Wir Pflegende und Betreuende lassen uns nichts mehr gefallen

Ein Kommentar der Gruppe Pflegerinnen und Pfleger gegen Sparwahn der Gewerkschaften Unia und vpod zum Sparpaket ESH4.

Die Liste der Probleme im Gesundheitswesen ist lang. Wir werden alle älter und mehr Leute werden überhaupt alt. Und das führt zu exorbitanten Kosten. Und dann gibt es ein paar heilige Kühe im Gesundheitswesen. Konkret die privaten Krankenkassen, die freie Arztwahl, das Recht auf die beste verfügbare Behandlung und die Pharma-Konzerne. Überall dort kann der Sparhebel nicht angesetzt werden, weil es ja eben heilige Kühe sind. Was bleibt dann noch? Die Pflege.

Niemand kann das Kostenwachstum im Gesundheitswesen stoppen. Nicht solange die – ja grundsätzlich erfreuliche – Entwicklung anhält, dass wir älter werden und immer mehr Krankheiten erfolgreich behandeln können. Aber wenn immer in der Vergangenheit das Kostenwachstum etwas gedämpft werden sollte, musste die Pflege dran glauben. So wurde die einzige Kuh, die keine heilige ist in dieser Branche, in den letzten Jahren systematisch ausgesogen und ausgehungert.

Ein ganzer Berufszweig wurde so zum Opferlamm für die Hilflosigkeit der Politik gegenüber der Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Es wurde systematisch Personal ausgedünnt, eine Pflegekraft musste in immer kürzerer Zeit immer mehr Aufgaben übernehmen. Es wurde ausgebildetem Personal untersagt, Arbeiten zu verrichten, die weniger gut ausgebildetes Personal ebenfalls bewältigen könnte, um im Endeffekt teure durch weniger teure Angestellte zu ersetzen. Bald schon waren auch die weniger teuren zu teuer und es wurden noch günstigere Personalkategorien geschaffen, welche wiederum die weniger teuren ersetzten. Das Ganze wurde sogar noch einmal wiederholt. Es wurden ausländische Angestellte rekrutiert, deren Ausbildungen man nicht anerkannte, um sie zu einem günstigeren Tarif anstellen zu können, als sie eigentlich wert waren. Es wurde eine ganze Branche schrittweise und systematisch prekarisiert.

Das Ergebnis dieser Politik sehen wir heute: Die Unzufriedenheit bei den Angestellten in der Pflegebranche ist riesig. Die Arbeitsausfälle durch Langzeitkrankheit horrend. Diejenigen, die noch arbeiten können, tun das unter massivem Zeitdruck, unter körperlichen Beschwerden und ohne ausreichende Anerkennung für ihre Arbeit. Diese Branche wurde den heiligen Kühen im Gesundheitswesen geopfert. Eine Opfersymmetrie, wie sie immer gerne propagiert wird, hat nie bestanden.

Weshalb? Weil es das Einfachste war. Weil es für die Politik ungemütlicher gewesen wäre, eine heilige Kuh anzuzapfen. In der Pflege arbeiten überdurchschnittlich viele Frauen, welche sich jahrzehntelang, man muss es so drastisch sagen, alles gefallen liessen. Und es sind erst noch Frauen mit einer überdurchschnittlich hohen Empathie-Fähigkeit, mit einem sozialen Gewissen. Niemand wählt diesen Beruf einfach so. Das hat im Endeffekt dazu beigetragen, dass es für die Politik einfach war, sämtliche Sparanstrengungen auf ihrem Buckel auszutragen und sie keinen Widerstand befürchten musste.

Und das muss und wird sich ändern. Die Pflege ist ausgepresst, mehr als ausgepresst an vielen Stellen. Die Pflege hat heute schon ein ganz massives Image-Problem, und das hinkt der Realität noch hinterher. Es ist keine Branche mehr für ein befriedigendes Arbeiten, weil bei aller Last und Mühsal, die die Pflegenden noch zu tragen bereit gewesen wären noch dazu kommt, dass die Umstände heute gar keine gute Pflege mehr erlauben. Es ist vielerorts gar nicht mehr möglich, die Pflege zu erbringen, wie es das Pflegepersonal noch gelernt hat und gerne tun würde. Die Patienten leiden unter dem Druck, der auf die Pflege ausgeübt wird und das kommt bei den Pflegenden ganz schlecht an.

Unter diesen Umständen eine weitere fast 7 Millionen starke Sparpandemie auf die Pflege niederprasseln zu lassen, ist im besten Fall kurzsichtig, im schlimmeren Fall aber menschenverachtend. Der Regierungsrat spricht in seiner Vorlage von Effizienzsteigerungsmassnahmen, um die Einsparungen zu kompensieren. Da bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Jeder Regierungsrat sollte mal nur für eine Woche in der Pflege arbeiten und dann weiterhin behaupten, da sei noch Luft drin. Die Pflege befindet sich in einer alarmierenden Abwärtsspirale und jede weitere Verschlechterung treibt diese Spirale weiter an. Sparmassnahmen im Pflegebereich, ob im Spital, im Behindertenheim oder im Altersheim, erhöhen den Druck auf das Personal und werden am Schluss die Patientinnen und Patienten, die BewohnerInnen treffen.

Burnout ist heute schon zum Normalfall geworden in der Pflege. Niemand, die oder der in dieser Branche arbeitet, kennt nicht mindestens drei Fälle in seinem engeren Arbeitsumfeld. Jeder Krankheitsausfall verschärft das Problem und erhöht den Druck auf die anderen Teammitglieder. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen, nicht weiter anzuheizen. Und darum sind Sparmassnahmen im Pflegebereich jetzt auch einmal tabu. Gibt es nicht, nicht mit uns! Wir sind nicht länger bereit, das Opferlamm zu spielen und alle Verschärfungen unwidersprochen zu schlucken. Wir haben auf unserem nächtlichen Rundgang durch die Schaffhauser Gesundheitsinstitutionen Geschichten gehört, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Es muss wieder Normalität einkehren in unserer Branche, sonst bricht unsere Pflege zusammen. Wir brauchen wieder mehr Zeit für die Pflege, wir brauchen mehr Personal und das Bewusstsein der Öffentlichkeit, dass unsere Branche am Abgrund steht. Wir brauchen endlich Respekt für unsere Arbeit! Und einen weiteren Tritt in den Hintern via ESH4 brauchen wir zu­allerletzt.