Die Schaffhauser Medien versuchen krampfhaft, jede Hundsverlochete als kulturellen Höhenflug zu verkaufen. Unsere Diagnose: akutes Lövaas-Syndrom.
«Im Altersheim Wiesli wurde uns dieser Tage ein seltener Genuss zuteil», heisst es in den «Schaffhauser Nachrichten». «Die bekannte Sängerin Kari Lövaas mit ihrer wunderbaren Stimme war, in Begleitung der Pianistin Elisabeth Ulmer, zu Gast und sang ein Repertoire von Liedern, mit welchem ihre Stimme (auch akustisch) voll Klang zu hören war.» Das «Wiesli» habe in einen Begeisterungssturm eingestimmt.
Holla, denkt man sich, ein wunderbarer Auftritt. So richtig akustisch, diese «norsk sangerinne (sopran)» (Wikipedia), und kein einziger Tadel an der Leistung der Sängerin.
Nun drehen sich die folgenden Zeilen aber weder direkt um Kari Lövaas, noch um Elisabeth Ulmer und ihr Klavier, sondern um Mut und Ehrlichkeit.
Jene Konzert-Rezension ist nämlich Ausdruck eines provinziellen Phänomens, einer Erkrankung beinahe schon, die Schaffhausen fest im Griff hat; wir nennen es das Lövaas-Syndrom. Diese Besonderheit lässt zweierlei vermuten: Entweder ist Schaffhausen eine Kulturhochburg sondergleichen, quasi Kreuzberg der Schweiz. Oder die hiesigen KritikerInnen verfügen über keinen Mumm, auch eine Musikgrösse wie die gute Kari Lövaas kritisch zu betrachten. Ausgewogen natürlich, voll ehrlichem Klang (nicht akustisch).
Besser als die Coens
Schaffhausen verfügt ja durchaus über eine innovative Künstlerszene. Aber eine Kulturhochburg? Gewiss nicht. Genau dies suggerieren jedoch die Beiträge in den lokalen Medien. Ganz gleich ob «az», «SN», «Bock» oder «Radio Munot»: Kritische, differenzierte Konzertrezensionen zum Beispiel sind praktisch inexistent. In neun von zehn Fällen wird eine Kulturveranstaltung mit lobenden Worten durchgewinkt, wie ein Blick in die Archive der regionalen Zeitungen und Radios zeigt.
«Jedem Schauspieler ist die Rolle auf den Leib geschrieben», schreibt etwa der «Bock» über eine Produktion des Theater 88 («Top Dogs» von Urs Widmer). Diese Regie-Fertigkeit mag erstrebenswert sein – besitzen aber nicht einmal die Coen-Brüder. Und die «SN» kalauern: «Mit «Top Dogs» wurde ein sehr kurzweiliger Theaterabend mit ausserordentlich motivierten und hervorragend spielenden Darstellern geboten.»
Die Fremden sind schlecht
Man erkennt: In Schaffhausen werden zwei Strategien verfolgt. Entweder wird krankhaft versucht, der Objektivität und Sachlichkeit Untertan zu sein, oder aber das Geschehen mit möglichst viel Feuerwerk und Aufschneiderei zu verkaufen. Das Resultat bleibt schliesslich dasselbe: Fundierte Kritik existiert kaum, meist ist alles rosig. Das Lövaas-Syndrom grassiert. Dies wird untermauert durch die Tatsache, dass die Empörung jeweils gigantisch ist, wenn eine Veranstaltung – was selten geschieht – einigermassen direkt kritisiert wird. Von einem Verriss braucht man gar nicht erst zu reden, dies wagt man ohnehin nur bei auswärtigen KünstlerInnen.
Wie kürzlich, als die «SN» die Gruppe «I Quattro» mit Genuss nach Strich und Faden auseinandernahm. Von «musikalischem Kitsch in Reinkultur» war da die Rede, von jungen Männern, die «wie aus einem Charles-Voegele-Katalog entsprungen wirken», und von einer Choreografie, «die eher zu einer Modenschau passte». Doch wie gesagt: Zu solch scharfer Zunge traut man sich für gewöhnlich nur gegenüber Nicht-Schaffhausern.
