Das erste Buch Lappi

Es war ein etwas merkwürdiges Gefühl, für unsere Titelseiten eine einhundert Jahre alte Bibel zu zerstören. Nicht, dass wir aus lauter Respekt vor der heiligen Schrift Angst gehabt hätten, vom Blitz getroffen zu werden oder uns den Weg ins Himmelreich zu verbauen.

Weil wir weder an göttliche Intervention noch an das jüngste Gericht glauben, flösste uns eher das Alter des Buches als der Inhalt eine Spur von Ehrfurcht ein. Weil in der «Debatte» um Islam, Charlie Hebdo und Andreas Thiel vergessen wurde, dass sich auch das Christentum gern fundamentalistisch entfaltet, haben wir uns in dieser Ausgabe mit christlichen Freikirchen und Sekten auseinandergesetzt. Auf einen mutmasslichen Islamisten im Rollstuhl kommen im Kanton Schaffhausen tausende ChristInnen mit teilweise nicht weniger verqueren Weltbildern.

Die einen lassen ihre Verwandten lieber sterben, als ihnen Blut zu spenden (Seite 24), die anderen taufen ihre längst verstorbenen Vorfahren und wollen im Jenseits zu Göttern werden (Seite 15). Um den gelebten Glauben dieser Menschen näher kennen zu lernen, haben wir einen Mormonen-Gottesdienst besucht und mit einer Aussteigerin aus der sektenartigen Gruppierung «Zeugen Jehovas» gesprochen.

Eine wichtige Pilgerstätte für Anhänger mehrerer Freikirchen befindet sich in Schleitheim (Seite 18) – trotzdem haben haben wir gestaunt, wie viele grosse und kleine Religionsgemeinschaften es im Kanton gibt. Eine Orientierungshilfe im verworrenen Garten (Eden) der Sekten, Freikirchen und Weltreligionen bietet das Diagramm auf Seite 20. Ausserdem haben wir gelernt, dass es in der Schweiz verboten ist, Gott öffentlich zu verspotten (Seite 27) – da war es aber schon zu spät, um ein neues Thema für dieses Dossier zu finden.

Weil wir zwischen obskuren kleinen Freikirchen und den drei obskuren Landeskirchen nicht wertend unterscheiden, geben wir mit einem Muster-Austrittsgesuch auf Seite 30 denjenigen Starthilfe, die auf dem Papier noch reformiert, katholisch oder christkatholisch sind, mit dem Glauben aber etwa so viel anfangen können wie der Papst mit einem Kondom.

Während die reformierte Kirche mit der Streichung eines Fünftels aller Pfarrstellen gegen ihre durch Mitgliederschwund (Seite 22) verursachte Finanzmisere anzukämpfen versucht, wachsen die Freikirchen und prosperieren, weil viele von ihren Mitgliedern den Zehnten kassieren.

Bevor wir die hundertjährige Bibel zerschnitten haben, haben wir sie immerhin teilweise gelesen. Eine Auswahl von Versen, die uns besonders gefallen haben, schmücken nun die Seiten dieses Dossiers. Sie stammen aus fast allen Teilen der heiligen Schrift, denn es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass nur das alte Testament mit grausamen, rassistischen, frauenfeindlichen, archaischen oder weltfremden Sätzen aufwartet. Die Zitate sind vollkommen aus dem Kontext gerissen und zeichnen ein verzerrtes Bild der Bibel – aber schliesslich gehen viele Gläubige nicht anders mit ihr um: Sie wählen und legen aus, wie es ihrem Bild von Gott und der Welt gerade entspricht. Die Bibel bietet so
gesehen tatsächlich für alle etwas.

Übrigens verurteilen wir durch das sinnentleerte Aneinanderreihen von Zitaten einer heiligen Schrift nicht pauschal alle, die an sie glauben – wie es eine gewisse pinkfarbene Klobürste unlängst versuchte –, sondern wir machen uns damit höchstens über das Buch an sich lustig. Wir wünschen viel Spass bei der Lektüre nicht nur dieses Dossiers, sondern auch der Bibel. Denn wer glaubt, dort stehe nur Habakuk, dem sei das Buch Habakuk im Alten Testament empfohlen.