Bad Ass Zurzi

In Bad Zurzach herrscht abends Ausgangssperre für Jugendliche. Wir wollten wissen, warum diese Massnahme nötig wurde und ob sich die Kids in «Zurzi» daran halten.

Hölle des Mittellandes, Bad Ass Zurzi oder Zorf des Grauens: Die Spitznamen des 4’000-Seelen-Kaffs Bad Zurzach kommen nicht von ungefähr.
Jahrelang trieben dort Jugendliche ihr Unwesen, hingen am Bahnhof herum, rauchten und litterten den Perron voll. Und das völlig unbehelligt von der Justiz.

Baukunst

Ein wunderschönes Tor markiert den Eingang zum Kinderlager, dem CAMPUS FÜR MINDERJÄHRIGE aus dem Zurzibiet. Hier verbringen sie in geschütztem Rahmen ihre Jugendzeit.

Doch das ist lange her. Nun herrschen hier Zucht und Zolipei (Zurzideutsch für: Polizei), kurz: das ZZRegime, das dem räudigen Treiben Einhalt geboten hat und der von der Dorfobrigkeit gewünschten Totenstille das Räuberleiterli bereitete. Denn heute gilt: Ab 23 Uhr darf kein U-15-Mensch mehr auf den Strassen unterwegs sein.

In der Tat, es ist verdächtig ruhig hier, zu ruhig, als die Lappis eines Samstagabends in den Zurzacher Hauptbahnhof einfahren; es hat noch nicht einmal 20 Uhr geschlagen. Nur eine kleine Gruppe Jugendlicher (über 15) sitzt vor der Station; von uns angesprochen, antworten sie zurückhaltend ehr- und redlich. Und wir erkennen: Der Zurzianer an sich ist scheu und vorsichtig geworden.

Unterhaltung

Wer als Kind von solchen «SPIELZEUGEN» durchgeschüttelt wird, muss als Teenie ja renitent werden. Bei der Lappi-Redaktion hat’s gewirkt.

Wie das ZZ-Regime funktioniert, interessiert uns aber brennend. Schliesslich – Schweigen ist ja bekanntlich mit Gold aufzuwiegen – könnten wir einen solchen Plan teuer verkaufen in unserem Kanton, wahlweise an a) alte AltstädterInnen, b) den Neuhauser Gemeinderat oder c) EDU, EVP, SVP und dergleichen. Dass eine Ausgangssperre gegen das Versammlungsrecht verstösst, dürfte für potenzielle Abnehmer der Idee kein Hindernis darstellen.

Also auf Informationspirsch, mit schnellem Erfolg. Luan G. (16) und Qendrim D. (16), die in «Zurzi» die einst blühende Kultur der Bahnhofsjugend hochhalten, stammen beide aus dem Kosovo. Immer wieder werden sie von der hiesigen Zolipei gefilzt, erzählen sie, Drogen et cetera; gefunden wird nichts, dennoch sei sie oft auf Streife unterwegs, schon vor 23 Uhr.

Auch von privaten Sicherheitsangestellten berichten sie uns, ID-Kontrollen und so.
Brav geben die Teenies Auskunft, siezen uns sogar, was uns besonders beeindruckt, während wir an unserem Billigdosenbier nippen.

Das ZZ-Regime, es muss mächtig Eindruck geschunden und die renitente und litternde Jugend gezähmt haben.

Die Bahnhofsjugend in «Zurzi» (links) ist sowas von krass , logisch musste man ihr Einhalt gebieten. Wer kann, geht mit der S-Bahn in den Ausgang nach Winterthur (rechts).

Luan und Qendrim schicken uns Richtung Park, wo die Kiffer seien. Doch die finden wir nicht, also setzen wir unseren Streifzug fort, in die Quellenbar. Die haben uns die Zurzianer empfohlen, allerdings finden wir dort keine renitente Jugendliche, sondern nur bünzlige MittvierzigerInnen, die sich in einem Lokal mit dem Charme einer Flughafenhotellobby nach dem dritten Campari Soda nochmals etwas jung fühlen dürfen – klassische Thermalbadtouris.

Wir ergreifen die Flucht und schlendern am Jugendhaus vorbei, das stringenterweise am Samstag geschlossen ist. Es wird langsam dunkel, also versuchen wir unser Glück wieder im Park, doch von Kiffern noch immer keine Spur. Hier regt sich kein Lüftchen, geschweige denn ein Düftchen. Auch hier:
Tote Hose, die Ordnung regiert.

Wir beschliessen, die Zeit bis kurz vor Beginn der Ausgangssperre in einem Restaurant zu überbrücken. Dort kommen wir mit einem freundlichen Zurzianer-Ehepaar ins Gespräch. Zunächst müssen wir das Duo über die Ausgangssperre aufklären, von der beide, sie immerhin einst in der hiesigen Finanzkommission, nichts wissen. Nun machen sie sich Sorgen um ihren 14-jährigen Filius. Wir beruhigen sie mit unserem Wissen über das ZZ-Regime: Wenn er noch an der frischen Luft rumlungert, wird ihn die Zolipei einsammeln und nach Hause fahren. Es geht ja schliesslich nicht um Repression, sondern nur um den Schutz der verletzlichen Jugend, versteht sich.

Das Regime wirkt: tote Hose

Places to be

Der SPRINGBRUNNEN im Stadtpark lockt Gäste aus der ganzen Region an. Wenn die Jugendlichen eingesperrt sind, können sich die Erwachsenen in aller Ruhe von den Parklautsprechern zudröhnen lassen und das Wasserspiel geniessen.

Wo trifft man sich in Zurzach? Natürlich am Bahnhof, wo die Jugendlichen sehnsüchtig den Passagieren zuschauen, die in die freie, weite Welt hinausfahren und zu einer Zeit heimkommen, zu der sie selbst VON DER POLIZEI AUFGEGRIFFEN werden, wenn sie noch nicht zuhause sind.

22.45 Uhr, die heisse Phase beginnt. Wir nähern uns dem Bahnhof vorsichtig, denn wir wollen die renitenten, litternden und die Dorfidylle störenden jungen Zurzianer nicht erschrecken, sondern in ihrem natürlichen Habitat rund um den Bahnhof beobachten.

Leider sind sie nicht da – das ZZ-Regime wirkt. Uns bleibt nichts anderes übrig, als selbst in die Rolle der Jugend zu schlüpfen, bis der letzte Zug uns in Richtung Winterthur rettet.

Auf der Rückreise sezieren wir das Erfolgsmodell Ausgangssperre: Für das ZZ-Regime braucht es eine Atmosphäre des Generalverdachts rund um Jugendliche – gepaart mit regelmässiger Polizeipatrouille (wahlweise auch von billigeren Securitas-Angestellten durchgeführt). Als mutmassliche Missetäter beziehungsweise Repressionsopfer sind vor allem Teenies mit Migrationshintergrund geeignet.

Mit diesem Rezept im Sack zuckeln wir wieder zurück nach Schaffhausen und freuen uns auf konstruktive Verkaufs- und Beratungsgespräche mit dem Altstadtverein, bürgerlichen Parteien und der hiesigen Verwaltungszolipei.