Amerikanische Albträume

Auslese

Selbstfindung im Schatten des American Dream: vier ausgewählte Neuerscheinungen.

Dave Eggers’ neuer Roman «Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?» dreht sich um den psychopathischen Mittdreissiger Thomas, der vergeblich nach seinem und dem Platz seiner Generation in der heutigen Gesellschaft sucht. Antworten auf seine existentiellen Fragen erhofft er sich von sieben Auserwählten, die er kurzerhand entführt. In einem stillgelegten Militärstützpunkt kettet er sie in verschiedenen Baracken an einen Pfeiler und löchert sie mit Fragen.

OLGA AELLIG ist Buchhändlerin im ­Bücherschoch und zuständig für den Vertrieb beim Seismo Verlag.

Der Reiz des Buches liegt in seiner Form: beschränkt auf Dialoge, als Orientierungshilfe dienen einzig die Gebäudenummern (als Kapitelüberschrift). Neben der Frage, ob es sich beim Protagonisten oder bei der amerikanischen Gesellschaft um einen Psycho handelt, streift Eggers ein bisschen zu eifrig im Sumpf moralischer Fragen herum. Krieg, Gerechtigkeit, Pädophilie, Liebe, um nur einige Themen zu nennen. Trotzdem ein sehr unterhaltsames Buch.

Einen präziser skizzierten Psychopathen findet man in T.C. Boyles neuestem Werk. Für den Einzelgänger und Aussteiger Adam kommt es, wie’s der Titel verspricht, «Hart auf Hart». Auf seiner Suche nach einem Ort in der Wildnis, wo sich die Rädchen in seinem Kopf ungestört drehen können, gerät er ins Kreuzfeuer der Zivilisation. Selbst in den Weiten amerikanischer Wälder greift der Zwang, die Menschen unter Kontrolle zu halten. Und die allseits gepredigte Freiheit gelangt schnell an ihre Grenzen, wenn es sich um einen gesellschaftlich nicht konformen Aussenseiter wie Adam handelt. Denn begeht dieser ein Verbrechen, wird er mit polizeilichem Grossaufgebot gejagt und zum Sündenbock hochstilisiert, während ein Schuldirektor für dieselbe Tat seinen Lebensabend vergolfen darf.

Dave Eggers: EURE VÄTER, WO SIND SIE? UND DIE PROPHETEN, LEBEN SIE EWIG? Kiepenheuer & Witsch, 2015
T.C. Boyle: HART AUF HART. Hanser Verlag, 2015
John Williams: BUTCHER’S CROSSING. dtv, 2015
Greg Iles: NATCHEZ BURNING. Rütten & Loening, 2015

Dass die Natur als Rückzugsort nicht nur Schutz, sondern auch Sinn bieten kann, ist mindestens seit Emerson und Thoreau eine populäre Auffassung. Diesen Ideen hängt auch Will Andrews im Roman des wiederentdeckten Autors John Williams nach. Ausgangs- und Endpunkt der Handlung ist die kleine Siedlung «Butcher’s Crossing», irgendwo in Kansas zur Zeit des Ausbaus der Eisenbahnlinien. Andrews, der sein Harvardstudium auf Kosten seiner Selbstfindung abbricht, finanziert eine
Reise in ein abgelegenes Tal, das laut dem Jäger Miller ein wahres Büffel-Eldorado sein soll. Zu viert machen sie sich auf den beschwerlichen Weg. Dieser ist gekennzeichnet vom Wechsel zwischen Hoffnung und Enttäuschung, Erfolg und Misserfolg.

Eine düstere, unklischierte Westernstory in naturalistischer Manier à la Cormac Mc Carthy. Wen’s nach einem dicken Schinken gelüstet, dem sei Greg Iles’ Thriller-Epos «Natchez Burning» ans Herz gelegt. In 1’000 Seiten kriegt man die Geschichte rund um die amerikanische Bürgerrechtsbewegung und das dunkle Kapitel des Ku-Klux-Klans innerhalb eines spannenden Plots serviert.

Der Protagonist Penn Cage, seinerseits Bürgermeister der Kleinstadt Natchez, ist angesichts der Verstrickung seines Vaters gezwungen, die Leichen im Keller der rassistischen Stadthistorie auszugraben. Greg Iles gelingt ein raffiniertes Spiel mit Fiktion und Geschichte, untermalt mit Südstaatenblues.

Ein Gastbeitrag von Olga Aellig.