Man muss sich fragen, was die LeserInnen davon haben, wenn «Radio Munot» berichtet: «Etwa 500 Personen besuchten das erste MCS-Konzert und belohnten das Jugend-Sinfonie-Orchester mit minutenlangem Applaus.» Oder wenn der «Bock» eine Theateraufführung folgendermassen rezensiert: «Am Schluss ein langer Applaus fürs tiefsinnige Theater, bei dem Susanne Breyer, das Theatermädl aus Arlen, Regie führte.» Und die «SN» ein Konzert mit den Worten bespricht: «Schon bei den ersten Klängen im Raucherbereich des Lokals wurde klar: Dieser Abend wird aussergewöhnlich.»
Im 30-Grad-Weichspülmodus
Zu oft sind Artikel über Kulturveranstaltungen gleichbedeutend mit irgendwelchen ideenlosen Worthülsen, die kaum mehr als einen bequemen Versuch bedeuten, eine idyllische Harmonie zu bewahren, die überhaupt nicht existiert.
Die belanglosen Phrasen sind Ausdruck einer biederen Provinzialität und einem falschen, lokalpatriotischen Protektionismus – die dem Kulturstandort Schaffhausen alles andere als förderlich sind. Wir brauchen «meh Dräck!», mit Chris von Rohr gesprochen, wir müssen unsere Musiker, Schauspielerinnen und Tänzer nicht mit Samthandschuhen anfassen; sie sind talentiert genug, um die Wahrheit zu verkraften – und verdienen auch nichts anderes.
Denn Kritiken dürfen schliesslich polarisieren, zu Diskussionen anregen, und nicht bloss im Weichspülmodus bei 30 Grad belanglos ihre Kreise drehen. Diese Art von Echo zeugt von einem langweiligen, harmoniebedürftigen Gesicht der Lokalpresse.
Das muss nun nicht heissen, dass man das Festival RaSafari, die Sängerin Kari Lövaas oder die Kleine Bühne um jeden Preis in die Pfanne hauen muss, keinesfalls. Positive Kritiken haben durchaus ihre Berechtigung, wenngleich nicht unbedingt im heutigen Ausmass. Und natürlich gilt es, Fingerspitzengefühl bei den Rezensionen zu beweisen, schliesslich bedeuten Theater, Musik und Tanz in Schaffhausen für viele Kulturschaffende Hobby – und nicht Beruf.
Mut und Ehrlichkeit als Impfstoffe
Wir sind überzeugt: Von einer kritischen Berichterstattung profitierten alle Seiten, von der Regisseurin und dem Independent-Musiker über die Tontechniker bis hin zur Organisatorin. Auf der Basis einer fundierten Kritik, die nicht einfach pauschal positiv ausfällt, können sich die Kulturschaffenden qualitativ verbessern. Eine Kulturszene lebt doch vom lebendigen Austausch zwischen Kritikern und Künstlerinnen, und nicht vom kritiklosen Nachbeten eines Werbeflyers.
Ausserdem fühlten sich Kreative dadurch in ihrer Arbeit ernst genommen – und nicht als herzige Schaffhauser Provinz-Dilettanten, denen die Presse mit dem Wohlwollen entgegnet, das für gewöhnlich Kleinkindern vorbehalten ist.
Eine nachdenkliche und differenzierte Berichterstattung braucht allerdings Mut, Mut zur Ehrlichkeit. Und sie ist weitaus weniger komfortabel als ein Über-den-Klee-Loben oder das Zeitstoppen des Klatschens nach einer Aufführung. Gerade deshalb bleiben wir dabei: Mut und Ehrlichkeit sind die besten Impfstoffe gegen das Lövaas-Syndrom – und damit gegen die Bedeutungslosigkeit der Provinzialität.
Der Autor muss zugeben, selbst mehr vom Lövaas-Syndrom befallen zu sein, als ihm lieb ist.