Die Güsel-Grübler

Gabriel Vetter hat den Schaffhauser Güsel-Dialekt in die Schweizer Stuben getragen. Ein Grund zur Freude?

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Güsel heisst auf Schweizerdeutsch Abfall, und als Abfall empfindet die Restschweiz unsere Mundart. Geht es um die Beliebtheit der Deutschschweizer ­Dialekte, wird sie zuverlässig auf die letzten Plätze gevotet. Wobei es noch schlimmer kommt: Das Schaffhauserische beliebt in solchen Umfragen mit dem Thurgauischen und Sanktgallerischen in ein und denselben Güselsack geworfen zu werden.

Daran, diese Schmach zu tilgen, machte sich im Frühjahr dieses Jahres ein kleines Team um Gabriel Vetter. Mit ihrem SRF-Web-only-TV-Serie-Pilot­projekt «Güsel», neun zehnminütige Episoden über den Arbeitsalltag von drei Schaffhauser Mülldetektiven, gefilmt im Stile eines Mockumentarys, setzen sie dem Schaffhauserischen ein Denkmal auf der Karte der unbeliebtesten Deutschschweizer Dialekte.

«Güsel» glänzt dank Vetters feinem Ohr für die Eigenheiten unserer Mundart und dem daraus geschöpften Sprachwitz. Er kommt in allen drei Figuren zum tragen – dem alten Brummbär gespielt von Olifr M. Guz wie dem jungen Weltverbesserer gespielt von Michael von Burg –, wirkt jedoch am stärksten, wenn der Autor der Serie selbst den Chef der Mülldetektivtruppe mimt. Was nicht verwundern sollte: Als Slam-Poet und Kabarettist zelebriert Vetter das Spiel auf der Klaviatur der stets zwischen Grössenwahn und Minderwertigkeitskomplexen schwankenden Bünzligkeit seit Jahren. Diese Figur hat er in unzähligen Auftritten erprobt und bringt sie in «Güsel» mit oranger Weste und Schnauzbart zur Vollendung.

Aber «Güsel» ist nicht blosse Satire auf das provinzielle Schaffhausen. «Güsel» schafft das Kunststück, gleichzeitig auch die Schuldvermutungsatmosphäre im neuen Schnüffel-Staat Schweiz sowie Crime-Scene-Investigation-Formate zu persiflieren. Plus Steiner-Schüler. Plus Fasnächtler. Die Metaebenen-Dichte von «Güsel» ist so monströs wie in einem Slam-Text Vetters.

Und «Güsel» wurde profimässig inszeniert: Die Liebe zum Detail, die Ausstattung am Set (grandios: der Pausenraum der drei Müllmänner inklusive Aromat-Ständer auf dem Tisch) wie die Eröffnungsmontage zum Titeltrack «General Guz befreit Pyongyang», lassen zu keinem Zeitpunkt das verhältnismässig tiefe Budget der Produktion erahnen.

Dem SRF fehlt der Mut

Das alles mag den Erfolg von «Güsel» im Feuilleton von «WOZ» bis «Tagesanzeiger» erklären, wo die Produktion lobend besprochen wurde. Befeuert hat den Erfolg von «Güsel» aber sicher auch der Umstand, dass das «SRF» gegenwärtig nur seichte Kost zu bieten hat – oder sich ein paar Wochen nach dem Black-Facing-Skandal rund um die «Wetten dass?»-Sendung in Augsburg mit dem billigen Oprah-Winfrey-Sketch von Birgit Steinegger in die selben Nesseln setzt.

Gewagte Satire-Formate wie «Güsel» gibt es nur im Internet oder sie laufen wie Lara Stolls «Bild mit Ton» im «SSF» (SportSzene Fernsehen). Die Schweiz lechzt nach einer Alternative zu «Giacobbo/Müller». Man schaut nach Österreich und wundert sich über den Mut des «ORF» mit Formaten wie «Willkommen Österreich».

Es mangelt an Dramaturgie

Neben all den gelungenen Aspekten von «Güsel» sticht jedoch auch der eine und andere Anfängerfehler ins Auge: So gibt es über die neun zehnminütigen Episoden hinweg keine Dramaturgie. Die Figuren und ihr Verhältnis zueinander entwickeln sich nicht. Am störendsten ist dabei, dass Obermülldetektiv Gabriel von Anfang an vom Praktikanten Michel korrigiert wird. Das ist einerseits unnötig, da wir vor dem Screen ja merken, dass der Chef Unsinn redet.

Der GÜSEL-KOMMANDANT UND SEINE GEHILFEN beim Znüni – standesgemäss mit Aromatständer und Cervelatbox.

Andererseits verliert die Rolle dadurch an Kraft: Wenn sich schon Michel traut, Gabriel ins Wort zu fallen, hat dieser keine Autorität. «The Office» und «Stromberg» machen es vor: Der Chef darf ein peinlicher Vollidiot sein, aber er braucht zwingend auch Autorität vor den anderen Figuren. Zumindest solange er im selben Raum ist. Sobald der Chef draussen ist, darf gemotzt werden.

Eine andere verspielte Chance ist die Vergangenheit von Michel als Waldkindergärtner: Er hat den Wald seines Waldkindergartens abgefackelt. Weshalb sagt er das vor der Kamera? Als dunkles Geheimnis (worüber getuschelt werden kann oder als Anspielung des Chefs, um den Praktikanten klein zu halten) wäre diese Idee besser eingesetzt gewesen.

Kommt dazu, dass man aus Michel und Olifr machmal den Slam-Poeten Vetter sprechen hört. Sagt ein ehemaliger Waldkindergärnter «Goof»? Vielleicht am Schluss einer Entwicklung vom Jöögisneiau mit lustigen Finken hin zum rabiaten Waldzerstörer, die hier aber nicht stattfindet. Sagt ein Olifr, dessen Figur sonst nicht durch eine feine Ironie auffällt, sagt so einer: «GlobalisierING»? Naja.

Dramaturgie und Figurendesign in «Güsel» lassen zu wünschen übrig, davon abgesehen hat das Team um Gabriel Vetter mit «Güsel» jedoch einen starken Erstling produziert. Eine Fortsetzung wäre angebracht. So schafft es das Schaffhauserische bei der nächsten Umfrage über die beliebtesten Schweizer Dialekte vielleicht sogar – noch vor dem Thurgauischen und dem Sanktgallerischen – auf den letzten Platz.