegefall nach Nigeria ausgeschafft werden könnte, wenn seine Familie eine Art Rente für dessen Pflege erhalten könnte.
Keine Wohlfühloase
Natürlich ist es nicht der Fehler der Polizei, dass sich der Nigerianer zur Flucht entschloss und stürzte. Doch er hätte ins Gefängnis oder in Untersuchungshaft kommen können, ohne dass er sich mehr zuschulden hatte kommen lassen als den Besitz von etwas Marihuana und das Nichtbefolgen des nächtlichen Hausarrests.
Aber es stellt die Wirkung der Massnahme in Frage. Genauso wie der Fall des Tunesiers, der nun im Container eingegrenzt ist. Ünal Dogan hat von Freunden des Asylsuchenden erfahren, dass es ihm dort gar nicht schlecht gefalle. Der Grund: Er hat mehr Platz als in der Friedeck, wo er sich ein Zimmer mit zahlreichen anderen Bewohnern teilen musste. Ausserdem hat er einen Fernseher mit Satellitenempfang und wohnt näher an der Stadt.
«Wir wollen aber keine Wohlfühloase schaffen, sondern den Leuten zu verstehen geben, dass sie sich an die Regeln halten müssen und nicht die ganze Friedeck terrorisieren können», sagt Thomas Elber. Es gehe nun darum, erste Erfahrungen zu sammeln und festzustellen, ob die Massnahme oder deren Androhung Wirkung zeige.
Offensichtlich ist der optimale Weg noch nicht gefunden worden. Man kann zwar Leute in einen Container sperren, schafft die Probleme damit aber nicht aus der Welt. Eine menschenwürdige Lösung zu finden, ist sicherlich auch schwierig mit dem politischen Gegenwind, der aktuell im Asylbereich herrscht.